Chinas "Umarmung" der Pazifikinseln beunruhigt Westen
2. Dezember 2019Um sie auf einer Landkarte zu finden, muss man ganz genau hinschauen: Die südpazifischen Inseln. Bilder zeigen Palmen, strahlend blaues Wasser und traumhafte Strände. Doch dieses Inselparadies wird immer mehr zum Schauplatz einer strategischen Rivalität zwischen China und den westlichen Mächten, in erster Linie Australien und USA.
Peking hat in den vergangenen zehn Jahren sechs Milliarden US-Dollar an Zuschüssen und Vorzugskrediten für diverse Infrastrukturmaßnahmen in den zumeist armen Staaten gewährt, von Neu-Guinea bis zum über 4000 Kilometer weiter östlich liegenden Inselstaat Tonga. Parallel dazu verdrängt Peking Taiwan immer weiter aus der Region. Nur noch vier Staaten - Marshall-Inseln, Nauru, Palau und Tuvalu - sind diplomatische Verbündete Taiwans.
Wirbel um Verpachtung einer Salomonen-Insel
Das Beispiel der Salomonen zeigt deutlich die enge Verquickung von Chinas diplomatischen, wirtschaftlichen und strategischen Absichten. Nur wenige Tage, nachdem die Salomonen, ein Archipel mit 630.000 Einwohnern vor der Ostküste Papua-Neuguineas, Ende September 2019 die diplomatischen Beziehungen zu Taiwan abbrachen und mit Peking aufnahmen, wurde ein undurchsichtiger Pachtvertrag mit dem staatlichen chinesischen Konglomerat Sam Group für die Insel Tulagi (Bewohner: 1000) unterzeichnet, wie die New York Times Ende Oktober enthüllte. Die künftige Nutzung des Geländes sollte dem Investor völlig überlassen werden.
In der Bevölkerung regte sich Widerstand. Es wurde befürchtet, dass am Ende China einen militärischen Stützpunkt dort errichten wollte. Der Vertrag wurde schließlich von der Regierung der Salomonen für ungültig erklärt, da er nicht von ihr, sondern von der Provinz, zu der Tulagi gehört, unterzeichnet wurde.
Geostrategische Rivalität
Die USA, die vergeblich versucht hatten, die Salomonen von ihrem diplomatischen Schwenk zu Peking abzubringen, zeigten sich über die Absage des Pachtgeschäfts zufrieden. "Souveränität, Transparenz und Rechtsstaatlichkeit hätten obsiegt", so US-Verteidigungsminister Mark Esper. Die Retourkutsche aus Peking ließ nicht auf sich warten: "Wir müssen die Amerikaner wirklich fragen: Sind sie wirklich so besorgt um die Interessen der pazifischen Inselstaaten und ihrer Einwohner, oder liegen ihnen nicht doch ihre geopolitischen Interessen mehr am Herzen?"
Dass es um geostrategische Rivalität geht, steht außer Frage, wie Roland Seib, der seit den 80er Jahren die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen im Südpazifik vor Ort beobachtet, im DW-Gespräch erläutert. "Es gibt die großen Ängste, dass China über das Südchinesische Meer hinaus mittelfristig auch Anspruch auf den Südpazifik anmeldet und die USA zurückdrängen will."
Dazu komme die Sorge, dass China zivilgesellschaftliche Freiheiten und die Demokratie in den Ländern untergraben könnte. Doch das sei mehr ein Problem aus der Sicht des Westens. "Die Kleinstaaten im Pazifik sehen das Problem nicht", so Seib. Für die meisten von ihnen stehe die Hilfe aus China als Geldgeber im Vordergrund, denn sie hätten kaum Möglichkeiten, selbstständig wirtschaftliches Wachstum zu generieren.
Wirtschaftliche Abhängigkeiten
Am stärksten wirtschaftlich abhängig von China sind Tonga, Samoa und Vanuatu. Letzterem hatte China 2016 ein riesiges Konferenzzentrum für knapp 30 Millionen US-Dollar spendiert, inzwischen kann das Land die Anlage nicht mehr aus eigener Kraft unterhalten. Dass China die Länder bewusst in eine Schuldenfalle locken wolle, wie manchmal behauptet, wird vom australischen Lowy Institut, das sich auf die Politik des Inselstaaten und die regionalen Beziehungen spezialisiert hat, nicht bestätigt, allerdings habe der Verschuldungsgrad Papua Neuguineas und Vanuatus "gefährliche" Ausmaße erreicht.
Vor diesem Hintergrund rechnen amerikanische und australische Sicherheitskreise damit, dass eine chinesisch finanzierte große Kaianlage in Vanuatu, die größte ihrer Art im Südpazifik, eines Tages von China als Marinestützpunkt genutzt werden könnte. Im vergangenen Jahr wurden Medienberichte über einen solchen Plan von Vanuatu und Peking dementiert. China besitze zwar derzeit keinen Militärstützpunkt im Südpazifik, erklärt Südpazifik-Kenner Roland Seib, die Ängste, dass China seinen militärischen Einfluss dort ausdehnen könnte, seien dennoch real: "Das muss nicht jetzt kommen, aber das kommt vielleicht in zehn Jahren."
Neues Interesse am Südpazifik - auch in Berlin
Australien ist aktiv geworden und hat diesen Sommer eine militärische Ausbildungseinheit zur Unterstützung seiner pazifischen Nachbarstaaten ("Pacific Support Force") aufgestellt. Es soll um Sicherheit, Katastrophenschutz, humanitäre Hilfe gehen. Dass es indirekt auch um eine Antwort auf Chinas Ausdehnung in der Region geht, macht Canberras amtliche Sprachregelung deutlich: "Australien hat ein dauerhaftes Interesse an einem südwestlichen Pazifik, der strategisch gesichert, wirtschaftlich stabil und politisch souverän ist."
Inzwischen sieht sich sogar Deutschland gefordert, dazu seinen Beitrag zu leisten, wie Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer auf einer Grundsatzrede zur Sicherheitspolitik Anfang November durchblicken ließ: "Unsere Partner im Indo-Pazifischen Raum - allen voran Australien, Japan und Südkorea, aber auch Indien - fühlen sich von Chinas Machtanspruch zunehmend bedrängt. Sie wünschen sich ein klares Zeichen der Solidarität für geltendes internationales Recht, für unversehrtes Territorium, für freie Schifffahrt. Es ist an der Zeit, dass Deutschland auch ein solches Zeichen setzt, indem wir mit unseren Verbündeten Präsenz in der Region zeigen."
Meeresspiegel steigt und Peking rückt näher
Dass demnächst die Flagge der Deutschen Marine in der Korallensee weht, ist dennoch nicht zu vermuten. Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums in Berlin sagte auf Nachfrage der DW: "Es gibt vielfältige, nicht nur militärische Optionen unterschiedlicher maritimer deutscher Präsenz. Dazu zählen der strategische Dialog auf verschiedenen Ebenen, die Mitfahrt von deutschen Soldatinnen oder Soldaten auf ausländischen Schiffen sowie die Teilnahme an Manövern und Übungen im indopazifischen Raum. Aktuell hat man sich auf keine bestimmte Option festgelegt."
Auf den besonders flachen Inseln, die sich an ihren höchsten Punkten nur wenige Meter über den Meeresspiegel erheben, dürfte die Hauptsorge sowieso weniger chinesischen Expansionsgelüsten als dem steigenden Meeresspiegel gelten. Als Peking jedoch Tuvalu Finanzhilfe für den Bau künstlicher Inseln anbot, lehnte der Zwergstaat ab. Man stehe weiter fest zu den Beziehungen mit Taiwan.
Mitarbeit: Hans Spross