Sängerin Milva ist tot
24. April 2021"La Rossa" wurde Maria Ilva Biolcati, wie Milva mit bürgerlichem Namen hieß, auch genannt – wegen ihrer feuerroten Haare. Am Freitagabend (23.04.2021) ist die Schlager- und Chansonsängerin in Mailand gestorben. Das bestätigte ihre Sekretärin und Vertraute Edith Meier, mit der Milva im Zentrum der Stadt wohnte. Wegen gesundheitlicher Probleme hatte sich die populäre Künstlerin in den vergangenen Jahren weitgehend aus der Öffentlichkeit zurückgezogen.
Große Fan-Gemeinde auch in Deutschland
Italiens Kulturminister Dario Franceschini nannte sie "eine große Italienerin" und "eine der stärksten Interpretinnen des italienischen Chansons". Mit ihrer Stimme habe sie "intensive Emotionen" bei ganzen Generationen geweckt und den Namen des Landes hoch gehalten.
Das musikalische Repertoire von "La Rossa" umfasste kommerzielle Schlager ebenso wie anspruchsvolle Chansons. In den 1960er und 1970er Jahren wurde Milva auch über die Grenzen Italiens hinaus berühmt: Unter anderem in Lateinamerika, Spanien und Frankreich hörten die Menschen ihre Songs – vor allem in Deutschland hatte sie eine große Fan-Gemeinde. Der Diva mit der roten Mähne gelangen zahlreiche Hits – bekannt wurde sie unter anderem für ihren Song "Hurra, wir leben noch". Ihr erfolgreichstes Album in Deutschland war "Von Tag zu Tag", es enthielt Songs des griechischen Komponisten Mikis Theodorakis.
Aus einfachen Verhältnissen auf die große Bühne
Maria Ilva Biolcati kam aus kleinen Verhältnissen: Am 17. Juli 1939 kam sie als Tochter einer Schneiderin und eines Fischers in dem kleinen Ort Goro in der Region Emilia-Romagna an der Adriaküste zur Welt. Ihr Vater verlor seinen Besitz und das Mädchen Maria musste früh mitanpacken und Geld für die Familie verdienen.
Sie zog nach Bologna, nahm an einem Gesangswettbewerb teil und erhielt eine Gesangs- und Schauspielausbildung. Dutzende Alben nahm sie auf, sang auf Tourneen und auf Theaterbühnen. Zwischen 1961 und 2007 trat sie allein fünfzehnmal bei Italiens bedeutendstem Schlagerfestival in San Remo auf. 1961 wurde sie dort Dritte, 1962 Zweite, gewinnen konnte sie den Wettbewerb nie.
Damit hält sie den Rekord der meisten Teilnahmen ohne Sieg. Ihrer Karriere tat das allerdings keinen Abbruch. Milva sang nicht nur auf Italienisch, sondern auch auf Englisch, Deutsch, Französisch, Spanisch, Griechisch, Portugiesisch und Japanisch. Auch das trug zu ihrer Bekanntheit bei.
Die deutschen Texte lieferte der vielbeschäftigte deutsche Autor Thomas Woitkewitsch, der für die italienische Sängerin zum Freund und engen Berater wurde. "Ich habe mit Thomas damals sehr lange und intensiv über die Auswahl der Lieder gesprochen, denn ich wollte mich mit den Stücken identifizieren können. Ich habe das auch danach immer so gehalten, denn es machte mir viel Freude mit den Autoren meiner Lieder zu sprechen und mit ihnen an meinen Stücken zu arbeiten", so Milva rückblickend. Sich selbst hat sie allerdings immer nur als Interpretin gesehen. Eigene Lieder hat sie nie geschrieben.
Karriere statt Privatleben
Milva arbeitete unermüdlich - 50 Jahre lang. Für ein Familienleben hatte sie kaum Zeit. Das bekam auch ihre 1963 geborene Tochter Martina zu spüren, die oft auf ihre Mutter verzichten musste. Milva gab ein Konzert nach dem anderen, nahm 173 Alben in verschiedenen Sprachen auf, präsentierte sich auf vielen dieser Alben mit neuen Ideen und wartete immer wieder mit einem überraschenden Repertoire auf.
Sie sang mit dem Erneuerer des argentinischen Tango, dem 1992 verstorbenen Astor Piazzolla, nahm französische Chansons auf und begann eine langanhaltende Zusammenarbeit mit ihrem Landsmann, dem innovativen Liedermacher Franco Battiato. Mit ihm spielte sie 1989 das Album "Una Storia Inventata", "Eine erfundene Geschichte", ein.
"La Rossa" blieb nicht "nur" ein Schlager- und Chansonstar. In den 1980er Jahren wirkte sie als Schauspielerin in mehreren Spielfilmen mit, unter anderem 1987 in einer Nebenrolle in Wim Wenders‘ Meisterwerk "Der Himmel über Berlin".
Mit Brecht und Weill zu Weltruhm
1965 holte sie der bekannte italienische Theaterregisseur Giorgio Strehler an sein "Piccolo Teatro" in Mailand. Milva erinnert sich an diese wichtige Station in ihrer Laufbahn noch sehr gut: "Giorgio Strehler machte mich mit dem Repertoire von Bertolt Brecht und Kurt Weill bekannt. Er gab mir den Anstoß dazu, ihre Lieder zu singen. Ich beschäftigte mich sehr intensiv mit den Stücken und sie begeisterten mich sehr", sagte die Sängerin einmal. "Ich sang und interpretierte sie mit viel Gefühl. Ich liebe die Gedichte von Brecht, mag die Musik von Eisler und Weill. Das Theater wurde zu meiner großen Leidenschaft, und ich habe sehr viel und sehr eng mit Giorgio Strehler zusammengearbeitet."
Milva schaffte den Sprung zur anerkannten Brecht-Interpretin: Sie verkörperte die "Seeräuberjenny" in Bertolt Brechts berühmter "Dreigroschenoper" - und überzeugte nicht nur das Publikum, sondern auch die Fachwelt. Ihre Brecht-Darstellungen machten die italienische Sängerin weltweit bekannt und verhalfen ihr zu einem glänzenden Renommee.
Sie gab Konzerte an der Mailänder Scala, der Pariser Oper, in der Royal Albert Hall in London und an der Deutschen Oper in Berlin. Für ihre herausragenden Interpretationen von Brecht- und Weill-Stücken verlieh der damalige Bundespräsident Horst Köhler Milva 2006 das Bundesverdienstkreuz.
Milva, "die Rote"
In den 1960er- und 1970er-Jahren sang die überzeugte Sozialistin in politischen Chansons vom Arbeitermilieu und nahm die Partisanenhymne "Bella Ciao" in ihr Repertoire auf. Das war auch die Geburtsstunde ihres Spitznamen "die Rote" - der Name stand nicht nur für ihre leuchtende Haarpracht, sondern war auch eine Anspielung auf ihr politisches Engagement.
2010 verließ Milva die Bühne. In einem in den sozialen Medien veröffentlichten Brief verabschiedete sie sich von ihren Fans und teilte ihr Karriereende mit. "Ich habe mein Metier würdevoll und wohl auch gut gemacht", schrieb sie. Sie habe sich zu diesem Schritt entschlossen, weil sie nicht mehr in der Lage sei, "ihn auf die beste Art und Weise auszuüben". "Ich verliere leider auch mein Gedächtnis", gab sie bei ihrem letzten Fernsehinterview im selben Jahr zu.
"Ich verliere leider mein Gedächtnis"
Hin und wieder absolvierte sie anschließend aber doch noch Auftritte auf der Konzertbühne oder vor der Fernsehkamera. Ihre vielen Fans in Deutschland machte sie zwei Jahre später mit einem Auftritt in der beliebten TV-Unterhaltungsshow "Musikantenstadl" glücklich.
Danach lebte die Sängerin mit der kraftvollen, erdigen Stimme zurückgezogen. Die Auszeichnung für ihr Lebenswerk, die ihr das Schlagerfestival von San Remo 2018 verlieh, nahm ihre Tochter Martina für sie entgegen.