Charlottesville zwischen Trotz und Hoffnung
11. August 2018Auf dem Bürgersteig liegen Blumen und ein kleiner Plüschbär. "Gone - not beaten" hat jemand mit Kreide auf der Hausfassade geschrieben: "Von uns gegangen - aber nicht besiegt." Dies ist der Ort in Charlottesville, an dem Heather Heyer vor einem Jahr getötet wurde, als am 12. August 2017 ein Rechtsextremist mit seinem Auto in eine Gruppe von Demonstranten raste.
"Sie wollte immer das Richtige tun", sagt Heyers Mutter, Susan Bro. Sie steht am Rande der "Fourth Street" in der 49.000 Einwohnerstadt im US-Bundesstaat Virginia. Die Straße, auf der das Leben ihrer Tochter endete. Der südliche Abschnitt heißt jetzt "Heather Heyer Way". Susan Bro schließt ihre Augen und schluckt.
Ihre Tochter wurde 32 Jahre alt. Sie hatte einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn, erzählt Bro. An manchen Tagen überwältigt sie die Trauer so, dass sie nicht einmal aufstehen kann. Aber die 61-Jährige hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Anliegen ihrer Tochter weiterzutragen.
Bro ist inzwischen zu einer prominenten Stimme gegen Rassismus in Charlottesville geworden. "Ich habe eine Botschaft", sagt sie. "Und ich spreche weiße Leute an. Menschen, bei denen bislang niemand mit diesem Anliegen durchgedrungen ist und die mir zuhören, weil ich die richtige Hautfarbe habe - was bedauerlich ist."
Eine Stadt ringt um ihre Identität
Charlottesville ringt immer noch damit, was vor einem Jahr in der Stadt passierte. Der Aufmarsch von Rechtsextremisten und Neonazis hatte erwartungsgemäß schnell in Gewalt umgeschlagen, zu Straßenschlachten zwischen den Rechten und Gegendemonstranten geführt. "Wir hatten das befürchtet, und die Polizei gewarnt", sagt Jalane Schmidt, Aktivistin und Professorin an der Universität in Virginia.
Sie steht vor einem der bekanntesten Denkmäler der Stadt. Es ist eine Reiterstatue, die Robert E. Lee darstellt, den Befehlshaber der Südstaaten-Truppen im amerikanischen Bürgerkrieg. Die Rechtsextremisten hatten den lokalen Streit um die geplante Entfernung des Denkmals genutzt, um im vergangenen Jahr zur Kundgebung aufzurufen. "Ein Vorwand", sagt Schmidt. Es sei von Anfang darum gegangen, Gewalt zu provozieren.
Denkmal versus Gedenkplakette
Das Denkmal steht nur ein paar Straßen entfernt vom historischen Gerichtsplatz in Charlottesville. Dort weist auch eine kleine Gedenkplakette im Boden darauf hin, dass an dieser Stelle vor zwei Jahrhunderten Sklaven versteigert wurden.
"So gehen wir mit unserer Geschichte um," sagt Jalane Schmidt. Sie glaubt, dass die Stadt zu lange gezögert hat, sich der Realität zu stellen. Auch heute würden sich viele wünschen, einfach zur Tagesordnung überzugehen, und Fremde für die Ereignisse im vergangenen Jahr verantwortlich zu machen.
Aber der Organisator der Rechtsextremen-Demo, Jason Kessler, stammt aus Charlottesville. Und Richard Spencer, ein berüchtigter Vertreter der rechtsextremen "Alt-Right"-Bewegung, studierte hier in der Stadt, an der Universität von Virginia. Die Rechtsextremen wurden von Präsident Trump, seinen Äußerungen und seiner Politik ermutigt, davon ist Professorin Schmidt überzeugt.
Zu "beschäftigt", um Trump zu treffen
Mit dem US-Präsidenten will auch Heather Heyers Mutter nichts zu tun haben. Sie räumt ein, dass das Weiße Haus kurz nach dem Tod ihrer Tochter versucht hatte, die Familie telefonisch zu erreichen. Susan Bro verpasste die Anrufe.
Ob es sie ärgert, dass Trump die Neonazis und Rechtsradikalen für die Gewalt in Charlottesville nicht eindeutig verurteilte? "Würde es Sie ärgern, wenn jemand sagt, dass die Nazis, die Ihr Kind getötet haben, gute Menschen sind?", fragt sie zurück. Nein, sie plane den Präsidenten nicht zu treffen. Sie sei zu beschäftigt.
Erfolgreiche Strategie gegen Rechtsextreme
Auch Jalane Schmidt ist beschäftigt. Die Aktivistin ist überzeugt, dass der Protest und der Widerstand, mit denen die Rechten vor einem Jahr in Charlottesville konfrontiert wurden, Wirkung gezeigt hat. Ähnliche Proteste gegen Rechtsradikale in anderen Teilen der USA folgten. Es wurde immer schwieriger für die Alt-Right-Bewegung, Veranstaltungsorte für ihre Demonstrationen und Versammlungen zu finden.
Die "White Supremacy", die eingebildete Überlegenheit der Weißen, sei Teil des US-Alltags - in der Politik ebenso wie in der Wirtschaft. "Allein wenn man daran denkt, wie die Polizei Schwarze behandelt", sagt Jalane Schmidt. Aber das würden inzwischen immer mehr Menschen in Charlottesville und anderswo erkennen - auch viele Weiße, die vor kurzem noch selbstzufrieden glaubten, alles sei ok.