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Politik

Österreichs "neue Normalität"

Stephan Ozsváth
4. Mai 2020

Österreich hat einen Teil seiner strengen Corona-Maßnahmen aufgehoben: Kleinere Zusammenkünfte sind wieder erlaubt, Friseurläden dürfen unter strengen Schutzmaßnahmen wieder öffnen, Kaffeehäuser und Hotels folgen bald.

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Österreich Wien | Hotel Sacher
Das berühmte Wiener Hotel Sacher Bild: picture-alliance/ImageBroker/W. Wirth

Eine dreiköpfige Kapelle spielt "Bella Ciao" vor dem Wiener Rathaus. Rote Transparente künden von "Freundschaft", aber die SPÖ war ins Netz ausgewichen: Der Kampftag der Arbeiter findet für die Sozialdemokraten online statt, wegen Corona. Nur wenige linke Splittergruppen hatten den Weg nach draußen gefunden. "Gottseidank, dass uns der Herr Bundeskanzler nicht mehr einsperren kann", freut sich ÖBB-Lokführer Thomas Reisel, "und sich endlich das Leben wieder normalisiert."

Bisher waren nur die Baumärkte und die großen Supermärkte geöffnet. Jetzt ist auch wieder Tennis spielen, Bogen schießen oder Golfbälle schlagen erlaubt. Shopping-Center und Möbelhäuser locken mit Sonderangeboten. Vereinzelt bildeten sich lange Schlangen, was die Ärzte mit Kopfschütteln quittierten. "Es ist wenig los", sagt dagegen Marietta Auer vor dem Shopping Center Süd, die keine Angst vor einer zweiten Corona-Welle nach den Lockerungen hat. Österreich könne sich das erlauben, meint sie.

Österreich | Coronavirus | Lockerungen |
Wien bedankt sich bei seinen BürgernBild: DW/S. Ozsváth

Die Zahlen geben ihr Recht. Jeder Österreicher steckt weniger als einen anderen an, der sogenannte "Reproduktionsfaktor" ist unter Eins, sagen die offiziellen Daten. Die Stadt Wien bedankt sich bei den Einwohnern mit Plakaten für das Einhalten der Pandemie-Spielregeln. "Schau auf Dich, bleib zu Hause" hatten Rotes Kreuz und Regierung den Österreichern auf Plakatwänden und unzähligen Pressekonferenzen eingehämmert, wie "Social Distancing" gemeint sei. Sie finde die bisherigen "Maßnahmen richtig", sagt die Pädagogin Marcela Torres aus Kolumbien, nur dürfe man sich nicht "sozial distanzieren", meint sie und zeigt auf ihr Transparent in mehreren Sprachen. Lokführer Reisel ist klar, wer die Zeche der Pandemie nicht zahlen wird. "Die Reichen werden sich´s schon richten", meint der ÖBB-Mitarbeiter aus dem Waldviertel. Zahlen würden am Ende "die Arbeitnehmer". Mit aufmunternden Parolen wie "Gemeinsam füreinander" und "Gemeinsam sind wir stark" nutzen dagegen große Supermarkt-Ketten ihre Werbeflächen als allgemeinen Stimmungsaufheller. 

Mit Abstand die beste Frisur

Seit dem 1. Mai-Wochenende dürfen Wiener wieder an den Neusiedler See fahren. Und viele sehnen sich nach sieben Wochen zu Hause nach einem Haarschnitt, berichtet Claudia Ramm, die im 23. Wiener Bezirk einen Friseursalon betreibt. "Wir sind sehr, sehr gut ausgebucht", sagt die resolute Deutsche, die in den vergangenen zwei Monaten "null Umsatz" gemacht hat. Nun können die Kunden wieder kommen. Allerdings ist das Prozedere bis zur neuen Frisur in Pandemie-Zeiten etwas komplizierter als Waschen, Legen, Föhnen. "Bitte klopfen" steht an der verschlossenen Tür, "damit hier nicht jeder reinstürzt", erklärt die Friseuse. Termine sind nur nach telefonischer Rücksprache möglich, informiert ein weiterer Zettel an der Tür. Ausserdem gilt Maskenpflicht für Friseusen und Frisierte. Es sei schon etwas komplizierter, um die Masken "herum zu schnippeln", sagt Claudia Ramm. In der Öffentlichkeit und beim Einkaufen gilt nämlich weiter die Regel: Abstandhalten und Maske tragen.

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Unser Autor Stephan Ozsváth nimmt sich die Regelungen zu HerzenBild: DW/S. Ozsváth

"Maskenball" statt Kaffeehauskultur 

Im "Café Prückel" herrscht wenig Betrieb, an einer Seitentür stehen ein paar Stammkunden an, im Kaffeehaus sind die Sessel hochgestellt. Das altehrwürdige Kaffeehaus gegenüber dem Museum für Angewandte Kunst am Ring ist auch bei Touristen sehr beliebt, aber auch die bleiben derzeit aus. Christl Sedlar gehört das "Café Prückel", ihre bunt gestreifte Bluse kontrastiert sehr mit ihrer Grundstimmung: "Traurig" sei das alles, sagt die Unternehmerin. Ihre Mitarbeiter sind auf Kurzarbeit, ihren Verlust in den letzten Wochen beziffert sie auf "neunzig Prozent" des gewohnten Umsatzes. "Zwei Backfische" ruft sie nach hinten in den Gastraum. Die Stammgäste holen sich ihr Mittagessen weiter im "Prückel".

Dennoch sei das nicht das Gleiche. "Im Kaffeehaus zu sitzen", das ginge ihm schon ab, sagt einer der Stammgäste und bestellt einen Fisch am improvisierten Tresen. "Ich will dem Café ein bisschen helfen", sagt er. Mitte Mai wird das "Prückel" wieder den Gastraum öffnen, aber der Betrieb wird eher an einen Maskenball erinnern als einen normalen Kaffeehaus-Besuch. "Der Gast muss mit Maske herein kommen" erklärt die Kaffeehausbesitzerin "und darf sie nur zum Speisen oder Trinken abnehmen". Auch das Servierpersonal müsse eine Maske tragen. Und auch im "Prückel" gilt: Abstand halten. Die Verluste werde sie sicher nicht wieder einfahren. Nach einer Umfrage des Nachrichtenmagazins "Profil" will nur jeder Dritte Österreicher bald wieder ein Lokal besuchen. 

Wenig Unterstützung für Künstler

38 Milliarden Euro hat die Regierung in Wien bereitgestellt, um die schlimmsten Härten für die Wirtschaft abzufedern. Für die 180.000 Künstler, Musiker und Schauspieler sind gerade mal fünf Millionen Euro im Topf. Adriana Galabova hat im ersten Monat 500 Euro aus dem Künstlersozialversicherungsfonds bekommen, ab jetzt ist die Wirtschaftskammer mit ihrem Covid-19-Härtefall-Fonds für die Künstlerin zuständig. In ihrem Atelier im 14. Wiener Gemeindebezirk arbeitet sie für gewöhnlich nicht nur an Bildern, Keramik und Schmuck. Ihr Geld verdient sie vor allem mit Kursen für Rentner und Kinder. Die konnten jetzt wochenlang nicht stattfinden, starten erst jetzt wieder. "Nächste Woche ist relativ voll", sagt die gebürtige Bulgarin, "und für die Kinder-Kunstkurse im Sommer gibt es viele Anmeldungen". Das liege wohl auch daran, dass viele Österreicher in diesen Sommer wohl nicht in Urlaub fahren würden, glaubt sie. Auch in ihrem Atelier gilt: Mindestens einen Meter Abstand halten - und Maske tragen. 

Österreich | Coronavirus | Lockerungen | Künstlerin Adriana Galabova
Adriana Galabova, Künstlerin: "Für die Kinder-Kunstkurse im Sommer gibt es viele Anmeldungen"Bild: DW/S. Ozsváth

Öffnen für die Wirtschaft

Das, was die Regierung an Hilfen für die existenziell bedrohten Künstler bereitstelle, sei "einer Kulturnation wie Österreich nicht würdig", schimpft Schriftstellerin Julya Rabinowich. Sie hält sich mit Online-Lesungen, Zeitungskolumnen und dem Vorschuss für einen Roman, den sie erst noch schreiben muss, über Wasser. Die Lockerungen kämen zu früh, glaubt sie, jetzt beginne der Tanz: "aufmachen, wieder schließen, wieder aufmachen". Nicht das, was die Menschen brauchten, stehe dabei im Vordergrund, sondern "was die Wirtschaft am meisten braucht".

Für den grünen Gesundheitsminister Rudolf Anschober ist der Mai ausdrücklich ein Testlauf. Erst wenn sich "Phase Zwei" bewähre, könne man weiter sehen. Die Museen öffnen erst Mitte Mai langsam wieder, Festivals fallen in diesem Sommer wohl aus, auch ein Kinobesuch ist laut Regierung nicht vor September möglich. Die Hotels dürfen dagegen bereits Ende Mai wieder öffnen. Den Hoteliers reicht das nicht. Sie wollen Schadenersatz von der Regierung.