Grüne Wüste: Saudi-Arabiens Klimaschutzpläne
6. November 2021Der Tag ist heiß und sonnig, wie üblich für Ende Oktober in Saudi-Arabien. Im Bödeker-Park in Riad stehen der deutsche Botschafter im Königreich, Dieter Lamlé, und Dalia Samra-Rohte, die Delegierte der deutschen Wirtschaft für Saudi-Arabien, Bahrain und Jemen. Mit Schaufeln in der Hand schicken sie sich an, ein Loch zu graben, tief genug, um einen jungen Baum zu pflanzen, genauer, ein Exemplar der "Ziziphus Spina Christi", der "Dornenkrone". Das Problem: Aus eigener Kraft wird es die Pflanze nicht schaffen. Um zu wachsen, ist sie auf die helfende Hand der Menschen angewiesen.
Eben dies will das saudische Königreich nun verstärkt tun: Hand anlegen im Umweltschutz. So plant die Staatsführung etwa, weitere siebeneinhalb Millionen Bäume in Riad und 450 Millionen Bäume im gesamten Land zu pflanzen.
Tatsächlich hat Saudi-Arabien in den vergangenen Jahren ein gewaltiges Umweltprogramm aufgelegt. Dazu gehörte auch eine vom Königreich ausgerichtete regionale Umweltkonferenz im Vorfeld des Klimagipfels von Glasgow (COP26). Auf ihr kündigte Kronprinz Mohammed Bin Salman (MBS) einen Plan für "Netto-Null"-Treibhausgasemissionen bis 2060 als Pfeiler der neuen "Saudi Green Initiative" an. Zugleich wurde eine weitere regionale Initiative mit dem Namen "Middle East Green Initiative" ins Leben gerufen.
Ebenso treibt das Königreich auch die Bemühungen um eine "Circular Carbon Economy", kurz CCE, voran. Deren Ziel: Emissionen aufzufangen und zu speichern. Insgesamt sollen rund 200 Millionen Tonnen Kohlenstoffemissionen durch "Reduktion, Wiederverwendung, Recyceln und Entfernen" aus der Atmosphäre gefiltert werden, wie es in der Ankündigung heißt.
"Mehr als eine PR-Strategie"
Befürchtungen, bei dem Programm könnte es sich in erster Linie um eine PR-Strategie handeln, teile er nicht, sagt der Politikwissenschaftler Tobias Zumbrägel, der am Bonner Center for Applied Research in Partnership with the Orient (CARPO) forscht. "Ich bin überzeugt, dass das, was jetzt aus Saudi-Arabien zu hören und in den vergangenen Jahren entstanden ist, nicht verdient, als 'Greenwashing' bezeichnet zu werden. Die umfassenden Transformationsprozesse sind mehr als eine reine PR-Strategie", so Zumbrägel im DW-Gespräch. "Eher geht es um die Ausweitung des politischen Spielraums und wirtschaftliche Interessen."
Tatsächlich ist Saudi-Arabien ökonomisch und politisch gefordert: Der globale Ölpreis ist volatil, zudem ist der internationale Druck zur Klimaneutralität seit dem Pariser Klimaabkommen von 2015 enorm gestiegen.
Auch Karim Elgendy hält das saudische Programm für zweischneidig. Er ist Wissenschaftler bei der Londoner Denkfabrik Chatham House und Gründer von Carboun, einer Initiative zur Förderung der Nachhaltigkeit in Städten der MENA-Region, zu der die Staaten Nordafrikas und des Nahen und Mittleren Ostens gezählt werden. "Die saudischen Klimaverpflichtungen hängen von der Fähigkeit des Landes ab, seine Exporte fossiler Brennstoffe aufrechtzuerhalten", so Elgendy in einem Meinungsbeitrag auf "Aljazeera online".
Umweltschutz trotz Ölexport?
Wie wichtig diese Exporte sind, hatte zuletzt der saudische Energieminister, Prinz Abdulaziz bin Salman noch einmal bestätigt. Er ist ein Bruder von Kronprinz Mohammed bin Salman al-Saud. "Das Wirtschaftswachstum des Königreichs wird durch den Export seiner Energiequellen angetrieben. Das ist kein Staatsgeheimnis", sagte Abdulaziz bin Salman auf dem Saudi Green Initiative Forum in Riad.
In die gleiche Richtung weisen die Fakten: Soeben wurde die nationale Ölgesellschaft Saudi Aramco zum global profitabelsten Unternehmen des dritten Quartals dieses Jahres erklärt - noch vor Google, Amazon oder Energieunternehmen wie ExxonMobil und Shell. Gleichzeitig allerdings hinterlässt Saudi Aramco einen enormen CO2-Fußabdruck.
Die von der Firma selbst veröffentlichten Zahlen dazu sind schon hoch. Doch wie die Wirtschaftsnachrichtenagentur Bloomberg berichtet, hat der saudische Ölgigant nicht alle Emissionen seiner Raffinerien und petrochemischen Anlagen eingerechnet. Demnach könnte die Berücksichtigung all dieser Anlagen die Kohlendioxid-Bilanz von Aramco um bis zu 55 Millionen Tonnen erhöhen, was den CO2-Fußabdruck des Unternehmens fast verdoppeln würde, so Bloomberg.
Zudem wurde einige Tage vor der neuen Strategie bekannt, dass Aramco bis 2027 das Fördervolumen von Rohöl von zwölf auf 13 Millionen Fass pro Tag erhöhen wird - zum Entsetzen von Ökologen, die das Gegenteil fordern. Gleichzeitig sieht sich Aramco auf gutem Weg CO2-neutral zu werden, allerdings ohne Details für dieses Ziel zu nennen.
Erste Initiativen
Und doch drängt Saudi Arabien mit seinen rund 35 Millionen Einwohnern seit geraumer Zeit auf mehr Nachhaltigkeit. Die ersten Initiativen wurden bereits unter dem damaligen König Abdullah ibn Abd al-Aziz Al Saud im Jahr 2010 ins Leben gerufen. Er wies damals darauf hin, dass sich der konsumorientierte Lebensstil nicht endlos fortsetzen könne.
Allerdings habe es damals noch verschiedene politische Blöcke innerhalb der königlichen Familie gegeben, sagt der Bonner Politiloge Zumbrägel: "Unter ihnen waren auch einige Hardliner, die erklärten, nicht an den Klimawandel zu glauben." Als König Abdullah 2015 starb, war von den Umwelt-Initiativen zunächst keine Rede mehr.
Heute ist die Situation eine andere: Bedeutende Mitglieder der Königsfamilie unterstützen die neuen Initiativen wie auch gesellschaftliche Reformen generell. "Nachhaltigkeit ist jetzt ein Anliegen der königlichen Familie geworden", so Tobias Zumbrägel.
Das neue Engagement hat Folgen für die gesamte Region: Die Initiative von Kronprinz Mohammed bin Salman und seine Teilnahme am COP26-Klimagipfel in Glasgow hat die Sorge um den Umweltschutz in einen regelrechten Wettbewerb verwandelt, der vor allem zwischen Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten ausgetragen wird.
Kritik von Joe Biden
Allerdings verlief der Start der Klimakonferenz für Saudi-Arabien durchaus holprig. Auf dem kurz zuvor in Rom stattfindenden G20-Gipfel kritisierte US-Präsident Joe Biden indirekt auch die saudische Umweltschutzpolitik. "Es muss mehr getan werden. Aber dafür müssen wir uns weiterhin auf das konzentrieren, was China nicht tut, was Russland nicht tut und was Saudi-Arabien nicht tut", so Biden auf einer Pressekonferenz zum Abschluss des G20-Gipfels. Dieser endete kurz vor Beginn der Weltklimakonferenz in Glasgow.
Zeitgleich sickerte durch, dass von saudischer Seite offenbar versucht worden war, einen Plädoyer des Weltklimarats IPCC zu ändern, in dem das Gremium einen aktiven Ausstieg aus der Nutzung fossiler Brennstoffen fordert - also dem Kerngeschäft der Saudis. Bislang hat sich Saudi-Arabien zu der entsprechenden Veröffentlichung noch nicht geäußert.
Sorge ums Wasser
"Für die Saudis ist das alles kein Widerspruch: Man kann langfristig Öl exportieren, aber man macht das alles sauber", so Experte Zumbrägel. Er gehe davon aus, dass es in Saudi-Arabien in den nächsten Jahren eine Reihe von neuen Megaprojekten im Bereich der erneuerbaren Energien geben wird. Zu ihnen zählt auch die entstehende Retortenstadt Neom- ein Umweltschutz-Vorzeigeprojekt. Hauptproblem des Wüstenstaates: Fehlendes Süßwasser. Und so wird an einer Effizienzsteigerung von Aufbereitungs- und Meerwasserentsalzungsanlagen gearbeitet.
Das frisch gepflanzte Bäumchen im Park von Riad wird davon sicher profitieren. Denn eines steht bereits fest: Für die Bewässerung der 450 Millionen neuen Bäume, mit den sich Saudi Arabien begrünen will, werden große Mengen Wasser nötigt sein.
Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.