China setzt auf Industrie 4.0
2. Juni 2015Angesichts verlangsamten Wachstums, steigender Lohnkosten und starker Konkurrenz durch Schwellenländer bei der Massenfertigung setzt China unter anderem auf die Modernisierung seines verarbeitenden Gewerbes, um seine wirtschaftliche Position zu behaupten. Premier Li Keqiang stellte in diesem Zusammenhang Mitte Mai die Initiative "Made in China 2025" vor.
Ziel ist dabei, die internationale Wettbewerbsfähigkeit Chinas im Produktionssektor soweit zu steigern, dass das Land bis zum Jahr 2049 in zehn Schlüsselindustrien weltweite Spitzenpositionen erreicht. Dazu zählen die IT-Branche, Roboter, Luft- und Raumfahrt, Eisenbahn und Elektrofahrzeuge. Bis 2020 sollen landesweit 15 Innovationszentren des herstellenden Gewerbes etabliert werden, die Zahl soll bis 2025 auf 40 steigen.
Deutsches "Zukunftsprojekt Industrie 4.0"
Eine wichtige Inspirationsquelle für diese chinesische Modernisierungs- und Wachstumsstrategie ist das "Zukunftsprojekt Industrie 4.0", das 2014 von der deutschen Bundesregierung offiziell eingeläutet wurde. Laut dem federführenden Bundesministerium für Forschung und Bildung geht es darum, "die deutsche Industrie in die Lage zu versetzen, für die Zukunft der Produktion gerüstet zu sein." Diese werde unter anderem gekennzeichnet sein durch "eine starke Individualisierung der Produkte unter den Bedingungen einer hoch flexibilisierten (Großserien-) Produktion." Weitere Schlagworte sind "Digitalisierung der Industrie" und "vierte industrielle Revolution".
Und davon will auch China profitieren. "Das deutsche Projekt 'Industrie 4.0' beeinflusst ganz wesentlich die innerchinesische Debatte über die industrielle Modernisierung und Wettbewerbsfähigkeit des Landes. Beide Länder arbeiten auf diesem Gebiet eng zusammen", erläutert Jost Wübbeke vom Berliner Institut für China-Studien, MERICS. Und der deutsche Botschafter in Peking, Michael Clauss, erklärte vergangenen Monat, dass 'Industrie 4.0' im Zentrum des deutsch-chinesischen "Jahres der Innovation" 2015 stehe.
Schwierige Rahmenbedingungen
Vor der Umsetzung seiner ehrgeizigen Ziele steht China allerdings noch vor einer Reihe von Herausforderungen. So gaben laut einer Erhebung der Europäischen Handelskammer in China von 2014 86 Prozent der befragten Unternehmen an, durch zu langsame Internet-Verbindungen Nachteile zu erleiden. Über 70 Prozent gaben an, dass sich die Web-Infrastruktur verschlechtert habe. Jost Wübbeke von MERICS verweist auf andere, strukturelle Defizite: "China kann zwar mit beeindruckenden Zahlen etwa bei Ausgaben für Forschung und Entwicklung und bei Patentvergaben aufwarten. Aber es war bislang nicht in der Lage, seine Ressourcen für eine qualitative Verbesserung seiner Innovationskapazitäten einzusetzen."
Auch für Jörg Wuttke von der Europäischen Handelskammer ist noch vieles an Chinas industrieller Modernisierungsstrategie unklar: "Es gibt zwar einen konkreten Fahrplan mit Jahreszahlen – 2020, 2025 – und den bis dahin zu erreichenden Zielen. Aber die Mechanismen zum Erreichen dieser Ziele fehlen, und es ist nicht klar, welche chinesischen Organisationen dafür verantwortlich sind."
Dass China binnen zehn Jahren die Transformation zur Industrie 4.0 gänzlich schaffen könnte, erscheint nicht nur westlichen Experten unrealistisch, sondern auch den Chinesen. Deshalb plant Peking schon für die Jahre und Jahrzehnte nach 2025, mit dem Fernziel, zur weltweit führenden Industriemacht aufzusteigen. China-Experte Wübbeke hält das für durchaus realistisch: "Es gibt zwar noch einen gewaltigen technologischen Abstand zwischen China und den Industrienationen, aber die sehr dynamische Entwicklung Chinas wird die industrielle Innovation massiv vorantreiben." In der Zukunft werde China mit Innovationen an der vordersten Front aufwarten und Technologien anbieten, die es mit den derzeit führenden Anbietern aufnehmen könnten.
Konkurrenz belebt das Geschäft
Davon würden letztlich alle profitieren, meint Jörg Wuttke: Konsumenten wegen preiswerterer und qualitativ besserer Produkte, die Umwelt wegen eines nachhaltigeren und grünen Wachstumsmodells, und Unternehmen wegen besserer Vernetzung. Allerdings gibt es einen Wermutstropfen – mehr Konkurrenz, nicht zuletzt für deutsche Unternehmen. "China investiert in die Modernisierung seiner Industrie, weil es sich davon als Volkswirtschaft einen Wettbewerbsvorteil verspricht", sagt Jost Wübbeke. Gleichzeitig dränge es mit den entsprechenden Produkten in die internationalen Märkte, was etwa auf die deutsche Maschinenbauindustrie "gewaltige Auswirkungen" haben könnte.
Schon jetzt konkurrieren die Chinesen mit der EU und Japan, wenn es darum geht, Hochgeschwindigkeitszüge an Schwellenländern zu verkaufen. Dennoch müsse wachsende Konkurrenz durch China für deutsche Unternehmen nicht unbedingt etwas Schlechtes sein, meint Wübbeke. "Deutsche Anbieter von Industriesoftware, Automatisierung und Systemintegration dürften von Chinas Investition in die Modernisierung seiner Fertigungstechnologie stark profitieren." Andererseits bestehe die Gefahr, dass Deutschland, wenn es bei Innovationen und Produktivitätsfortschritten in den kommenden Jahren zurückfalle, mit den Preisen der chinesischen Anbieter nicht mithalten könne.