Chronik: Bundestagswahlen von 1949 bis 2002
2. Oktober 2005
Im August 1949 konnten die volljährigen Bürger Westdeutschlands erstmals seit dem Ende der Weimarer Republik wieder ein Zentralparlament in freien Wahlen bestimmen. Am Vorabend der Wahl rief Wilhelm Kaisen, der Senatspräsident Bremens, die Bürger zur Wahl auf: "Morgen müssen alle Wahlberechtigten an die Wahlurne treten und zum ersten Bundestag wählen. Keiner darf fehlen, wer jetzt nicht wählt, hat bekanntlich später auch kein Recht zum Schimpfen."
Nahezu vier Fünftel der Wahlberechtigten wollten sich das Recht zum Schimpfen nicht nehmen lassen und fanden den Weg zu den Urnen - mit 31 Prozent schnitten CDU und CSU am besten ab, kaum zwei Prozentpunkte vor der SPD, für die gleichwohl eine 17jährige Oppositionszeit begann. Erster Bundeskanzler wurde der CDU-Vorsitzende Konrad Adenauer. Bei seiner Wahl im Bundestag erreichte er die denkbar knappste Mehrheit von einer Stimme. Sie beruhte auf der Koalition von CDU/CSU, FDP und der betont konservativen Deutschen Partei (DP).
Die Ära Adenauer
Adenauer ging es nicht zuletzt um die Festigung der Marktwirtschaft und um die Integration der Bundesrepublik ins westliche Lager. Ein Vorhaben, dem er letztendlich den Vorrang vor der deutschen Wiedervereinigung einräumte. Wesentlicher Schritt der Westintegration war der 1955 vollzogene Eintritt der Bundesrepublik in die Nato. Zwei Jahre zuvor war die Regierung Adenauer bei der Bundestagswahl nachdrücklich bestätigt worden. Gut 45 Prozent konnten CDU und CSU verbuchen.
Adenauer bildete wiederum eine Koalitionsregierung, in der neben FDP und DP auch der Gesamtdeutsche Block - eine Partei, die sich vor allem den Vertriebenen verpflichtet fühlte - vertreten war. Der komfortablen Regierungsmehrheit stand eine leicht geschwächte SPD gegenüber. Sie zog auch bei der Bundestagswahl 1957 mit Abstand den Kürzeren. Zwar begann in diesem Jahr ihr bis 1972 anhaltender regelmäßiger Stimmenzuwachs, doch die CDU/CSU errang mit dem Wahlslogan "Keine Experimente" die absolute Mehrheit - ein von keiner Partei bei Bundestagswahlen je wiederholtes Ergebnis.
Ein Wahlslogan spielte auch bei der Wahl 1961 eine wichtige Rolle. Die FDP hatte sich zwar auf eine Koalition mit der CDU/CSU festgelegt, wollte diese aber ohne Konrad Adenauer bilden. Zwar kam es zum Regierungsbündnis - die Union hatte die absolute Mehrheit verloren - jedoch hieß der Kanzler weiterhin Adenauer. Vorläufig, denn er hatte im Zuge der Koalitionsverhandlungen zugesagt, vorzeitig zurückzutreten.
Auf der Seite der SPD-Opposition - der Bundestag war nur noch ein Drei-Parteien-Parlament - hatten sich inzwischen ebenfalls einschneidende Veränderungen vollzogen. Mit ihrem Godesberger Programm von 1959 hatte die Partei auch in der Programmatik, wie schon längst in ihrer politischen Praxis, Abschied von den verbliebenen marxistischen Elementen genommen. Und 1960 folgte der außenpolitische Kurswechsel. Der bislang als Hindernis für die deutsche Wiedervereinigung abgelehnte Nato-Beitritt wurde nunmehr auch von den Sozialdemokraten akzeptiert.
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Zeit des Wirtschaftswunders und der Großen Koalition
1963 kam es zum Rücktritt Adenauers. Sein Nachfolger wurde der vormalige Wirtschaftsminister Ludwig Erhardt, der als "Vater des Wirtschaftswunders" galt. Seine Regierungszeit stand unter dem Eindruck einer wirtschaftlichen Rezession, die letztlich zum Scheitern der Koalition beitrug. Noch bei der Bundestagswahl 1965 hatten die Koalitionsparteien einen deutlichen Sieg errungen, doch schon ein Jahr später konnten sich die Partner nicht darüber verständigen, wie man das absehbare Haushaltsloch stopfen könnte. Die FDP widersetzte sich den von der Union anvisierten Steuererhöhungen, die Koalition zerbrach.
Damit begann die dreijährige Phase der Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD. Bundeskanzler wurde der CDU-Politiker Kurt-Georg Kiesinger, der SPD-Vorsitzende und vormalige Berliner Bürgermeister Willy Brandt wurde Vizekanzler und Bundesaußenminister. In seiner Regierungserklärung rechtfertigte Kiesinger die Große Koalition: "Die stärkste Absicherung gegen einen möglichen Missbrauch der Macht ist der feste Wille der Partner der Großen Koalition, diese nur auf Zeit, also bis zum Ende dieser Legislaturperiode, fortzuführen."
So kam es dann auch, wenngleich das endgültige Resultat der Bundestagswahl von 1969 nicht in Kiesingers Sinn sein konnte. Seine Partei musste erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik in die Opposition. Die SPD koalierte mit der FDP, Willy Brandt wurde Bundeskanzler, der FDP-Chef Walter Scheel Außenminister. Die Regierung trat mit erheblichem innenpolitischen Reformwillen an. "Wir wollen mehr Demokratie wagen. Wir werden darauf hinwirken, dass jeder Bürger die Möglichkeit erhält, an der Reform von Staat und Gesellschaft mitzuwirken", erklärte Brandt in seiner Regierungserklärung.
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Die unruhigen 1970er Jahre
Neben einer Reihe innenpolitischer Reformen ging es der Brandt-Regierung vor allem um Entspannung im Verhältnis zu Osteuropa und der DDR. Die heftigen innenpolitischen Auseinandersetzungen darüber führten 1972 fast zum Sturz des Kanzlers. Mehrere Abgeordnete von SPD und FDP hatten ihre Parteien verlassen. Die CDU/CSU sah ihre Stunde gekommen und brachte ein konstruktives Misstrauensvotum ein. Damit sollte Brandt abgewählt und durch den CDU-Vorsitzenden Rainer Barzel ersetzt werden. Der Anlauf scheiterte knapp, aber gleichwohl verfügte die Regierung nicht mehr über die Mehrheit im Parlament. Die Folge waren die Auflösung des Bundestages und vorgezogene Neuwahlen im Herbst. Bei dieser Wahl errangen die Sozialdemokraten mit fast 46 Prozent der Stimmen ihr bis heute bestes Ergebnis auf Bundesebene. Die Koalition mit der FDP wurde fortgesetzt.
Das galt auch nach 1974 als Willy Brandt vor dem Hintergrund der Affäre um einen in seiner Umgebung enttarnten DDR-Spion zurücktrat. Neuer Bundeskanzler wurde Finanzminister Helmut Schmidt, der die Außenpolitik Brandts fortsetzte, sich aber auch mit wachsenden wirtschaftlichen Problemen auseinanderzusetzen hatte. Die reichten auch noch über die Bundestagswahl von 1976 hinaus. Zwar wurde die SPD/FDP-Koalition bestätigt, doch stellte die CDU/CSU mit ihrem Kanzlerkandidaten Helmut Kohl wieder die stärkste Fraktion im Bundestag. Vier Jahre später ähnelte sich das Bild: Die Union blieb stärkste Fraktion, aber SPD und FDP stellten - mit Stimmenzuwächsen - weiterhin den Bundeskanzler.
In der folgenden Phase verschärften sich die Gegensätze zwischen SPD und FDP. Während die Liberalen aus Gründen des Sparzwanges für Schnitte auch in der Sozialpolitik plädierten, taten sich die Sozialdemokraten mit diesem Ansatz sehr schwer. Darüber hinaus hatte die SPD interne Spannungen darüber auszuhalten, ob die von Helmut Schmidt befürwortete Nachrüstung atomarer Mittelstreckenraketen auf deutschem Boden tatsächlich nötig sei. Unter dem Eindruck schlechter Umfragewerte verließ die FDP die Koalition, wandte sich der CDU/CSU zu und wählte Helmut Kohl im Bundestag zum neuen Bundeskanzler.
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Vorgezogene Neuwahlen unter Kohl
Bei der vorgezogenen Bundestagswahl Anfang 1983 fand die Regierung die Zustimmung der Wähler. Daneben schafften erstmals die Grünen den Einzug in den Bundestag. Die Regierung sah sich auf der innenpolitischen Bühne mit dem Problem der Arbeitslosigkeit konfrontiert. In der Außenpolitik setzte sie den Kurs der sozialliberalen Koalition fort, zumal mit Hans-Dietrich Genscher der bereits seit 1974 amtierende Außenminister im Amt blieb.
Bei der Bundestagswahl 1987 musste die CDU/CSU zwar spürbare Stimmenverluste hinnehmen, an der Fortsetzung der Koalition bestand jedoch kein Zweifel. Das galt auch 1990, bei der ersten Bundestagswahl nach der deutschen Vereinigung. Allerdings hatte das Parlament nunmehr ein anderes Gesicht. Die Grünen waren an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert und aufgrund einer für diese erste gesamtdeutsche Wahl geltenden Sonderregelung nur mit acht Abgeordneten von Bündnis 90 aus Ostdeutschland im Parlament vertreten. Stärker war die SED-Nachfolgepartei PDS, die es zwar auch nicht auf fünf Prozent brachte, aufgrund derselben Sonderregelung allerdings mit 17 Abgeordneten vertreten war.
Auch 1994 fand die nach wie vor von Helmut Kohl geführte CDU/CSU-FDP-Koalition eine allerdings geschmälerte Mehrheit. Die Grünen schafften wieder den Sprung in den Bundestag und überflügelten dabei sogar die FDP. Die PDS blieb zwar unterhalb der Fünf-Prozent-Hürde, erreichte aber die "ersatzweise" nötigen drei Direktmandate und war mit 30 Sitzen im Bundestag vertreten.
Lesen Sie im zweiten Teil, wie es zum ersten kompletten Regierungswechsel in der Bundesrepublik kam und wie Schröder es schaffte, auch ein zweites Mal gewählt zu werden.
Erster kompletter Regierungswechsel
Die Bundestagswahl 1998 brachte demgegenüber eine echte Zäsur in der bundesdeutschen Geschichte. Erstmals kam es zu einem Regierungswechsel, bei dem alle die alte Bundesregierung tragenden Parteien in die Opposition gehen mussten. Nach 16 Jahren wurde Helmut Kohl abgewählt, die CDU/CSU verlor mehr als sechs Prozentpunkte und kam nur noch auf rund 35 Prozent.
Die SPD erreichte mit knapp 41 Prozent der Stimmen ihr zweitbestes Ergebnis seit 1949. Die Koalition mit den Grünen war schnell gebildet. Gerhard Schröder wurde zum siebten Bundeskanzler gewählt. Die Regierung konnte sich auf 345 Sitze stützen. Ihr standen 324 Abgeordnete der Opposition aus CDU/CSU, FDP und PDS gegenüber.
Eine komfortable Mehrheit, die allerdings vier Jahre später erheblich schmolz. Die Koalitionsparteien, SPD und Grüne, erreichten bei der Bundestagswahl 2002 nur noch eine knappe Mehrheit vor CDU/CSU und FDP. Und dass die überhaupt erzielt wurde, lag nicht zuletzt am gelungenen Krisenmanagement der Bundesregierung angesichts der Hochwasserkatastrophe an Elbe und Oder; vor allem aber wirkte sich das Nein Berlins zum Irak-Krieg der USA günstig bei den Wählern aus.
Mit den im Frühjahr 2003 begonnenen Sozial- und Arbeitsmarktreformen schwand jedoch der Rückhalt in der Bevölkerung. Die Schnitte ins soziale Netz wurden vor allem der SPD negativ angerechnet. Sie verlor eine Reihe von Landtagswahlen, zuletzt die in ihrem "Stammland" Nordrhein-Westfalen, wo im Mai 2005 die letzte rot-grüne Landesregierung abgewählt wurde. Kanzler Schröder zog die Konsequenz und erklärte noch am gleichen Abend, Neuwahlen zum Bundestag anstreben zu wollen. Und bei denen, folgt man den Demoskopen, hat die rot-grüne Koalition, kaum Aussichten auf Bestätigung.