1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Corona-Politik: Bundesländer sind gefragt

Kay-Alexander Scholz
23. Oktober 2021

Die ausgerufene "epidemische Notlage" in Deutschland als Basis der Corona-Politik könnte bald auslaufen. Welche Folgen hätte das für den Kampf gegen das Virus? Kommt dann ein "Freedom Day"?

https://p.dw.com/p/42133
Maskenpflicht in Deutschland | Anbringung eines Hinweisschildes in Hamburg
Bild: Daniel Reinhardt/dpa/picture alliance

Seit Ende März 2020 befindet sich Deutschland wegen der Corona-Pandemie in einer vom Bundestag festgestellten "epidemischen Lage von nationaler Tragweite". Das ist eine Art Notstand, den es vorher nicht gab und für den extra ein neues Gesetz verabschiedet wurde.

Dieses "Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite" hat es in sich. Es ermöglicht der Bundesregierung und den Regierungen der Bundesländer, Maßnahmen ohne Zustimmung der Parlamente anzuordnen - nämlich als Verordnungen. Das können Einreisebestimmungen, Maskenregeln beim Bahnfahren oder ein deutschlandweiter Lockdown sein.

Auch das Bundesgesundheitsministerium selbst durfte ohne große Abstimmung Verordnungen erlassen - zum Beispiel für die Versorgung mit Medikamenten, Schutzausrüstung oder Materialien für Labore. Jens Spahn als Bundesgesundheitsminister hat deshalb so viel Macht, wie wohl niemand zuvor in diesem Amt.

Gesetz müsste verlängert werden

Damit die Corona-Schutzmaßnahmen auf den Weg gebracht werden konnten, regelte das neue Gesetz gleichzeitig auch Regeln anderer Gesetze, wie das Infektionsschutz- und Baugesetz.

Doch ewig sollten die Notmaßnahmen nicht gelten. Deshalb wurde vieles zeitlich befristet. Nur - die Pandemie dauerte länger als gedacht. Der Bundestag verlängerte das Gesetz deshalb immer wieder um drei weitere Monate. Aktuell gilt es bis zum 25. November 2021. Folgt keine erneute Verlängerung, laufen viele Regelungen aus. Minister Spahn sprach sich bereits gegen eine Verlängerung aus.

Eine Frage der Verantwortung 

Wenn das Gesetz zur "epidemischen Notlage" nun wegfallen würde, was passiert dann? Würden die Schutzmaßnahmen vor der Pandemie aufgehoben? Mitnichten. Denn die politische Verantwortung würde auf die Ebene der Bundesländer zurück verlagert, die normalerweise für Gesundheitsfragen zuständig sind.

Brockmann: Risiko-Wahrnehmung spielt "riesige Rolle"

Die Länder könnten unter Berufung auf das Infektionsschutzgesetz weiterhin Corona-Schutzmaßnahmen ergreifen. Im Infektionsschutzgesetz heißt es nämlich: "Nach dem Ende einer durch den Deutschen Bundestag festgestellten epidemischen Lage von nationaler Tragweite können die Absätze 1 bis 6 auch angewendet werden, soweit und solange die konkrete Gefahr der epidemischen Ausbreitung in einem Land besteht." In den Absätzen sind die Schutzmaßnahmen von Maske tragen, über Abstand halten bis zu Kontaktbeschränkungen sowie Verbote und Obergrenzen für Veranstaltungen festgeschrieben.

"Dann geht die Entscheidung zurück in die Parlamente", sagte der Virologe Hendrik Streeck. Ob Maskenpflicht oder 3G-Regeln - die Parlamente müssten entscheiden, "ob das im Moment angebracht ist oder nicht." Dadurch seien mehr länderspezifische Entscheidungen möglich, wenn sich zum Beispiel an einem Ort ein Hotspot entwickelt. Doch wie sehen das die Bundesländer selber?

Bundesländer fordern neue Regelung vom Bund

Das Thema "epidemische Notlage" wurde zu einem Top-Thema bei der zweitägigen Jahreskonferenz der Spitzen der Bundesländer, der sogenannten Ministerpräsidentenkonferenz. Klar wurden am Ende der Konferenz zwei Punkte: Die Länder wollen die Verantwortung für die Corona-Schutzmaßnahmen nicht allein tragen. Zum anderen sollen die Basis-Schutzmaßnahmen fortgeführt werden. Das hatte auch Minister Spahn unabhängig von seinem Vorstoß zur Verlängerung des Gesetzes so empfohlen.

Ministerpräsidentenkonferenz - Michael Mülller
Michael Müller: Brauchen einen rechtlichen Rahmen durch den BundBild: Oliver Berg/dpa/picture alliance

Der Bundestag müsse rechtzeitig bis zum 25. November eine neue Grundlage für das Handeln der Ländern schaffen, forderte Michael Müller, Berlins scheidender Oberbürgermeister, der das Gremium zuletzt leitete. Das könne eine Verlängerung des Notlage-Gesetzes sein, aber auch ein Übergangsgesetz oder eine besondere Beschlussfassung. Die Länder wollten kein Risiko eingehen und brauchten eine Rechtsgrundlage des Bundes als einen Rahmen. Denn, das hätten Gerichtsurteile bereits gezeigt, "Gerichte würden es kritisch sehen, wenn Länder für sich entscheiden".

In der Tat gab es immer wieder Gerichtsentscheidungen, die regionale Einschränkungen der Grundrechte kritisierten. Der Verfassungsrechtler Michael Brenner vermutete im MDR, dass viele Grundrechtseinschränkungen nicht mehr so einfach zu beschließen sein würden, beziehungsweise vor Gerichten Bestand hätten, wenn das Bundesgesetz fehle.

Kein "Freedom Day" in Germany

Doch die Forderung an den Bund ist gerade gar nicht so einfach umzusetzen. Deutschland befindet sich zwischen zwei Bundesregierungen. Am 26. Oktober konstituiert sich der neue Bundestag. Im Dezember könnte es eine neue Regierung geben. Derzeit finden Koalitionsgespräche zwischen SPD, FDP und Grünen statt.

Ministerpräsidentenkonferenz
Die Ministerpräsidentenkonferenz fordert vom Bund SchützenhilfeBild: Oliver Berg/dpa/picture alliance

FDP und Grüne zeigten sich bislang kritisch bei der Frage, ob eine Verlängerung der "epidemischen Lage" sinnvoll sei oder nicht. Schon bei der letztmaligen Verlängerung des Gesetzes gab es viele Gegenstimmen. Nun konnte eine Mehrheit noch schwieriger aufzubringen sein, da die beiden Verteidiger des Gesetzes - SPD und CDU/CSU - keine eigene Mehrheit mehr haben.

Vieles ist noch unklar, eines aber nicht: Einen "Freedom Day" wie in Großbritannien oder Dänemark wird es in Deutschland aktuell nicht geben. Egal ob "epidemische Notlage" oder nicht: Die Bereitschaft der Politik ist gering, schon im Herbst/Winter die Pandemie für beendet zu erklären. Die gerade wieder stark steigende Zahl an Neuinfektionen spricht auch nicht gerade dafür.