Schiedsrichterin Frappart mit gelungenem Debüt
2. Dezember 2020Trotz seines 750. Pflichtspiel-Tores hatte Cristiano Ronaldo beim 3:0 (1:0) von Juventus Turin gegen Dynamo Kiew nicht die ganze Aufmerksamkeit für sich. Die Augen waren auch auf Stéphanie Frappart gerichtet. Als erste Frau leitete sie ein Spiel der Champions League der Männer. Ohne Probleme - was bei der 36-Jährigen keinen wundern dürfte.
Schließlich hat sie jede Menge Erfahrung: 2019 pfiff sie das Endspiel im europäischen Supercup. Auch das eine Premiere. Auch die absolvierte sie mit Bravour . Frappart lieferte den perfekten Auftritt, darin waren sich in der Beurteilung nach dem Spiel alle einig. "Das war brillant. Sie hat jederzeit alles im Griff gehabt", lautete beispielsweise das Urteil des ehemaligen Weltklasse-Schiedsrichters Mark Clattenburg aus England. Diesmal sind die Reaktionen nicht anders. Nationalspieler Ilkay Gündogan lobte Frappart als "Inspiration".
Kometenhafter Aufstieg
Wo auch immer Frappart zum Einsatz kommt, sie hinterlässt nachhaltig Eindruck. Deswegen lautet bei ihr die Frage nicht ob, sondern wann der nächste Schritt kommt. Denn in der Karriere der ehemaligen Fußballerin aus Herblay-sur-Seine in der Nähe von Paris geht es eigentlich immer nur in eine Richtung: nach oben! Nach ihrem Start als Schiedsrichterin im französischen Frauenfußball und den unteren Ligen der Männer feiert Frappart bei der Frauen-Fußball-WM 2015 ihre Weltmeisterschafts-Premiere. Zwei Partien pfeift die Französin bei dem Turnier in Kanada, darunter ein Achtelfinale. Schon während ihrer aktiven Zeit ließ sie sich zur Schiedsrichterin ausbilden und seit ihrem 20. Lebensjahr leitet sie Fußballspiele. Mit ihren Debüts als Schiedsrichterin in der vierten (2009), dritten (2011) und zweiten Liga (2014) der Männer schrieb Frappart bereits vor der WM mehrfach Geschichte. Ihren ersten Einsatz im französischen Pokal der Männer absolviert Frappart 2015 kurz vor dem Turnier in Kanada - ein historischer Höhepunkt jagt den nächsten.
Die Karriere der 36-Jährigen verläuft in dieser Zeit beinahe schon zu rasant. Während der eine Höhepunkt noch nachhallt, sorgt Frappart bereits für den nächsten. 2016 pfeift sie beim Frauenturnier der Olympischen Spiele in Rio de Janeiro, 2017 bei der Frauen-EM in den Niederlanden - ein Ende des Aufstiegs ist nicht in Sicht. "Ich habe mich seit meinen Anfängen in der Tat stark weiterentwickelt", sagt Frappart 2017 in einem Interview mit der Sportkarriere-Plattform "Global Sports". Es ist die mit Selbstbewusstsein und Zielstrebigkeit gepaarte Nüchternheit, die sie auch auf dem Platz auszeichnet. Und noch immer lautet die Frage: Wann kommt der nächste Höhepunkt?
2019 - ein Bilderbuchjahr
Es ist das Jahr 2019, das - bei allen Meilensteinen, die Frappart in ihrer Karriere bereits passiert hat - zu ihrer persönlichen Mondlandung wird und mal wieder überschlagen sich die Ereignisse: Im April leitet sie als erste Schiedsrichterin eine Partie in der Ligue 1 - Frankreichs höchster Spielklasse. Neben der Deutschen Bibiana Steinhaus, die regelmäßig in der zweiten und seit 2017 auch in der Bundesliga zum Einsatz kommt, ist Frappart zu diesem Zeitpunkt die einzige Frau, die Spiele in einer der fünf großen europäischen Ligen in England, Spanien, Deutschland, Italien und Frankreich leitet.
Und sie wandelt weiter auf den Spuren der Kollegin aus Deutschland, die jüngst ihre Karriere beendete: Bei bei der Frauen-WM 2019 folgt der ganz große Wurf: Frappart pfeift, wie Steinhaus zuvor bei der WM 2011 in Deutschland, das Endspiel bei einer Weltmeisterschaft im eigenen Land. Neben dem haushoch überlegenen Team aus den USA, das die Niederlande mit 2:0 schlägt, überzeugt vor mehr als 57.000 Zuschauern in Lyon auch die Schiedsrichterin - mal wieder. Im Frauenfußball hat Frappart damit so gut wie alles als Schiedsrichterin erreicht, die Auszeichnung zur Schiedsrichterin des Jahres Ende 2019 ist da fast nur noch Formsache. Doch Meilensteine waren in ihrer Karriere stets nur Zwischenziele - so auch dieses Mal, als es die UEFA ist, die Frappart nach der Leitung des WM-Finals auf die nächste Stufe hebt.
Pionierin für Frauen im Fußball
Frappart auf der einen, die mächtigen Verbände FIFA und UEFA auf der anderen Seite: Das ist spätestens seit der Frauen WM 2015, bzw. der Frauen-EM 2017 so etwas wie eine öffentliche Liebe: "Das habe ich den Schiedsrichterseminaren in Frankreich, der UEFA und der FIFA zu verdanken. Ich konnte mich dort technisch, taktisch und physisch stark verbessern und bin nun für jeden Einsatz besser gerüstet", antwortet Frappart 2017, angesprochen auf ihren steilen Aufstieg, in einem Interview. Die Respekts- und Dankesbekundungen erreichen im Zuge ihrer Nominierung für den UEFA-Supercup 2019 neue Dimensionen. Sie verfüge "über das Rüstzeug, auf der großen Bühne zu bestehen" und habe "über Jahre hinweg gezeigt, dass sie eine der besten Schiedsrichterinnen ist, und zwar weltweit", lässt sich seinerzeit UEFA-Schiedsrichterboss Roberto Rosetti zitieren.
UEFA-Präsident Alexander Ceferin ließ sich in Sachen Pathos ebenfalls nicht bitten und sprach davon, dass Frappart als Vorbild für "Millionen von Mädchen und Frauen in ganz Europa" dienen solle. "Sie sollen sehen, dass aus jedem Traum Wirklichkeit werden kann." Die Glaubwürdigkeit - im Fußball oft ein rares Gut - dieser Worte der UEFA-Spitze wird durch die Nominierung Frapparts für ein Champions-League-Spiel gut anderthalb Jahre nach dem Supercup weiter gefestigt. Keine Frage: Die UEFA meint es ernst mit ihrer Stéphanie Frappart und gibt ihr die Chance zum nächsten großen Wurf von historischer Bedeutung, die für die 36-jährige Französin ironischerweise schon fast etwas routineartiges haben dürfte. Wegbereiterin ist sie ohnehin und es gibt Nachfolgerinnen: mit Kateryna Monzul aus der Ukraine wird auch in der Europa League eine Schiedsrichterin Premiere feiern.