Clemens Meyer: "Im Stein"
7. Oktober 2018Hier geht es nicht um die Wohlstandsprobleme junger Großstädter. Statt Latte Macchiato wird literweise Bier getrunken, und statt lockerer One night-Stands gibt es Sado-Maso-Praktiken zu Flatrate-Preisen. Clemens Meyer ist mit seinem Roman eingetaucht in die Welt des gekauften Sex, der Rotlichtclubs und Wohnungsbordelle.
Sex zu Flatrate-Preisen
Es geht um Markt und Moral der Sexindustrie. Polizisten, Politiker und Richter treiben sich ebenso gerne Milieu herum, wie Kleinkriminelle und schwere Jungs. Clemens Meyer hat sein undurchschaubares Geflecht aus Legalem und Illegalem in Leipzig angesiedelt .
Und er lässt fast alle Figuren des Romans zu Wort kommen – Zuhälter, die an der Uni Betriebswirtschaft büffeln, und Huren, die die Wartezeit zwischen zwei Kunden totschlagen. Perspektiven und Tonlagen wechseln unablässig.
"Jede Stunde eine Zigarette […] das geht noch, denke ich. Jenny ist nur am Qualmen und sprüht ständig mit diesem Raumdeo rum. Lavendel-Frühlingsduft. Ich hasse das. Viel quatschen wir jetzt nicht. Sitzen manchmal zusammen im Wohnzimmer, wenn wir warten. Ich würde sagen, kollegial. Sie ist ja ein ganz anderer Typ als ich. Wiegt bestimmt zwanzig Kilo mehr, geht schon Richtung Mutti, aber da stehen genug Kerle drauf, ob man´s glaubt oder nicht."
Panoptikum Rotlichtmilieu
Clemens Meyer montiert schnodderige Selbstgespräche, Traumsequenzen und Tatsachenberichte zu einem gigantischen Panoptikum der Sexindustrie. Seine Milieu-Studie ist frei von Voyeurismus und Sozialromantik, Der Blick des Schriftstellers richtet sich vielmehr auf die ökonomischen Verhältnisse. Zwar hat die Rotlichtszene eigene Herrschaftsstrukturen, doch in ihr spiegeln sich erstaunlich klar auch die Probleme der 'normalen Welt', der Nachwendezeit im Osten Deutschlands.
Globalisierung, internationale Wettbewerbsfähigkeit, Lohndumping. In diesem Roman sind die Zuhälter genauso ausgebrannt wie Manager, und die Prostituierten fürchten die junge Konkurrenz aus Osteuropa. Clemens Meyer moralisiert dabei nicht. Klar, es geht auch um Ausbeutung, um minderjährige Zwangsprostituierte. Die fast beiläufige Sprache, mit der der Autor deren Leid schildert, macht es umso berührender.
Sex ist nichts anderes als eine florierende und knallharte Wirtschaftsbranche, die den Gesetzen des Marktes gehorcht. Clemes Meyer hat in seinem Roman gezeigt, dass es möglich ist, kunstvoll die härtesten Geschichten zu erzählen.
Clemens Meyer: "Im Stein" (2013), Fischer Verlag
Clemens Meyer, geboren 1977 in Halle / Saale, lebt in Leipzig. 2006 erschien sein Debütroman "Als wir träumten", den Andreas Dresen 2015 für das Kino verfilmte. Fünf Jahre lang arbeitete Meyer mit Unterbrechungen an seinem zweiten Roman. "Im Stein" stand 2013 auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis, wurde mit dem Bremer Literaturpreis ausgezeichnet und für den Man Booker International Prize 2017 nominiert.