Chemie-Nobelpreis für Deutschen Benjamin List
6. Oktober 2021Naturwissenschaften als reine Männerdomäne? In diesem Jahr gehen die naturwissenschaftlichen Nobelpreise für Medizin, Physik und jetzt auch für Chemie mal wieder nur an Männer.
Nachdem im vergangenen Jahr zwei Forscherinnen mit dem Chemie-Nobelpreis ausgezeichnet wurden, geht die begehrte Auszeichnung in diesem Jahr an Benjamin List und an David W.C. MacMillan "für die Entwicklung der asymmetrischen Organokatalyse"
Riesige Freude in Deutschland
Nachdem gestern bereits der deutsche Klimaforscher Klaus Hasselmann den Nobelpreis für Physik verliehen bekam, wird mit Prof. Dr. Benjamin List erneut ein Deutscher ausgezeichnet.
Beide Preisträger sind noch vergleichsweise jung. Der Chemiker List, Jahrgang 1968, ist Direktor des Max-Planck-Institut für Kohlenforschung in Mülheim an der Ruhr. Er teilt sich den Preis mit David William Cross MacMillan, einem schottisch-stämmigen Chemiker, Jahrgang ebenfalls 1968, der von 2010 bis 2015 eine Chemie-Professur an der Princeton University in New Jersey, USA, inne hatte.
"Ich dachte, jemand macht einen Witz mit mir“
Der frisch gekürte Chemie-Nobelpreisträger erhielt den Anruf beim Familienurlaub in Amsterdam. Er saß gerade mit seiner Ehefrau beim Frühstück, als plötzlich jemand aus Schweden angerufen habe, sagte List, als er von der Königlich-Schwedischen Akademie der Wissenschaften telefonisch zugeschaltet wurde. “Ich dachte, jemand macht einen Witz mit mir.“
Zuvor habe seine Frau beim Frühstück gerne gescherzt, er sollte am Nobelpreis-Tag sein Telefon nicht zu weit von sich legen. "Dieses Mal hat sie den Witz nicht gemacht und dann zeigte das Display einen Anruf aus Schweden“, erzählte er lachend.
Er müsse die völlig überraschende Nachricht erst einmal verarbeiten. “Es ist schwierig, zu beschreiben, was man in diesem Moment fühlt. Aber das war ein besonderer Moment, den ich niemals vergessen werde."
Seinen Mitpreisträger, den aus Schottland stammenden und in den USA forschenden MacMillan, konnte die Akademie dagegen zunächst nicht erreichen, sagte der Generalsekretär der Akademie, Göran Hansson. Aber schließlich erhielt er dann doch den Anruf aus Stockholm.
Moleküle zu bauen ist eine schwierige Kunst
Das Nobelkomitee zeichnet die beiden "für die Entwicklung der asymmetrischen Organokatalyse" aus. In der Begründung beschreibt das Nobelkomitee diese Erfindung als “ein geniales Werkzeug zum Bau von Molekülen“
Die von List und MacMillan entwickelte Organokatalyse hatte große Auswirkungen auf die pharmazeutische Forschung und hat die Chemie zudem umweltfreundlicher gemacht.
Schneller, billiger und umweltfreundlicher
Viele Forschungsbereiche und Industrien sind von Chemikern abhängig, die Moleküle so konstruieren können, dass sie elastische und dauerhafte Materialien bilden, dass sie Energie in Batterien speichern oder das Fortschreiten von Krankheiten hemmen können.
Diese Arbeit erfordert Katalysatoren, also Stoffe, die chemische Reaktionen steuern und beschleunigen, ohne Teil des Endprodukts zu werden. Man kennt diesen Vorgang von den Katalysatoren in Autos, die beispielsweise giftige Stoffe in Abgasen in harmlose Moleküle verwandeln können.
Auch unser Körper enthält Tausende von Katalysatoren in Form von Enzymen, die die für das Leben notwendigen Moleküle herausmeißeln.
Katalysatoren sind also grundlegende Werkzeuge für Chemiker. Aber lange Zeit glaubten Forscher, dass es im Prinzip nur zwei Arten von Katalysatoren gibt: Metalle und Enzyme.
Dritte Art von Katalysatoren entdeckt
Aber im Jahr 2000 haben die heute verkündeten Nobelpreisträger unabhängig voneinander eine dritte Art von Katalysatoren entwickelt. Sie wird asymmetrische Organokatalyse genannt und baut auf kleinen organischen Molekülen auf.
"Dieses Katalysekonzept ist so einfach wie genial, und viele haben sich gefragt, warum wir nicht schon früher darauf gekommen sind", sagt Johan Åqvist, der Vorsitzende des Nobelkomitees für Chemie.
Organische Katalysatoren haben ein stabiles Gerüst aus Kohlenstoffatomen, an das sich weitere aktive chemische Gruppen anlagern können. Diese enthalten oft gemeinsame Elemente wie Sauerstoff, Stickstoff, Schwefel oder Phosphor. Dies bedeutet, dass diese Katalysatoren sowohl umweltfreundlich als auch billig in der Herstellung sind.
Die rasche Zunahme der Verwendung organischer Katalysatoren ist vor allem auf ihre Fähigkeit zurückzuführen, die asymmetrische Katalyse voranzutreiben. Beim Aufbau von Molekülen treten häufig Situationen auf, in denen sich zwei verschiedene Moleküle bilden können, die - genau wie unsere Hände - das Spiegelbild des jeweils anderen sind. Chemiker wollen oft nur eines davon, insbesondere bei der Herstellung von Arzneimitteln.
Einfach und flexibel einsetzbar
Die Organokatalyse hat sich seit dem Jahr 2000 mit erstaunlicher Geschwindigkeit entwickelt. List und MacMillan sind nach wie vor führend auf diesem Gebiet und haben gezeigt, dass organische Katalysatoren für eine Vielzahl von chemischen Reaktionen eingesetzt werden können.
Mithilfe dieser Reaktionen können Forscher nun alles effizienter herstellen, von neuen Arzneimitteln bis hin zu Molekülen, die Licht in Solarzellen einfangen können. Auf diese Weise bringen die Organokatalysatoren der Menschheit einen großen Nutzen, heißt es in der Begründung des Nobelkomitees.
Begeisterte Zustimmung
In Forscherkreisen stieß die Wahl der Preisträger auf breite Zustimmung. Besonders freute sich natürlich das Team vom ListLab in Mühlheim an der Ruhr, an dem die Entwicklung von Organokatalysen für verschiedene enantioselektive Transformationen erforscht wird.
Auch das sonst eher gediegene Max-Planck-Institut ist völlig begeistert, hat es doch - einmal mehr - Grund zur Freude.
Der Chemie-Nobelpreis
Die Chemie war die wichtigste Wissenschaft für Alfred Nobels eigenes Schaffen. Sowohl die Entwicklung seiner Erfindungen als auch die von ihm eingesetzten industriellen Verfahren basierten auf chemischen Kenntnissen. Entsprechend war die Chemie das zweite Preisgebiet, das Nobel in seinem Testament erwähnte.
Insgesamt wurde der Nobelpreise für Chemie 113 Mal vergeben, nur sieben Frauen haben den begehrten Preis bislang erhalten.
Im vergangenen Jahr wurde der Chemie-Nobelpreis für die revolutionäre CRISPR/Cas9 Gen-Schere verliehen. Ausgezeichnet wurden zwei Forscherinnen aus Frankreich und den USA: Mit der Gen-Schere haben Jennifer Doudna und Emmanuelle Charpentier die Medizin und Biotechnologie revolutioniert. Die Entdeckung ermöglicht Therapien gegen Erbkrankheiten und die Züchtung von resistenten Pflanzen.
Die Woche der Preise
Der Chemiepreis ist die dritte und letzte naturwissenschaftliche Auszeichnung des Nobelkommitees in diesem Jahr.
Den Anfang machte am Montag die Medizin. David Julius und Ardem Patapoutian erhielten den Preis für ihre Entdeckung von Rezeptoren für Temperatur und Berührung.
Am Dienstag wurde der Physik-Nobelpreis an die Klimamodellierer Syukuro Manabe (Japan) und Klaus Hasselmann (Deutschland) sowie an Giorgio Parisi (Italien) für dessen Forschungen zu komplexen physikalischen Systemen verliehen.
Am Donnerstag und Freitag folgen der Literatur- und der Friedensnobelpreis, am 11. Oktober wird die Auszeichnung im Bereich Wirtschaftswissenschaften verliehen.
120 Jahre Nobelpreis
Die Nobelpreise werden in diesem Jahr zum 120. Mal verliehen. Die diesjährigen Preisträger erhalten ein Preisgeld von 10 Millionen schwedischen Kronen (etwa 980.000 Euro), eine Nobelmedaille und eine Reihe von anderen Schmuckstückchen.
Allerdings müssen sie sich noch bis zum 10. Dezember gedulden. Normalerweise findet an diesem Datum die feierliche Vergabe in Stockholm beziehungsweise Oslo statt. Wegen der Pandemie bekommen die Preisträger dieses Jahr erneut die Preise in ihren Heimatländern überreicht.