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Chinas grüne Revolution braucht Zeit

Frank Sieren (Peking)5. Februar 2014

Smog, giftiges Grundwasser, belastete Böden: Chinas Umwelt steht vor dem Infarkt. Die Regierung hat den Kampf gegen das Problem zwar aufgenommen – bis Resultate sichtbar werden, wird es aber dauern.

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Im Dezember 2013 ist der Smog in Shanghai fast undurchdringlich
Bild: picture alliance/AA

Es gibt auch Tage wie diesen, Anfang Februar in Peking: Ein Himmel so blau wie in Norwegen mit Luftwerten wie in München. Und die gibt es selbst, wenn die Chinesen nicht gerade chinesisch Neujahr feiern und die Megastädte verwaist sind. Gleichzeitig jedoch werden die schlechten Tage immer schlechter - und häufiger. Und deshalb ist ein neuer Trend unter jungen Pekingern entstanden: Sie checken mit ihren Smartphones die Luftwerte des Tages - und wenn sie entdecken, dass über Shanghai dickerer Smog hängt als bei ihnen selbst, schicken sie schadenfrohe Grüße über die sozialen Netzwerke zu ihren Freunden. Die Retourkutsche folgt meist schon nach einigen Tagen, sobald der Wind dreht und Peking in den Schadstoff-Charts wieder die Nase vorn hat.

Transparenz für dicke Luft

Dass dieser Galgenhumor jetzt möglich ist, ist für China ein großer Fortschritt. Noch vor zwei Jahren waren Apps, die über Schadstoffwerte informieren, von der Regierung gesperrt. Giftiger Smog wurde wahlweise als Nebel oder Dunst abgetan. Und auch andere Umweltskandale, wie vergiftete Lebensmittel und belastetes Trinkwasser, wurden so gut es ging vertuscht. Inzwischen ist die Umweltverschmutzung in China in der öffentlichen Debatte das Thema Nummer eins geworden. Die staatseigenen Zeitungen fordern die Regierung in ihren Kommentaren regelmäßig auf, die Probleme entschlossen anzugehen. Präsident Xi Jinping hat inzwischen betont, dass er nicht bereit sei, die Umwelt dem Wachstum zu opfern. Eine Floskel? Kaum. Xi macht sich keine Illusionen, dass die politische Stabilität des Landes an diesem Thema hängen kann. Deshalb gibt die Regierung im Laufe des aktuellen Fünfjahresplans dreimal so viel Geld für Umweltschutz aus wie in dem vorherigen. Seit Anfang des Jahres müssen 15.000 Unternehmen, darunter wichtige Staatsbetriebe, die Werte ihrer Luft- und Wasserverschmutzung in Echtzeit nach Peking übermitteln. Selbst die skeptischen US-Amerikaner vom Natural Recources Defence Council in Washington sprechen von "der größten Maßnahme", die die Chinesen im Umweltschutz ergriffen haben.

Smog in Chinas Stadt Harbin vom November 2013
In vielen Städten Chinas ein alltägliches Problem: SmogBild: picture-alliance/dpa

Baustelle Lebensmittelsicherheit

Nun verkündete die Regierung auch, was in diesem Jahr ganz oben auf ihrer To-Do-Liste steht: Die Regierung will Reformen in der Landwirtschaft angehen und die Lebensmittelsicherheit erhöhen. Die wohl wichtigste Maßnahme wird der Umbau der landwirtschaftlichen Betriebe. Peking stellt Fördergelder bereit, damit diese ihre Produktion umweltverträglich umstellen. Außerdem soll schärfer kontrolliert werden, was Bauern auf ihre Felder spritzen. Umweltverschmutzung durch übermäßige Nutzung von Düngemitteln und Pestiziden sowie schädliche Industriebetriebe verursachen enorme Probleme auf dem Land. Inzwischen sind mindestens 3,33 Millionen Hektar Ackerland wegen zu hoher Verschmutzung nicht mehr nutzbar - das ist in etwa die Fläche von Belgien.

Chinas Fluss Jangtsekiang quilt über vor Müll
Chinas Fluss Jangtsekiang quilt über vor MüllBild: picture-alliance/dpa

Ob die vorgesehenen Maßnahmen reichen, wird sich zeigen müssen. Die Umweltauflagen werden zwar strenger. Doch wichtige Interessengruppen stellen sich gegen die Reformen. Viele Staatsbetriebe fürchten, nicht mehr wettbewerbsfähig zu sein, wenn sie strengere Auflagen erfüllen müssen. Und die Politiker der weniger entwickelten Provinzen im Hinterland sehen nicht ein, dass sie nun langsamer und sorgsamer wachsen sollen, als es die Boomprovinzen an der Küste in den vergangen 20 Jahren durften.

Folgen für Europa

Fest steht auch: Wenn Peking entschlossen gegen den Status Quo vorgeht, wird das nicht nur für China teuer. Auch in Europa wird man einen Teil der Rechnung für die notwendigen Reformen in Fernost zahlen. Viele der hier günstig verkauften Produkte werden in China hergestellt. Sie sind unter anderem deshalb so günstig, weil die Umweltschäden bei ihrer Herstellung nicht in Rechnung gestellt werden. Erfolgreicher Umweltschutz in China bedeutet also, dass die Kaufkraft der Europäer sinkt. Vor allem aber: Das chinesische Wachstum könnte von den Umweltproblemen stranguliert werden – mit der Folge, dass etwa deutsche Exporte nach China einbrechen könnten. Das bedeutet: Die deutsche Wirtschaft sollte Hand in Hand mit der deutschen Politik ein Interesse daran haben, dass China seine Umweltprobleme in den Griff bekommt. Nicht nur auch ökologischen Gründen, sondern auch aus wirtschaftlichen.

Ein Solarpark in Nordwestchinas Provinzhauptstadt Lanzhou
Auch in China auf dem Vormarsch: Erneuerbare EnergienBild: Reuters

Ohne die Hilfe des Westens wird dies länger dauern, als es sowieso schon dauern wird. Denn selbst, wenn die chinesische Regierung alle Hebel in Bewegung setzen sollte, wird es kaum möglich sein, das Problem in wenigen Jahren zu beheben. Dazu ist China zu groß und das Umweltbewusstsein noch nicht weit genug entwickelt.

Wie für alle groß angelegten Reformvorhaben, die ein Land angeht, sei es die Bildung, das Rechtssystem oder das Sozialwesen, so gilt auch für den Umweltschutz: Eine so einschneidende Transformation ist keine Frage von Monaten oder Jahren, sondern wird sicher eine Generation beschäftigen. Auch in Deutschland dauerte es Jahrzehnte, bis im ehemals vergifteten Rhein wieder Fische schwammen und die Luft über dem Ruhrgebiet nicht mehr nach Kohle stank.

DW-Korrespondent Frank Sieren lebt seit 20 Jahren in Peking und gilt als einer der führenden deutschen Chinakenner.