Corona: Das Buch in der Krise
25. April 2020Seit dem 20. April sind die Buchhandlungen in Deutschland wieder geöffnet. Einen Monat mussten sie dicht machen - mit Ausnahme der Läden in den Bundesländern Berlin und Sachsen-Anhalt. Dort betrachtete man sie als unverzichtbare Geschäfte und wer wollte, durfte seinen Laden unter bestimmen Hygienevorschriften offen lassen.
Der finanzielle Schaden, der in gerade mal vier Wochen des Corona-Lockdowns für die Buchbranche entstanden ist, beläuft sich auf eine halbe Milliarde Euro, schätzt der Börsenverein des Deutschen Buchhandels.
Auf staatliche Hilfen angewiesen
Dirk Rehm, Verleger des kleinen unabhängigen "Reprodukt"-Verlags, geht davon aus, dass sich die Zahlen selbst mit der Wiedereröffnung der Läden nicht so schnell erholen werden. "Hoher Publikumsverkehr wird weiterhin ausbleiben, weil allgemeine Existenzängste in der Bevölkerung herrschen und die Leute weniger Geld ausgeben", so Rehm.
Sein Verlag, der Comics und Graphic Novels internationaler Comicautor*innen herausbringt, hat bislang 40 Prozent weniger Umsatz zu verzeichnen und hofft durch die Hilfsgelder der Bundesregierung sowie Kurzarbeit für die sieben Mitarbeitenden weiter fortbestehen zu können. Seit fast 30 Jahren gibt es "Reprodukt".
Läden bleiben wichtige Säule des Buchhandels
Die kleinen Verlage trifft die Coronakrise besonders hart. Die ausgefallene Leipziger Buchmesse, abgesagte Literaturfestivals und Lesereisen und schließlich der Lockdown machten ihre Bücher die vergangenen Wochen quasi unsichtbar. In den Feuilletons werden sie generell kaum besprochen - Corona hin oder her. Für Verlage wie "Reprodukt" ist es daher existenziell, in Buchhandlungen gesehen zu werden.
Aber auch für die Branche insgesamt sind Buchläden - selbst im Internetzeitalter - enorm wichtig. Fast die Hälfte aller Bücher werden nach wie vor dort gekauft.
Amazon-Entscheidung macht es Buchbranche zusätzlich schwer
Online stellt der Versandhandel Amazon einen zentralen Vertriebsweg für die Verlage dar. Umso gravierender ist für sie die Mitte März getroffene Entscheidung, in Corona-Zeiten Waren wie Lebensmittel, Haushaltsartikel oder Kosmetik zu priorisieren. Ein wenig paradox, wurde der US-Internetriese doch einst mit Büchern groß.
Die Verlage bleiben nun auf ihren Neuerscheinungen sitzen und die Kundschaft wartet zum Teil lange auf ihre Bestellungen.
Nina Wehner, die in Berlin-Neukölln eine kleine Kiezbuchhandlung betreibt, kommt das wiederum zugute. Einige Kund*innen kommen, verärgert von Amazon, jetzt zu ihr. Telefonisch und online nimmt ihr Geschäft "Die Buchkönigin" seit Wochen Bestellungen an, die in der Regel am nächsten Tag an der Ladentür abgeholt und bezahlt werden können. Diese Lösung - obwohl sie in Berlin den Laden hätte geöffnet lassen dürfen - schien Wehner aus gesundheitlicher Sicht am vernünftigsten.
"Eine riesige Solidarität"
Und selbst nach den bundesweiten Lockerungen will die Buchhändlerin bei dieser Praxis bleiben und zunächst abwarten, wie sich die Infiziertenzahlen mit den Ladenöffnungen entwickeln werden. Anhand dessen werde sie entscheiden, ob sie wieder Leute in ihr Geschäft lasse oder eben nicht. "Es wäre schön, wieder aufzumachen und vor allem wieder Bücher zu verkaufen, die nicht gesehen werden, an denen mein Herz hängt", erklärt Wehner. Auch auf den inhaltlichen Austausch, die Diskussionen und ausführlichen Beratungsgespräche, die sie so sehr vermisst, verzichtet sie derzeit zugunsten der Virus-Eindämmung.
Unterstützung erhält "Die Buchkönigin" derzeit von zwei Student*innen, die ehrenamtlich Bücher mit dem Fahrrad ausliefern. Das Angebot erhielt Wehner unverhofft via Facebook und brachte sie vor Rührung zum Weinen. "Ich merke eine riesige Solidarität", sagt sie. Ihr Umsatz sei nahezu konstant geblieben.
Ladenöffnungen nur ein Anfang
Auch wenn die Buchläden jetzt bundesweit unter Auflagen wieder öffnen dürfen, ist die Krise noch lange nicht überwunden. Der Publikumsverkehr in den Läden wird voraussichtlich verhalten bleiben. Amazon hat bislang nicht angekündigt, von seiner Priorisierungs-Strategie abzuweichen, und Großveranstaltungen, die auch für den Literaturbetrieb so wichtig sind, sind in Deutschland bis zum 31. August untersagt. Für Alexander Skipis, den Hauptgeschäftsführer des Börsenverein des Deutschen Buchhandels, ist deshalb klar: Der Staat muss seine Unterstützung der Branche weiter ausbauen.
Einen Hoffnungsschimmer aber gibt es am Horizont: Die Frankfurter Buchmesse soll wie geplant im Oktober stattfinden. "Wie die 72. Buchmesse dann genau aussehen wird, können wir zum heutigen Zeitpunkt noch nicht abschätzen", so Sprecherin Kathrin Grün. "Es wird in jedem Fall eine sehr besondere Messe, das steht jetzt schon fest."