Kenias Hassredner
27. Juni 2014Seit Tagen zirkulieren sie in Westkenia: anonyme Flugblätter, die den Hass zwischen verschiedenen Volksgruppen schüren. "Ihr wolltet den Krieg, jetzt werdet ihr ihn bekommen", lautet eine Warnung an Oppositionsführer Raila Odinga und seine Ethnie der Luo. Ein anderes Flugblatt, datiert auf den 19. Juni, gibt den Luo in der Provinz Rift Valley sieben Tage, die Provinz zu verlassen. "Andernfalls werden wir in jedes Haus eindringen." Auch in den sozialen Netzwerken überschütten sich Angehörige verschiedener Ethnien mit Drohungen und Hassbotschaften. Anlass für die jüngsten verbalen Attacken auf Luo ist offenbar eine Anschlagsserie auf die Küstenstadt Mpeketoni, bei der am 15. und 16. Juni 2014 rund 65 Menschen ums Leben kamen. Obwohl die islamistische Al-Shabaab-Miliz sich zu den Angriffen bekannte, sprach Kenias Präsident Uhuru Kenyatta Tage später von einem Angriff der Opposition auf seine Volksgruppe der Kikuyu.
Der kenianische Menschenrechtsaktivist John Githongo zeigt sich erzürnt. Die Regierung habe sich nach den Angriffen inkompetent gezeigt, sagt er im Gespräch mit der DW. Dass Kenyatta mit dem Finger auf die Opposition zeige, während gleichzeitig der Geheimdienst Al-Shabaab als Täter sehe, sei ungeschickt. "Das sorgt für Verwirrung und schürt die Spannungen in Kenia." Die kenianische Bevölkerung ist in Alarmbereitschaft. Sie fühlt sich an die bürgerkriegsähnlichen Unruhen erinnert, die im Dezember 2007 nach einer umstrittenen Präsidentschaftswahl ausbrachen. Mindestens 1200 Menschen starben und Hunderttausende wurden vertrieben, als Anhänger von Präsident Kibaki und Herausforderer Odinga aufeinander losgingen. Auch damals verliefen die Grenzen entlang ethnischer Linien.
Die Macht der Politiker
Langwierige Verhandlungen führten damals zu einer Machtteilung der Kontrahenten. Die Angst war groß, dass sich das Drama wiederholen würde - doch die Wahlen 2013 verliefen weitgehend friedlich. Dazu habe auch beigetragen, dass mit den Favoriten Uhuru Kenyatta und William Ruto zwei Vertreter beider damaliger Lager ein Wahlbündnis eingegangen seien, sagt Margit Hellwig-Bötte von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Als Präsident und Vize-Präsident steht das Duo nun an der Spitze der Regierung. "Das heißt aber noch lange nicht, dass die Leute auf dem Land wirklich ausgesöhnt sind", so Hellwig-Bötte im Gespräch mit der DW. Der Konflikt schwele weiter - vor allem zwischen den "fanatisierten Anhängern" beider politischer Lager. Mit seinen Anschuldigungen gieße Kenyatta Öl ins Feuer.
Aber auch die Opposition habe provoziert. Neu aufgeflammt waren die Streitigkeiten, als Odinga Anfang Juni einen nationalen Dialog forderte, um die zahlreichen Probleme im Land anzugehen. Er beschuldigt die Regierung, die Bevölkerung nicht ausreichend vor den Anschlägen der somalischen Islamisten von Al-Shabaab zu schützen, und fordert, Kenia solle seine Truppen aus Somalia abziehen und stattdessen die Sicherheit im eigenen Land verbessern.
Schwierige Aufarbeitung
Vertreter von Regierung und Opposition lieferten sich daraufhin einen Schlagabtausch. Einige machten sich dabei die ethnischen Konflikte zunutze. Kenias Staatsanwaltschaft hat nun rund 20 Vertreter der Regierungskoalition und der Opposition vorgeladen, die im Verdacht stehen, Hasspropaganda verbreitet zu haben. Sie müssen sich derzeit Befragungen stellen. So soll die oppositionelle Frauenvertreterin Mishi Mboko öffentlich zur Revolution aufgerufen haben. Der Parlamentarier Moses Kuria aus dem Regierungslager bezichtigte die Luo-Volksgruppe auf seiner Facebookseite der Unruhestiftung und zeigte sich gewaltbereit. Seine Facebookseite wurde inzwischen blockiert.
Das Klima für Hassreden sei günstig, sagt Kenias ehemalige Integrationskommissarin Millie Lwanga. Denn Kenia habe mit vielen Problemen zu kämpfen. Viele würden der Regierungskoalition vorwerfen, nur die Interessen der eigenen Volksgruppen zu bedienen, etwa wenn es um die Besetzung öffentlicher Ämter gehe. "Wenn Menschen in Schwierigkeiten sind und keine Lösung absehen können, sind sie empfänglich für die Propaganda von Unruhestiftern." Lwanga hält es für wichtig, diejenigen strafrechtlich zu verfolgen, die solche Hasspropaganda verbreiten.
Sie selbst kann zur Lösung momentan wenig beitragen. Denn die Nationale Kommission für Zusammenhalt und Integration - einberufen 2008 als unabhängige Institution, um einer Wiederholung der Wahlunruhen vorzubeugen - ist seit Monaten kopflos. Das Mandat von Lwanga und sämtlichen weiteren Kommissaren ist vergangenen September abgelaufen. Die Ausschreibungen für die Neubesetzungen laufen gerade erst an.