Machtdemonstration vor Taiwans Küste
27. Juni 2017Dass Taiwan international isoliert ist, erfuhr Jung-Shian Li am vergangenen Samstag am Flughafen Frankfurt am eigenen Leibe. Li, Professor an der Cheng-Kung-Nationaluniversität in Taiwan, konnte die Mitarbeiter der Turkish Airlines nur mit Mühe davon überzeugen, dass er kein Bürger der Volksrepublik China ist, der für sein Reiseziel Israel ein Visum benötigt hätte. Als Taiwaner darf er nämlich ohne Visum nach Israel einreisen.
"Wäre es nicht einfacher, nur ein China zu haben?", habe der Mitarbeiter gefragt, der pflichtgemäß vor dem Abflug die Einreiseerlaubnis des Reisenden prüft. "Nein, es gibt ein China und ein Taiwan", erwiderte Li.
Taiwan, oder wie sich das Land selbst offiziell nennt: die Republik China, wird heute zwar nur von 20 Ländern der Welt anerkannt, meistens kleinen Staaten in Lateinamerika und Afrika. Aber mit ihrem Reisepass dürfen Taiwaner visumfrei in 124 Länder reisen, einschließlich in den Schengen-Raum, in die USA und eben nach Israel. Ein Widerspruch, den Jung-Shian Li grotesk nennt: "Taiwan hat wie die westliche Welt eine freiheitliche und demokratische Gesellschaft. Es ist auch eine große regionale Wirtschaftsmacht. Viele Länder erkennen aber die Existenz des 23-Millionen-Landes nicht an, bieten uns dagegen visumfreies Reisen an."
Peking erhöht diplomatischen Druck
Die Mehrheit der internationalen Gemeinschaft erkennt nur die Volksrepublik China an. Taiwan, der Inselstaat, ein demokratisches Vorbild für Asien, wird außenpolitisch isoliert und sieht seine Existenz durch China, das Festland, bedroht. 2005 verabschiedete Peking das Anti-Abspaltungsgesetz, das der Wiedervereinigung mit Taiwan durch Waffengewalt den Weg ebnet.
Seit 2016 Tsai Ing-wen von der chinakritischen Demokratischen Fortschrittspartei (DPP) zur Präsidentin Taiwans gewählt wurde, hat Peking die Daumenschraube angezogen. Innerhalb von zwölf Monaten hat Taiwan drei diplomatische Verbündete an China verloren. Weitere werden vermutlich folgen. Die Teilnahme an der Generalversammlung der Weltgesundheitsorganisation war 2017 zum ersten Mal seit acht Jahren nicht möglich. Die Einladung blieb vermutlich aufgrund chinesischen Drucks aus, so dass Taiwan nicht einmal als Beobachter der Versammlung beiwohnen durfte.
Abschreckendes Beispiel Hongkong
Immer weniger Menschen auf Taiwan wollen eine Wiedervereinigung mit dem Festland nach dem Modell "Ein Land, zwei Systeme". Anlass für Besorgnis gibt die Entwicklung in Hongkong, wo am 1. Juli, dem kommenden Samstag, der 20. Jahrestag der Wiederherstellung der chinesischen Souveränität gefeiert wird.
Dass zum Beispiel die im Hongkonger Grundgesetz vorgesehenen Direktwahlen des Parlaments und des Verwaltungschefs immer wieder auf die lange Bank geschoben werden, dass Demokratieaktivisten schikaniert werden und dass Hongkongs Buchhändler plötzlich spurlos verschwanden und Tage später auf dem Festland nach "freiwilliger Ausreise" wegen vermeintlicher Strafverfolgung auftauchten, sorgte in Taiwan für Schlagzeilen.
Die 23jährige Ka-Lam Cheng aus Hongkong studiert seit vier Jahren in Taiwan. Der DW sagt sie: "China hat sich in vielerlei Hinsicht in Hongkongs Angelegenheiten eingemischt. Ich habe kein Vertrauen mehr in Peking und bin sehr enttäuscht."
China solle auf die Forderungen der Hongkonger Bürger nach mehr Demokratie hören und positiv darauf reagieren, fordert Chang Tien-Chin, Vizevorsitzender des taiwanischen Amts für Festlandangelegenheiten. "Nur so können nämlich Wohlstand und Wachstum in Hongkong garantiert, eine bessere Verständigung zwischen beiden Seiten der Taiwan-Straße ermöglicht und schließlich das Vertrauen der internationalen Gemeinschaft in Festland-China gestärkt werden."
"Ein Land, zwei Systeme" auf Taiwan unerwünscht
Viele Politikwissenschaftler in Taiwan sehen keine Chance dafür, das Modell "Ein Land, zwei Systeme" auf Taiwan zu übertragen. Taiwan sei nicht vergleichbar mit Macao oder Hongkong, sagt Lai Yueh-Tchinn, Professor an der Shijian Universität in Taiwan. "Hongkong und Macao waren von vornherein untergeordnete Verwaltungseinheiten Chinas und später Kolonien des britischen Königreiches oder Portugals. Taiwan und China haben aus politischer Sicht aber eine gleichrangige Stellung." Allerdings schließt er nicht aus, dass Taiwans Regierung mit China über weitere Optionen verhandeln könnte.
Taiwan werde die Hongkonger Option nicht akzeptieren, die lediglich eine gewisse Autonomie auf Zeit ermöglicht, sagt Tzeng Fuh-Wen. Er ist Berater der "National Policy Foundation", einer Denkfabrik der chinafreundlichen Oppositionspartei Kuomintang (KMT). "Die Republik China (Taiwan) ist ein souveräner Staat", sagt Tzeng.
"Das Hongkonger Modell 'Ein Land, zwei Systeme' ist nur Theater", sagt Jung-Shian Li, der am Frankfurter Flughafen die Diskussion über zwei China hatte. "Die schauspielerische Leistung Hongkongs ist ziemlich schlecht. Und aus einer Komödie wird nun eine Tragödie."
Chinas Flugzeugträger-Diplomatie
Das Pekinger Verteidigungsministerium gab am Donnerstag bekannt, dass ein Kampfverband um den Flugzeugträger "Liaoning" an den Feierlichkeiten in Hongkong Anfang Juli teilnehmen werde. Schon am letzten Samstag hatte die "Liaoning" den Heimathafen Qingdao zu einer Routineübung verlassen habe. Der Verband bestehe aus zwei Zerstörern, einer Fregatte sowie mehreren Kampfjet des Typs J-15 und Hubschraubern.
Auf dem Weg nach Hongkong müsste die „Liaoning" die Insel Taiwan passieren. Es fragt sich nur, auf welcher Route. Die normale und weniger provozierende wäre die durch die Gewässer zwischen Taiwan und China, die sogenannte Straße von Taiwan, und zwar westlich der Mittellinie auf der Seite zum Festland.
Doch das Verteidigungsministerium Taipeh befürchtet, dass die „Liaoning" einen Bogen östlich um Taiwan fahren werde, um die militärische Macht und die chinesische Souveränität über Taiwan zu demonstrieren. Das wäre schon das zweite Mal, seit Tsai Präsidentin Taiwans wurde. "Das Verteidigungsministerium wird kontinuierlich die Bewegung der kommunistischen Streitkräfte verfolgen und entsprechend darauf reagieren", hieß es aus Taipeh.
"Es ist klar eine militärische Drohgebärde durch China", sagt Jung-Shian Li. "Aber durch die Wahl der chinakritischen Präsidentin Tsai Ing-wen haben die Taiwaner unmissverständlich zum Ausdruck gebracht: Wir lassen uns nicht einschüchtern."
Mitarbeit: Chiu Bi-whei aus Taipeh