Besuch im "Herz der Pandemiebekämpfung"
8. September 2020Das "Herz der Pandemie-Bekämpfung in Deutschland", wie Bundesgesundheitsminister Jens Spahn das ausgedrückt hat, schlägt im Berliner Bezirk Wilmersdorf-Charlottenburg in einem nüchternen, wuchtigen, mehrgeschossigen Zweckbau an einer vielbefahrenen Straße. Unten vor dem Eingang kontrolliert Sicherheitspersonal jeden Eintretenden. Es bilden sich lange Schlangen, denn die Anzahl der Besucher ist durch die Pandemie begrenzt.
"Plötzlich hieß es: Huch, uns fehlen die Leute!"
Im vierten Stock hat die Leiterin des Gesundheitsamtes und Ärztin Nicoletta Wischnewski ihr Büro. Sie hat gehört, dass die Politik auch ihre Tätigkeit jetzt aufwerten will, dass viele tausend neue Stellen in den Gesundheitsämtern entstehen sollen in den nächsten Jahren, dass die Regierung dafür vier Milliarden Euro in die Hand nehmen will. Die Fachärztin für Hygiene und Umweltmedizin wirkt wie eine, die trotz aller Belastung in ihrem Beruf aufgeht: "Ich mache das gern", sagt sie der DW. "Ich sehe meine Aufgabe darin, Bevölkerungsmedizin zu machen, das liegt mir und das wollte ich schon immer gern tun. Trotzdem gebe ich zu, es wird immer schwieriger, neue Kolleginnen oder Kollegen zu gewinnen, weil die Bezahlung schon ein ganz entscheidender Punkt ist." So verdienen die Ärzte in den Kliniken weitaus mehr, auch wegen des Schichtdienstes.
Und vor allem: Schon vor Corona war das Personal insgesamt in den mehr als 400 deutschen Gesundheitsämter knapp. So sagt die Vorsitzende des "Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes", Ute Teichert, der DW, die Personalstellen seien eingespart oder abgebaut worden. Mit der Folge, dass "wir schon zu Beginn der Pandemie mit zu wenig Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen in den Gesundheitsämtern gearbeitet haben. Dann kam die Pandemie, und plötzlich hieß es: Huch, da sind nicht genug Leute, wir müssen jetzt irgendwie aufrüsten."
Die Bundeswehr hilft mit
Also leisteten Ärzte wie Nicoletta Wischnewski und ihre Mitarbeiter in Berlin zusammen mit eilig gerufenen Studenten oder den Bundeswehrsoldaten unzählige Überstunden, gingen oft an ihre Belastungsgrenzen und auch darüber hinaus. Sie haben bei menschlichen Schicksalen zugehört, geduldig den Kontakten nachgespürt, die ein Corona-Infizierter hatte. Und mussten und müssen auch mit dem einen oder anderen gereizten Bürger umgehen. Alles im Job inbegriffen.
Die Hauptaufgabe der rund 150 Mitarbeiter, die sich hier mit den Folgen der Pandemie beschäftigen, ist immer noch die Kontaktnachverfolgung. Bürger, die glauben, sich infiziert zu haben, melden sich zumeist bei der Hotline oder per E-Mail, in seltenen Fällen tauchen sie auch direkt in der Behörde auf, was keine gute Idee ist. Die Hotline-Stelle nimmt die Daten der Betroffenen auf. Hier helfen seit Monaten auch Bundeswehrsoldaten mit, auf dem Höhepunkt der Pandemie im April und Mai war das anders nicht zu schaffen.
"Lasst uns die Arbeit machen, vertraut seriösen Medien!"
Sind die Daten aufgenommen, kümmern sich Fachkräfte um die Betroffenen. Fachkräfte wie der Gesundheitsaufseher Fabian Fischbach. Er spricht nochmal mit den Erkrankten, verfolgt die Kontakte und Verläufe, hilft bei der Organisation etwa der Quarantäne. Aber er ist im Zweifelsfall eben auch derjenige, der eine behördliche Anordnung ausspricht, was nicht allen gefällt. Denn die kann zum Beispiel einen Erkrankten in Quarantäne zwingen. Den Kern seines Jobs beschreibt er nüchtern: "Den Bestimmungen des Infektionsschutzgesetzes Geltung verschaffen!"
Glaubt man vielen Umfragen, dann sind die meisten Deutschen einverstanden mit den Corona-Beschränkungen, nicht wenige können sich sogar härtere Kontaktbeschränkungen vorstellen. Aber einige wenige Uneinsichtige reichen, um Menschen wie Fabian Fischbach das Leben schwer zu machen. Er sagt der DW: "Das sind diejenigen, die sich nicht an die Regeln halten wollen. Wir alle haben vollstes Verständnis dafür, dass das eine außergewöhnliche Situation ist, dass Existenzen bedroht sind, und eine Quarantäne eine erhebliche psychische Belastung ist. Dennoch finde ich es wichtig, die Fachkräfte ihre Arbeit machen zu lassen und auf seriöse Medien zu vertrauen."
Das größte Problem derzeit: Schulen und Reiserückkehrer
Nach einigen Wochen der relativen Ruhe haben die Corona-Infektionen zuletzt wieder zugenommen: "Seit drei oder vier Wochen sind die Anfragen wieder deutlich gestiegen", sagt Sascha Brauer. Er ist eigentlich Hochschuldozent, aber seit der Pandemie verstärkt er das Team des Gesundheitsamtes, kümmert sich um Digitales, hält die Fäden der verschiedenen Abteilungen zusammen. Und leistet nebenbei auch noch ein bisschen Pressearbeit. "Wir haben im Moment viel auch mit liegengebliebene Sachen zu tun, mit anderen Erkrankungen. Und bald kommt der Herbst, dann steigen die Grippefälle wieder, darauf stellen wir uns jetzt schon ein." Brauer berichtet, dass es eine klar erkennbare Häufung von Corona-Infektionen gibt, wenn große Menschenmengen sich getroffen haben, wenn sie in Räumen zusammen kommen, die schlecht gelüftet sind. Wird alles zunehmen im Herbst, keine Frage.
Amtsärztin Wischnewski beschreibt, wo im Moment die größten Knackpunkte der täglichen Arbeit liegen: "Derzeit werden unsere Kapazitäten gebunden durch das Erstellen von Hygieneplänen und durch die Schulen. Weil wir dort durch die Reiserückkehrer das eine oder andere positiv getestete Kind haben. Weil gleichzeitig die Kontaktmöglichkeiten ja jetzt größer sind, ist die Kontaktverfolgung auch schwieriger." Und Fabian Fischbach findet, dass schon viel erreicht wäre, wenn sich die Menschen bei Infektionen, egal welcher Natur, einfach so verhielten, wie das die allermeisten auch vor Corona schon getan hätten: "Wenn ich mich krank fühle, gehe ich zum Arzt und bleibe zuhause. Und setze meine Mitmenschen nicht dem Risiko aus, sich anzustecken. Daran hat sich doch überhaupt nichts geändert."
Über eine bessere Bezahlung, über mehr Kolleginnen oder Kollegen, würden sich hier im Gesundheitsamt in Wilmersdorf-Charlottenburg alle freuen: Die Leiterin Nicoletta Wischnewski, Fabian Fischbach und Sascha Brauer. Aber am meisten doch über mehr Anerkennung für ihre oft nervenaufreibende Arbeit im "Herz der Pandemiebekämpfung".