Ein neuer Markt für die katholische Kirche
1. Dezember 2014Für Papst Franziskus ist die Vorweihnachtszeit eine Zeit der Annäherung. Den ersten Advent verbrachte er in Istanbul zusammen mit seinem orthodoxen Amtskollegen Bartholomäus - ein Meilenstein in der Beziehung der beiden Kirchen. Auch ein tieferer Diskurs zwischen Christen und Muslimen ist für Franziskus in der Türkei ein Anliegen. Doch mindestens genauso wichtig ist die Annäherung zwischen der katholischen Kirche und China. Und dann sickerte vergangene Woche eine Neuigkeit durch, die für den Vatikan wohl noch größere Bedeutung hat: Nach vierjährigen inoffiziellen Gesprächen mit der chinesischen Regierung wollen der Vatikan und Peking zukünftig Bischöfe gemeinsam ernennen. Das ist wichtig für die katholische Kirche, denn angesichts sinkender Mitgliederzahlen im Westen ist China neben Südamerika und Afrika ein großer, bisher unzureichend erschlossener Wachstumsmarkt.
Chinas Angst vor der katholischen Kirche
Bisher war Peking kaum gewillt, den Katholiken Spielraum in China zu geben - vor allem keinen politischen Spielraum. Im Reich der Mitte ist es schon lange Usus, dass Religion sich politisch raushält. Das gilt auch für die Katholiken. Peking geht davon aus, dass der Vatikan mit Unterstützung des Friedensnobelpreisträgers Lech Walesa entscheidend zum Zusammenbruch der Sowjetunion beigetragen hat. Der einstige Streikführer auf der Danziger Lenin-Werft kämpfte die gesamten Achtziger Jahre gegen die kommunistische Führung in Polen. Am 4. Juni 1989, während in Peking die Protestbewegung blutig niedergeschlagen wurde, gewann Walesa die ersten halb-freien Parlamentswahlen in Polen. Ende 1990 wurde er für fünf Jahre Staatspräsident.
Vor allem deshalb zögerte die chinesische Führung 25 Jahre lang, mit dem Vatikan einen Kompromiss zu schließen, nachdem die gesetzlich zugelassene Katholische Kirche in China 1951 von Mao gezwungen worden war, sich vom Papst und von Rom loszusagen. Seitdem bestimmt die KP-treue patriotisch-katholische Vereinigung in Peking die chinesischen Bischöfe selbst, ohne Rücksprache mit der römischen Zentrale zu halten. Der Flügel der römisch-katholischen Gemeinde, der den Kontakt zum Papst nicht abbrechen wollte, spaltete sich als in Augen der chinesischen Regierung illegale Untergrundkirche ab.
Römisch-katholische Kirche im Untergrund
Die Bischöfe dieser Untergrundkirche werden zwar vom Papst ernannt, sind aber in den Augen Pekings illegitim. Bis heute noch werden die Christen der Untergrundkirche verfolgt und unterdrückt. Die meisten Messen finden heimlich statt. Deshalb zählt das 1,3 Milliardenvolk bisher nicht mehr als 15 Millionen Katholiken, beide Lager zusammengerechnet. Dabei wäre das Potenzial doch eigentlich riesig in China. Ganz nach dem Motto: Es ist einfacher jemanden zum Glauben zu bringen, als seinen Glauben zu ändern.
Peking gibt nun nach, weil immer mehr Menschen im Rausch des Wirtschaftsaufschwungs nach Halt im Glauben suchen. Und da ist es Peking offensichtlich lieber, die Menschen werden Katholiken, als dass sie irgendwelchen chinesischen Sekten anheimfallen.
Nachdem sich beide Lager in den vergangenen Monaten erkennbar angenähert haben, wurde von chinesischer Seite am vergangenen Donnerstag ein Durchbruch verkündet. Stimmt der Papst der Vereinbarung der Unterhändler zu, werden Bischöfe künftig vom Vatikan und der Partei gemeinsam bestimmt. Auch die katholische Kirche funktioniert in diesem Fall also nicht anders als ein großer Autokonzern. Wer in diesem Bereich in China expandieren will, kommt an einem Joint Venture mit dem Staat nicht vorbei.
Pekings Bedingung: Abzug des Nuntius aus Taipeh
Will die römisch-katholische Kirche in Zukunft auf dem chinesischen Festland offiziellen und legalen Status erhalten, stellt Peking jedoch eine klare Forderung: Der Vatikan soll die diplomatischen Beziehungen zu Taiwan beenden. Der Heilige Stuhl ist nämlich die einzige europäische Instanz und eine der wenigen weltweit, die die Republik China offiziell als eigenständiges Land anerkennt.
Das ist auch kein Wunder, denn in Taiwan ist die römisch-katholische Kirche gut etabliert. Der Pragmatismus scheint allerdings - wie bei den meisten Nationen - auch beim Papst größer zu sein: Die vielen zukünftigen Anhänger sind ihm wichtiger als die gegenwärtigen in Taiwan. Denn Rom hat bereits von sich aus angeboten, den Sitz des vatikanischen Botschafters von Taiwan nach Peking zu verlegen.
Womöglich fühlt Papst Franziskus sich aber auch aus anderem Grund zu China hingezogen: Immerhin ist er der erste Papst, der dem Jesuitenorden angehört. Jenem Orden, der vor knapp 500 Jahren den römisch-katholischen Glauben nach China brachte. Bisher hat Peking Franziskus allerdings noch nicht eingeladen, einmal persönlich vorbeizukommen, obwohl er diesen Wunsch bereits geäußert hat. Doch immerhin: Im Sommer gab es schon das erste positive Signal aus Peking: Dem Papst wurde auf dem Weg zu einem Besuch in Südkorea erstmals erlaubt, den chinesischen Luftraum zu überqueren.
Unser Korrespondent Frank Sieren gilt als einer der führenden deutschen China-Spezialisten. Er lebt seit 20 Jahren in Peking.