Chinas Dilemma mit Nordkorea
26. März 2013"Der dritte Atomtest Nordkoreas ist ein guter Anlass für China, um die langjährige Allianz mit der Kim-Dynastie neu zu überdenken", fordert Deng Yuwen als Gastautor in der englischsprachigen Zeitung Financial Times. Deng ist der stellvertretende Chefredakteur von Chinas KP-Zeitschrift Study Times, deren Herausgeber die Zentrale Parteischule in Peking ist. Sein Appell: "China sollte Nordkorea aufgeben".
Solche Stimmen belasten die jahrzehntelange Freundschaft zwischen beiden kommunistischen Nachbarn. Die bilateralen Beziehungen haben seit Ende letzten Jahres erneut einen Tiefpunkt erreicht. Der Grund: aufs Neue provozierte Nordkorea im Februar 2013 mit einem Atomtest. Zwei Monate zuvor hatte Pjöngyangs Trägerrakete Unha-3 einen Satelliten in die Erdumlaufbahn gebracht. Peking, Nordkoreas einziger Verbündeter, ist offenbar sehr verärgert, die Geduld mit dem unberechenbaren Nachbarn wurde überstrapaziert.
Auf der letzten Generalversammlung des Volkskongress, dem chinesischen Parlament, hatten einige Delegierte eine Grundsatzdebatte zur Nordkorea-Politik geführt. Die stellvertretende Direktorin des Zentralbüros für auswärtige Angelegenheiten, Qiu Yuanping, berichtet, dass es in der Debatte darum gehe, ob China weiterhin seinen Nachbarn "stützen" oder "fallenlassen" solle. Ihr offener Umgang ist ungewöhnlich. Denn Pekings Führung hält sich mit solchen Bemerkungen meist sehr bedeckt.
Zwischen Traditionalisten und Strategen
Innerhalb des chinesischen Politikzirkels ist man sich uneins, wie mit dem Nachbarn umgegangen werden soll. Seit dem zweiten nordkoreanischen Atomwaffentest 2009 haben sich deutlich zwei Denkströme herauskristallisiert. Die sogenannten "Traditionalisten" halten an dem einst vom Staatsgründer Mao Zedong propagierten Bild fest: China und Nordkorea sind "so eng verbunden wie Lippen und Zähne". Die Frage, ob man den kommunistischen Bruderstaat fallen lassen sollte, stellt sich ihnen nicht. Sie sehen vor allem in den USA die größte Herausforderung für Chinas Interessen in Ostasien. Die verstärkte US-Militärpräsenz in der asiatisch-pazifischen Region, die US-Präsident Obama als neuen strategischen Schwerpunkt sieht, wird in Peking als Bedrohung der nationalen Sicherheit wahrgenommen. Nordkorea ist für China ein wichtiger Pufferstaat zu Südkorea und Japan. Beide Länder sind mit den USA verbündet.
Bisher wurde Chinas Nordkorea-Politik maßgeblich von der Volksbefreiungsarmee beeinflusst. Angesichts der langjährigen Bindung zu Nordkorea und des großen Misstrauens gegenüber der Militärmacht USA hält insbesondere die chinesische Militärführung am konservativen Kurs fest.
Laut Jia Qingguo, Politik-Professor an der Universität Peking, ist diese Strategie veraltet. China solle Nordkorea als Ausgangspunkt nehmen, um enger mit den Vereinigten Staaten zu kooperieren, sagte Jia gegenüber der New York Times. Er zählt zu den sogenannten "Strategen", die sich für schärfere Maßnahmen gegenüber Nordkorea aussprechen und gleichzeitig eine engere Zusammenarbeit mit den USA befürworten. Auch Zhang Liangui von der Zentralen Parteihochschule in Peking fordert ein härteres Vorgehen gegenüber dem Nachbarn. Der Glaube, Pjöngjang durch eine Beschwichtigungspolitik zum Verzicht auf Nuklearwaffen bringen zu können, sei naiv, sagt der Sicherheitsexperte in der staatlichen Zeitung Global Times.
Kein radikaler Richtungswechsel
"Die Unterstützung für härtere UN-Sanktionen gegen Nordkorea sollte nicht als grundlegender Kurswechsel der chinesischen Haltung interpretiert werden", hat der jüngst aus dem Amt geschiedenen Außenminister Yang Jiechi betont. Nun ist er im Staatsrat für die Außenpolitik verantwortlich. Seine Worte zeigen: einen Kurswechsel wird es erst mal nicht geben.
Experten glauben, dass China möglicherweise fürchtet, dass mit dem Zusammenbruch von Nordkorea und einer möglichen Wiedervereinigung beider koreanischen Staaten die US-Truppen bis an Chinas Grenzen heran rücken könnten. Paul Haenle von der amerikanischen Stiftung Carnegie Endowment for International Peace, der auch das Carnegie-Tsinghua Center an der Tsinghua-Universität in Peking leitet, ist der Ansicht, dass die kontinuierlichen Provokationen aus Pjöngjang längerfristig zu einem Wettrüsten führen werden. "Denn wie die USA werden auch Japan und Südkorea ihre Sicherheitsstrategie überdenken", sagte Haenle im Interview mit der DW. Dies widerspreche diametral Chinas Interessen.
Während die westlichen Staaten bestrebt sind, die Nordkorea von seinem Nuklearprogramm abzubringen, stehe für die chinesische Regierung die Wahrung der Stabilität im Vordergrund, sagt Stephanie Kleine-Ahlbrandt von der International Crisis Group der Deutschen Welle. "Peking sorgt sich um eine direkte militärische Konfrontation zwischen Pjöngjang und Washington." Erst kürzlich verkündete US-Verteidigungsminister Chuck Hagel, dass die USA ihre Raketenabwehr aufgrund der Angriffsdrohungen Nordkoreas ausbauen werden. Ein Krieg oder Zusammenbruch der Kim-Diktatur würde eine Flüchtlingswelle nach Nordchina auslösen.
Unter der Führung des neuen Staatschefs Xi Jinping werde es allerdings keine radikalen Veränderungen geben, glaubt Kleine-Ahlbrandt. "Aber Peking wird eine härtere Gangart gegenüber Pjöngjang einlegen."