Neue Kunst aus China
13. Mai 2015Acht Städte, neun Museen, 120 Künstler, 500 Werke – ein ähnlich umfassendes Ausstellungsprojekt chinesischer Gegenwartskunst gab es noch nie. Vizekanzler Sigmar Gabriel hat es am Mittwochabend (13. Mai) in Duisburg offiziell eröffnet. Das Konzept von "China 8", das an Rhein und Ruhr zeitgleich stattfindet, biete den unterschiedlichen Disziplinen wie Malerei, Fotografie oder Skulptur einen angemessenen Raum, sagte der Bundeswirtschaftsminister.
Hauptinitiator dieser umfassenden Bestandsaufnahme ist Walter Smerling, Direktor des Museums Küppersmühle für Moderne Kunst (MKM) und Vorstandsvorsitzender der Stiftung für Kunst und Kultur in Bonn, die als Veranstalter auftritt. Als Sprecher des Kuratoriums musste er sich im Vorfeld die Frage gefallen lassen, inwieweit von offizieller chinesischer Seite Einfluss auf die Auswahl der eingeladenen Künstler genommen worden sei.
Als seinen Partner auf chinesischer Seite nennt er Fan Di'an, Präsident der Zentralen Kunstakademie (Central Academy of Fine Arts) in Peking, selber ein Ausstellungsmacher der ersten Stunde und durch viele Kooperationen mit internationalen Museen als maßgeblicher Kurator für moderne chinesische Kunst ausgewiesen. Smerling und sein Team berichten von Besuchen in den Ateliers von mehr als 200 Künstlerinnen und Künstlern, die sie völlig eigenständig auswählen, und von intensiven Begegnungen mit Fotografen, Videokünstlern, Bildhauern, Malern, die ohne Restriktionen arrangiert werden konnten.
Auf der Wunschliste der Kuratoren habe auch Ai Weiwei gestanden, der in Deutschland, schon seit er 2007 mit 1001 Chinesen in Kassel ein ganz besonderes Märchen schuf, anerkannt und beliebt ist. Der in China wegen seines politischen Engagements unterdrückte und medial tabuisierte Künstler habe allerdings seine Teilnahme abgelehnt – vom chinesischen Kultusministerium, das die Liste genehmigte, seien zumindest im ersten Anlauf keine Einwände gekommen.
Kritisches Potential hat die Ausstellung trotzdem reichlich. Fast alle Werke entstanden nach der Jahrtausendwende, und sie beziehen sich auf die heutige Gesellschaft eines Chinas des autokratisch geregelten Turbokapitalismus. Gnadenlose Urbanisierung, Vernichtung des kulturellen Alltagserbes, Umweltverschmutzung, Entfremdung, Vereinzelung - die Themen, die der rasante Wandel von Umwelt und Gesellschaft hervorbringt, finden sich in der Ausstellung in verschiedenen Genres und in vielfältiger Formensprache wieder.
Beispielsweise ist Fang Lijun mit einer vom Einsturz bedrohten Mauer aus keramischen Mao-Bibeln im Lehmbruck-Museum zu sehen, eine Arbeit, die sich auf mehreren Ebenen politisch interpretieren lässt: Sie berührt Chinas kulturrevolutionäre Vergangenheit, die Faszination, die der Maoismus auch heute noch auf viele Chinesen ausübt, und die Rolle der Partei – an sich ein Tabuthema. Fang war, wie fünf weitere Künstler der Ausstellung auch, schon 1993 bei der Schau "China Avantgarde" in Berlin vertreten, der ersten größeren Ausstellung moderner Kunst außerhalb Chinas. Bis dahin war er nur wenigen Insidern bekannt. China war geschockt, das Ausland überrascht von seinen Bildern von grellrosa Fratzen. Wenige Jahre nach der Niederschlagung der Demokratiebewegung 1989, während die in China immer politisch relevante Lyrik und die erzählende Literatur noch in Schweigen erstarrt waren, wurde die bildende Kunst plötzlich zur gesellschaftlich Neues prägenden. Überraschend schnell vollzog sie den Übergang vom Untergrund zur anerkannten Kulturform – Hongkonger Sammler erkannten sofort das hohe Markt- und niedere Gefährdungspotential der Werke. Daran hat sich seither nichts geändert. Moderne Kunst ist auch in China Geldanlage und Statussymbol. Kunst genießt einen Freiraum, der Ausstellungen wie China 8 ermöglicht – so lange sie nicht wie bei Ai Weiwei explizit und ausführlich dokumentarisch wird.
Inzwischen gehören Fang und die meisten Künstler dieser ersten Generation zu einer elitären internationalen Kunstszene, deren Arbeiten bis zu mehreren Millionen Euro gehandelt werden. Ein Frühwerk, ein Gemälde verzerrt lachender Gesichter, des "zynischen Realisten" Yue Minjun erzielte schon 2008 bei Christie's sieben Millionen US-Dollar. Diese Künstler arbeiten international und besitzen neben ihren Ateliers in Peking oder Schanghai noch eines in New York, Wien oder Paris.
Die Kunstausstellung an Rhein und Ruhr zeigt jedoch neben den etablierten Künstlern gleichberechtigt und in großer Breite die Werke junger, zum Teil noch unbekannter Künstler, großformatige Arbeiten wie "Visionary Hope" der 1984 geborenen Yuan Yuan im Osthaus Museum Hagen oder die Videoinstallationen, die im Skulpturenmuseum Glaskasten Marl zu sehen sind. Zu den jüngeren gehören auch viele der Fotokünstler, darunter die des Kunstkollektivs MADAHA, dessen Thema Konsum und Spektakel ist. Mit Eason Tsang Ka Wai und South Ho Siu Nam sind auch unter den dreizehn Künstlern aus Hongkong künstlerisch herausragend Fotografen. Sie finden sich bei China 8 unversehens dem Mutterland zugeschlagen. Zu betrachten sind die fotografischen Arbeiten im Museum Folkwang in Essen.
Die Ausstellung, Versicherung, Transport von Kunstwerken, Künstlern und Mitarbeitern wurde komplett durch Stiftungen und Sponsoren finanziert. Interessen am chinesischen Markt und ihre touristische Vermarktung gehen dabei offen Hand in Hand. Dank dieses finanziellen Engagements wird mit China 8 in Deutschland ein einmaliger Blick auf die chinesische Gegenwartkunst in all ihren Spielarten möglich. Für alle, die nicht in mehreren Tagesreisen neun Häuser besuchen wollen, bietet die Ausstellung im Forum NRW in Düsseldorf einen Überblick über die Arbeiten ihrer wichtigsten Vertreter in gesamter Bandbreite – von der konzeptionellen Kunst Ding Yis, der seit Jahrzehnten kleine Kreuze in quadratische Grundraster malt und so dem Getriebe der Welt sein Beharren entgegensetzt, über Shen Fans Lichtskulpturen bis zur großformatigen Fotografie anbetender nackter Hintern von Wang Qingsong.