Chavez' Erben in der Bronx
16. April 2013US-Päsident Barack Obama und auch New Yorks Bürgermeister Michael Bloomberg hätten keine Ahnung, wie das Leben in der Bronx ist, sagt Steven. Die Stimme des 21-Jährigen klingt älter, er spricht in breitem Slang: "Aber mit Hugo Chavez kann ich mich identifizieren. Als Kind hatte Chavez selbst keine Schuhe und nichts zu essen."
Stevens rechter Arm ist von der Schulter bis zum Handgelenk mit dunkelgrünen Tätowierungen bedeckt, auf seinem T-Shirt prangt rot umrahmt der Satz "Ich bin Chavez" auf Spanisch. Steven steht am Eingang des Begegnungszentrum "The Point". Aus dem Inneren dröhnt Hiphop-Musik. Ein Künstlerkollektiv veranstaltet knapp zwei Wochen nach dessen Tod eine Gedenkfeier für den verstorbenen venezuelanischen Präsidenten.
Dass Chavez gefeiert wird, ist vor allem Verdienst des Programms Petro Bronx. Dessen weitgehend unbekannte Geschichte zeigt, wie man durch wirtschaftliche Hilfe politischen Einfluss nehmen kann. Sie beginnt vor knapp acht Jahren, hier im Begegnungszenrum "The Point".
Der einstöckige Bau liegt hinter einer mit Graffiti besprühten Mauer an einer Ausfahrtstraße. Rund herum: zerbröckelnde Häuserfassaden, zerbeulte Autos. Geschäfte werben damit, dass man auch mit Essenmarken bezahlen kann. Der südliche Teil des New Yorker Bezirks Bronx ist in den USA zum Synonym für städtischen Verfall und soziale Konflikte geworden.
Ein Hilfsversprechen als wirtschaftliche Geste
Hier tauchte Hugo Chavez im September 2005 auf. Für die Generalversammlung der Vereinten Nationen war er nach New York gekommen. Im Anschluss ging er in die Bronx, um sich dort mit Musikern und Aktivisten zu treffen.
"Alle waren unglaublich aufgeregt - er war meines Wissens der erste Staatschef aus einem anderen Land, der in die Bronx kam", erinnert sich Felix Leo Campos. Der 57-jährige Filmemacher verfolgte die Begegnung des venezuelanischen Präsidenten mit den Bewohnern. Den ganzen Morgen habe Chavez mit den Leuten gesprochen, über zweieinhalb Stunden lang, sagt Campos.
Die Aufnahmen zeigen einen Staatschef, der sich gekonnt unter die Menschen mischt. Und Chavez gab den Anwesenden ein Versprechen: Durch Geldzahlungen sollten Organisationen in der South Bronx unterstützt werden. Außerdem wollte er, unabhängig vom Programm Petro Bronx, einkommensschwache Familien mit günstigem Heizöl versorgen.
Dieses Engagement kann als Ausdruck des Wirtschaftsmodells verstanden werden, das hinter dem linksgerichteten Bündnis "Bolivarianische Alternative für Amerika" (ALBA) steht - ein Bündnis, das auch auf Hugo Chavez zurückgeht.
"ALBA entstand als Initiative, um den internationalen Handel zu überdenken. Nationen sollen gegenseitig Sachleistungen austauschen statt zu handeln, und sie sollen das austauschen, was der jeweilige Handelspartner am nötigsten braucht," sagt Alejandro Velasco. Der Historiker forscht an der New York University zu Hugo Chavez. Gleichzeitig sei das Programm als PR-Aktion der Chavez-Regierung gedacht gewesen.
Irgendwann stoppen die Zahlungen
Trotz zunehmender politischer Spannungen zwischen Venezuela und den USA hielt Chavez sein Versprechen. "Er war der Meinung, dass die Bevölkerung der USA kaum Einfluss auf die Politik hat", sagt Velasco.
In den darauffolgenden Jahren flossen neben dem Heizöl rund fünf Millionen Dollar (3,8 Millionen Euro) in soziale Projekte in der Bronx. Im Jahr 2010 jedoch endeten die Zahlungen, mit Ausnahme einiger Projekte, die bis heute von einer Stiftung weiter unterstützt werden.
Das Ende der Zahlungen hatte laut Historiker Velasco historische und politische Gründe. Infolge der weltweiten Rezession fiel der Ölpreis, was die Wirtschaft des Ölexporteurs Venezuela schwächte. Gleichzeitig fand in Venezuela ein teurer Wahlkampf statt. Außerdem hatte das Programm für negative Schlagzeilen gesorgt, sagt Historiker Velasco: "Die Amerikaner begannen zu fragen: Warum ist das nötig? Was macht dieser Despot Chavez bei uns im Land?"
"Chavez wird niemals gehen"
"Chavez' Bild in der US-Öffentlichkeit ist sehr negativ", sagt auch Steven vor dem Eingang von The Point. Seiner Meinung nach liegt das an den US-Medien, die Chavez und seine Politik einseitig darstellen. Auf der Gedenkfeier in der Bronx sind auffällig viele junge Menschen.
30 Minuten später. Steven atmet tief durch. Mit zwei anderen Rappern tritt er vor die Zuschauer. "Chavez wird niemals gehen. Er lebt in uns weiter", rufen sie auf Spanisch ins Publikum. Der Saal johlt. Es sind Menschen, die sich allein gelassen fühlen von ihren Politikern.
"Egal ob jung oder alt - hier in der Bronx will jeder nur überleben. Und in den anderen Randbezirken von New York ist es genauso", sagt Steven später und seine Stimme bebt. Sie werden Chavez in Erinnerung behalten, sagt er, "denn wir haben sonst keinen, zu dem wir aufschauen können".