Charlie und das Morgenland
14. Januar 2015Mohammed? Ihn sucht man in der arabischen Welt derzeit vergebens. Zumindest als Karikatur, als jenen weinenden Propheten, den das französische Satiremagazin ihren Lesern eine Woche nach den tödlichen Angriffen präsentiert. Der Prophet weint angesichts der angeblich im Namen des Islam verübten Gewalttaten, doch die Leser der großen arabischen Zeitungen können ihn nicht sehen – nicht eine hat die Karikatur abgedruckt.
Die allermeisten Zeitungen in Algerien, Ägypten oder Saudi Arabien haben sich dazu entschlossen, über die Neuausgabe, wenn überhaupt, dann am Rande zu berichten.
Einige Zeitungen veröffentlichen heute ihrerseits Karikaturen, durch die sie ihre Haltung zum Ausdruck brachten. Ihre Positionen gehen weit auseinander. So präsentiert die tunesische Zeitung "Al Fajr" ihren Leser die Zeichnung eines Dschihadisten, der eine Bombe zündet. Die Bombe ist rund und stellt den Globus dar. Der Dschihadist sitzt auf ihr. Die islamischen Terroristen, so die Botschaft, zerstören die Welt, in der auch sie selbst leben.
Eine Karikatur ganz anderer Art veröffentlicht die algerische Zeitung "Al Djumhouria". Sie zeigt eine Zeichnung eines überdimensionnierten Juden, der einer zu Tode erschreckten Frau die winzige Puppe eines Muslims vor die Nase hält. Damit erinnert sie stark an die antisemitischen Zeichnungen im Deutschland der NS-Zeit. Die wahren Feinde der Menschheit, gibt die Karikatur eine Woche nach den Anschlägen der Täter algerischen Ursprungs zu verstehen, sind die Juden.
Angemessene Aufregung?
Ausführlich widmet sich hingegen die junge liberale Online-Zeitung "Al Arabi al-jadeed" aus London den Zeichnungen. Die Linie zwischen freier Rede und "hate speech", also der bewussten Diffamierung, sei bisweilen dünn, schreibt Kommentator Azmi Bishara. Und dennoch: "Wir müssen uns fragen, ob Karikaturen, die die Propheten sämtlicher Religionen - auch den des Islams – beschimpfen, deren Ansehen wirklich untergraben können. Sind Fälle wie dieser für Millionen Muslime wirklich ein angemessener Grund, sich zu erheben, ihre Zukunft und ihre Pläne sowie ihre Beziehungen zu anderen Nationen und Völkern auf's Spiel zu setzen?"
Zornige Stimmen
Ja, antworten nicht wenige Stimmen im Internet. Im Kurznachrichtendienst Twitter finden sich auch zornige oder sogar zynische Kommentare. Heute (14.01.2015) spucke Charlie Hebdo den Muslimen noch einmal ins Gesicht, schreibt ein User. "Wir werden unseren Führer Mohammed für euch rächen", schreibt ein User aus Ostasien.
Stimmen, die das Attentat nicht vollständig verdammen möchten, finden sich auch in den Zuschriften an "Al Jazeera". Was bedeute es, dass Charlie Hebdo "vergeben" wolle, fragt eine Leserin. "Die Täter sind tot, darum kommt es jetzt auf Vergebung nicht mehr allzu sehr an". Ein anderer User weist auf die Grenzen der Freiheit hin: "Der Islam ist eine friedliche Religion. Sich über den Glauben anderer lustig zu machen oder ihn zu beschimpfen, das ist keine Meinungsfreiheit – so etwas nennt man hate speech".
Andere widmen sich dem politischen Hintergrund der Attentate: "Der wesentliche Grund liegt in der Schwäche der muslimischen Staaten, ihrer korrupten, schwachen, und verräterischen Herrscherdynastien." Die angemessene Reaktion liege auf der Hand: "Sie müssen von guten Muslimen entfernt werden."
Reaktionen aus der Türkei
Anders als in der arabischen Welt sehen die Reaktionen in der Türkei aus. Dort zeigten mehrere Medien dasTitelbild von "Charlie Hebdo" im Internet. Daraufhin hat ein türkisches Gericht heute die Sperrung der entsprechenden Seiten angeordnet.
Die regierungskritische Zeitung "Cumhuriyet" berichtet zudem, die Polizei habe in der Nacht zu Mittwoch mit der jüngsten Ausgabe beladene Lastwagen in Istanbul angehalten. Das Blatt hatte angekündigt, aus Solidarität mit "Charlie Hebdo" und zur Unterstützung der Meinungsfreiheit vier Seiten der neuen Ausgabe des Satireblatts nachzudrucken.
Der türkische Journalistenverband "TGC" verteidigte daraufhin "Cumhuriyet" und warf der Polizei Verletzung der Pressefreiheit vor. Die Polizei ihrerseits verschärfte angesichts aufgebrachter Demonstranten die Sicherheitsvorkehrungen vor dem Verlagsgebäude von "Cumhuriyet".
Erregt debatiert wird auch in den sozialen Medien. "In meinem Land ist kein Platz für das Satiremagazin "Charlie Hebdo" heißt es in einem Hashtag. Und ein anderer schrieb: "Der Tod von Menschen, die sich derartig über unseren Propheten lustig machen, ist keinerlei Bestürzung wert".
Das ägyptische Fatwa-Amt
Im Vorfeld der heutigen Ausgabe von "Charlie Hebdo" hatte sich bereits Dar al-Iftaa, das ägyptische Fatwa-Amt, geäußert. Diese sei eine nicht zu rechtfertigende Provokation von anderthalb Milliarden Muslimen.
Dar al-Ifta weist darauf hin, dass die neue Ausgabe von Charlie Hebdo eine neue Welle des Hasses in der französischen und westlichen (muslimischen) Gemeinde auslösen werde. "Die Aktivitäten des Magazins stehen dem Versuch der Muslime im Wege, eine friedliche Koexistenz und den Dialog zwischen den Zivilisation zu verwirklichen."
Während Dar al-Iftaa vor einer Woche die Pariser Attentate umgehend verurteilt hatte, kritisiert das Amt nun die neuen Zeichnungen. "Sie sind eine gefährliche Eskalation gegenüber humanitären Werten, der Freiheit, der kulturellen Vielfalt und dem respekt vor den Menschenrechten. Diese Werte sind aber unverzichtbar, um den sozialen Frieden zu wahren. Außerdem vertiefen Aktionen wie diese die Gefühle von Hass und Diskriminierung in den Herzen von Muslimen und Nicht-Muslimen gleichermaßen."
Küchenmesser aus China
Ein Leserbriefschreiber von Al-Jazeera hält die Aufregung dagegen für überzogen. Ja, Charlie Hebdo habe eine Karikatur des Propheten veröffentlicht – "Na und? Wenn nun die ganze Welt Karikaturen heiliger Ikonen veröffentlichen wollte, sollten wir dann der ganzen Welt den Krieg erklären und mit aus China importierten Küchenmessern und Baseball-Kappen aus Amerika auf sie losgehen?"