Wie tief rutschen Chinas Aktien?
28. Juli 2015Nach drei Wochen relativer Ruhe an den chinesischen Aktienmärkten hat es in dieser Woche erneut massive Verluste an den Börsen von Shanghai und Shenzhen gegeben. Am bisher heftigsten war der Einbruch am Montag, da ging es bei den beiden Leitindizes um mehr als acht Prozent nach unten. Auch am Dienstag gab es erneut Verluste; diesmal um 0,2 bzw. 1,7 Prozent.
Immerhin, am Mittwoch stiegen die Kurse wieder an - die Leitindizes von Shanghai und Shenzhen legten jeweils mehr als drei Prozent zu und machten damit einen Teil ihrer Verluste der vorangegangenen Tage wieder wett. Ob diese Erholung von Dauer sein wird, bezweilfen viele Experten allerdings. Denn der Grund für die leichte Erholung dürfte vor allem der Eingriff durch den Staat sein - bereits am Montag hat der chinesische Staat Aktienkäufe zur Stabilisierung des Marktes angekündigt. Die Chinesische Volksbank teilte mit, durch "verschiedene geldpolitische Maßnahmen angemessene Liquidität" zu gewährleisten.
Analysten bezweifeln, dass dieser Rückgriff auf immer wieder neue staatliche Interventionen und Stabilisierungsmaßnahmen ein nachhaltiges Modell für den chinesischen Aktienmarkt darstellen kann. Bereits die erste rapide Talfahrt seit Mitte Juni, mit einem 30-prozentigen Verlust binnen drei Wochen, hatte zu einem ganzen Strauß an staatlichen Maßnahmen geführt. Dazu gehörten Zinssenkungen, eine Lockerung der Regeln für kreditfinanzierte Börsengeschäfte, die Ankündigung, dass der Staat Börsenhändlern mit Krediten aushelfen würde.
Vorübergehende Stabilisierung
All dies konnte den Kurssturz zunächst nicht bremsen. Als weitere Maßnahmen kamen die Beschränkung von Börsengängen (IPOs) und ihre vorübergehende Einstellung hinzu, sowie eine konzertierte Aktion der 21 großen Wertpapierhändler Chinas. Sie sagten zu, umgerechnet 20 Milliarden US-Dollar oder 15 Prozent ihres Nettovermögens in börsengehandelte Investmentfonds zu stecken. Sie kündigten auch an, keine Aktien in ihrem Besitz zu verkaufen, bis der Shanghai Composite Index wieder die Marke von 4500 erreichen würde. (Am Dienstag stand er bei 3663 Punkten, nach einer Erholung auf 4211 Punkte am 13. Juli und dem vorherigen Absturz auf 3467 Punkte am 8. Juli).
Schließlich führten diese Maßnahmen und die Milliarden Yuan, die die Zentralbank den Märkten zur Verfügung stellte, zu einer Stabilisierung seit Mitte Juli, so dass die Börsen rund 15 Prozent zulegten. Warum nun am Montag der neuerliche Einbruch? Wie immer bei solchen Ereignissen seien die Erklärungen der Analysten sehr unterschiedlich und mehr oder weniger plausible Vermutungen, scheibt der britische "Economist". Die Zeitschrift sieht einen bislang weniger beachteten Faktor als treibende Kraft hinter den wilden Ausschlägen am chinesischen Aktienmarkt: die jungen Wilden.
Jugendliche Zocker als Verursacher?
Im Jahr 2004 waren den Recherchen des "Economist" zufolge nur knapp 28 Prozent der Börsenteilnehmer unter 30 Jahre alt, das steigerte sich bis 2013 auf 36 Prozent. Zu Beginn des Jahres 2015 befand sich der chinesische Aktienmarkt in der Mitte einer Hausse, die zu seiner Verdreifachung binnen zwölf Monaten führen sollte. Gleichzeitig meldeten sich im ersten Quartal 2015 acht Millionen neue Teilnehmer zum Aktienhandel an, 62 Prozent davon wurden nach 1980 geboren, nur fünf Prozent waren Chinesen über 55 Jahre.
Chinesische Marktbeobachter sehen hier einen Zusammenhang mit der starken Volatilität der Börsen, da 80 Prozent der Börsentransaktionen auf das Konto von Privatanlegern gehen und die jungen Anleger gleichzeitig "besonders aggressiv" seien, wenn es um kreditfinanzierte Aktienkäufe geht. Sie kommen offenbar von der Verlockung des schnellen Gewinns an der Börse nicht los, wie dieser Blogeintrag einer jungen Chinesin zeigt: "Die Börse verhält sich ähnlich wie dein Lover. Er hat dich mehrfach betrogen. Aber du glaubst, dass er sich bessert und dir treu sein wird. Doch er überschreitet immer wieder deine rote Linie und verletzt dich. Aber was kannst du tun, du bist von ihm schwanger!"
"Folgewirkungen zu beherrschen"
Wie dem auch sei - ebenso wenig wie über die Ursachen der Kursausschläge herrscht unter Experten Einigkeit über die Frage, inwieweit die Anfälligkeit des chinesischen Aktienmarkts sich auf die Realwirtschaft Chinas und letztlich auf die Weltwirtschaft insgesamt auswirken könnte. Es scheint aber die Meinung vorzuherrschen, dass sich die Auswirkungen der Turbulenzen im Rahmen halten werden.
So meint etwa die China-Expertin der Bank Société Générale in Paris, Wei Yao, dass ein Börsenzusammenbruch gewiss schmerzhafte Folgen hätte, mit einer Verlangsamung des Wachstums von einem halben bis einem Prozent in den folgenden zwölf Monaten. Dennoch wären die unmittelbaren Auswirkungen zu verkraften, weil Aktienbesitz am Haushaltsvermögen in China einen relativ geringen Anteil hat (sechs Prozent im Jahr 2013). Der entscheidende Gesichtspunkt, so Wei Yao gegenüber der DW, sei das Vertrauen der Verbraucher. "Solange der Arbeitsmarkt stabil bleibt, werden die Haushalte wegen Fehlinvestitionen an der Börse ihre Ausgaben nicht wesentlich einschränken."
Polizeimaßnahmen gegen Aktienverkäufe
Einigkeit herrscht dagegen unter den meisten Beobachtern, dass die chinesische Führung sich über kurz oder lang entscheiden muss, ob sie das Börsengeschehen den Marktkräften überlässt oder durch hektische Interventionen nur noch größeres Chaos anrichtet. Bislang scheint Peking noch mehr Vertrauen in die bleierne Hand des Staates zu haben: "Aufgrund der Aufsichtsberichte von den Börsen und eingegangener Beschwerden der Bürger hat die Börsenaufsichtsbehörde heute die Ermittlung zur Strafverfolgung begonnen. Diese Aktion zielt in der Hauptsache auf die Ursache des Massenverkaufs der Papiere am 27. 7."