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China: Offenbar gezielte Schüsse auf protestierende Bauern

Zhang Danghong und Li Shitao15. Dezember 2005

Chinas Wirtschaftswunder frisst Ressourcen: Energie, Wasser und Land. Um das Land gibt es immer häufiger Konflikte. Bauern protestieren gegen die Enteignung - und werden mit Staatsgewalt niedergehalten.

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Bauernproteste in DongzhouBild: AP

Die Bauern müssen ihr Land für die Großprojekte hergeben, aber sie profitieren nicht vom Wirtschaftswachstum. Seit Jahren protestieren die Bewohner des Dorfes Dongzhou in der südchinesischen Boom-Provinz Guangdong gegen einen Kraftwerksbau, der sie ihr Land kosten wird. Die Demonstrationen verliefen ohne Zwischenfälle - bis zum Abend des 6. Dezember 2005. Als da erneut rund 2000 Menschen vor den Toren der Baustelle demonstrierten, eskalierte der Streit: Die Polizei schoss in die Menge. Die Angaben über die Zahl der Opfer sind nach wie vor widersprüchlich. Und die Dorfbewohner fürchten sich vor staatlicher Verfolgung.

Widersprüchliche Berichte

Bauernproteste in China Dongzhou nahe Shanwei, Guangdong
Polizeikontrollen am Ortseingang von Dongzhou (12.12. 2005)Bild: AP

Amnesty International nannte die Schießerei von Dongzhou Chinas größtes Massaker an der eigenen Bevölkerung seit 1989. Für die chinesischen Behörden aber war zunächst scheinbar gar nichts passiert: Tagelang wurde der Vorfall in Dongzhou von den Behörden der südchinesischen Provinz Guangdong offiziell totgeschwiegen. Das änderte sich erst, als die Beweislast erdrückend wurde - durch Fotos im Internet und durch die Berichte ausländischer Medien. Zähneknirschend räumten die Behörden am 10./11. Dezember ein, die Polizisten in der Gemeinde Dongzhou hätten die Lage falsch eingeschätzt und dabei in der Dunkelheit auch auf Menschen geschossen - angeblich "aus Versehen". Dem widerspricht ein Bewohner aus Dongzhou.

Augenzeuge sah etwas anderes

"Sie haben diese großen Scheinwerfer eingesetzt, haben zuerst die Szene beleuchtet - und dann geschossen", sagte der Dorfbewohner im Gespräch mit DW-RADIO. Auch die offizielle Angabe von drei Toten hält der Dorfbewohner für untertrieben. Allein aus seiner unmittelbaren Umgebung seien drei Bauern erschossen worden. "Mit Sturmgewehren haben sie geschossen, haufenweise Kugelhülsen haben später herumgelegen, mindestens 3000 bis 4000 Stück", berichtet er. "Nach der Schießerei sind sie dann aus den Wagen ausgestiegen und haben die Leichen wegtransportiert. Man weiß nicht wohin".

Den Angaben des Mannes zufolge werden immer noch Dutzende Dorfbewohner vermisst. Nach offizieller Lesart wurden die Polizisten von den Dorfbewohnern zuerst mit Molotow-Cocktails und Sprengkörpern attackiert. Die Schüsse seien demzufolge in Notwehr gefallen. Dieser Version widerspricht nicht allein, dass der für den Einsatz verantwortliche Polizeioffizier inzwischen verhaftet worden ist. Auch der Dorfbewohner beantwortet die Frage nach Notwehr knapp mit "Nein".

Parallele zu 1989?

Unterstützung bekommen die Bauern inzwischen von namhaften chinesischen Intellektuellen im In-und Ausland. Das Vorgehen der Behörden erinnert den prominenten Pekinger Regimekritiker Liu Xiaobo an die Zeit nach dem Massaker auf dem Tian'anmen-Platz vor 16 Jahren. "Damals hat die Regierung die Verantwortung auf 'einige wenige Intellektuelle' geschoben, die angeblich die Stabilität des Landes gefährdet hätten", erinnert er sich. "Auch beim Kleinrechnen der Zahl der Toten und Verletzten gibt es eine Parallele: Offizielle chinesische Medien berichten von drei Toten und acht Verletzten. Ausländische Medien übernehmen aber die Angaben der Dorfbewohner - und dort ist die Rede von 20 bis 30 Toten."

Kein Schutz von Rechts wegen

Mit sieben weiteren Intellektuellen hat Liu Xiaobo im Internet eine Erklärung veröffentlicht. Mehrere Hundert Menschen haben sie schon unterschrieben. Ein Kernpunkt ihrer Botschaft: Die gesellschaftliche Krise in China ist unter den Bedingungen der Einparteien-Herrschaft nicht mehr zu lösen. Sogar Anwälte, die für die Entrechteten eintreten, werden der Verfolgung ausgesetzt. Und dass es selbst innerhalb des chinesischen Rechtssystems keinen Schutz gegen Vertreibung gibt, zeigt der Fall des Anwalts Zheng Enchong.

In Shanghai hatte Zheng Enchong sich für Menschen eingesetzt, die wegen großer Immobilienprojekte aus ihren angestammten Wohnungen vertrieben wurden. Am 9. Dezember wurde der mutige Anwalt für seinen Einsatz auch mit dem Menschenrechtspreis des Deutschen Richterbundes ausgezeichnet. Persönlich entgegennehmen konnte er den Preis aber nicht: Zheng Enchong sitzt seit 2003 in Haft - wegen angeblichen "Verrats von Staatsgeheimnissen".