Champions League in deutscher Hand
15. August 2020Hansi Flick, Julian Nagelsmann, Thomas Tuchel - drei Trainer aus dem gleichen Land im Halbfinale der Champions League, das hat es noch nie gegeben seit die neue Königsklasse in der Saison 1992/93 den bisherigen Europapokal der Landesmeister ablöste. Und da Nagelsmanns RB Leipzig und Tuchels Paris St. Germain im direkten Duell aufeinandertreffen, steht bereits jetzt fest: Auch im Finale wird mindestens ein deutscher Coach an der Seitenlinie stehen. Das war auch in den vergangenen beiden Jahren schon der Fall: Jürgen Klopp erreichte mit dem FC Liverpool jeweils das Endspiel. 2018 verloren die "Reds" gegen Real Madrid, 2019 setzten sie sich gegen Tottenham Hotspur durch.
"Das ist schön für den deutschen Fußball. Auch mannschaftsmäßig ist es für den deutschen Fußball wichtig", sagte Julian Nagelsmann nachdem er sich mit seiner Mannschaft im Viertelfinale gegen Atletico Madrid durchgesetzt hatte. "Wir sollten uns freuen, dass wir ein paar deutsche Vertreter haben in den Top vier in Europa, das ist eine schöne Sache. Schauen wir mal, wie viele es am Ende ins Finale schaffen", sagte der 33-Jährige. Da wusste er noch nicht, dass sich der FC Bayern mit einer 8:2-Gala gegen den FC Barcelona durchsetzen und ebenfalls ins Halbfinale einziehen sollte.
Lob aus der DFB-Zentrale
Ohnehin ist es eine Seltenheit, dass mal zwei Bundesliga-Klubs in der Vorschlussrunde der Champions League noch dabei sind. Tatsächlich gab es das bisher erst einmal: 2013, als sich der FC Bayern und Borussia Dortmund sogar im Finale von Wembley trafen und Arjen Robben das 2:1-Siegtor zum bislang letzten deutschen Erfolg in der Königsklasse erzielte. Seitdem haben es nur noch die Münchner soweit geschafft, ins Finale konnten sie aber in den vergangenen sieben Jahren nicht mehr vordringen.
Wie außergewöhnlich der bereits erreichte Erfolg der deutschen Klubs und der deutschen Trainer schon jetzt ist, zeigen auch die Reaktionen von Vertretern des Deutschen Fußballbunds (DFB). "Sie haben schon jetzt Großartiges geleistet", lobte Oliver Bierhoff, der Direktor Nationalmannschaften und Akademie im DFB, in einer Verbandsmitteilung. Auch DFB-Präsident Fritz Keller schloss sich an: "Beide Mannschaften sind im Viertelfinale wie Champions aufgetreten", lobte Keller. "Zwei Teams unter den besten vier Europas - das ist schon jetzt ein toller Erfolg für den deutschen Fußball und eine großartige Leistung der Trainer Julian Nagelsmann und Hansi Flick, der auch beim DFB wertvolle, erfolgreiche und nachhaltige Arbeit geleistet hat."
Bierhoff vergaß aber auch den Dritten im Bunde nicht und beglückwünschte Thomas Tuchel zum PSG-Sieg in letzter Minute gegen Atalanta Bergamo. "Es ist ein wunderbarer, erfolgreicher Moment für den deutschen Fußball. Wir freuen uns sehr darüber, dass nicht nur zwei deutsche Vereine zu den Halbfinalisten zählen, sondern auch drei Trainer aus Deutschland und viele unserer Nationalspieler in der entscheidenden Phase des Wettbewerbs vertreten sind", so Bierhoff, auch wenn die Belastung der deutschen Top-Spieler durch die weiteren Runden noch einmal steigt.
Flick will "ganz oben stehen"
Und wie weit kann es noch gehen für die so Gelobten? Nach der mehr als überzeugenden Leistung gegen Lionel Messi und Co. wird von FCB-Trainer Flick und seinem Team nichts anderes als der Finaleinzug erwartet - auch wenn Halbfinalgegner Olympique Lyon keine leichte Aufgabe wird. Dementsprechend äußerte sich auch Flick nach dem Barcelona-Spiel: "Wir wissen alle, dass man sich freuen kann über die Art und Weise, wie man dieses 8:2 herausgespielt hat. Aber wir haben noch einiges vor der Brust. Wir wissen alle, wie schnell es im Fußball gehen kann", sagte der 55-Jährige. "Wir nehmen diesen Sieg gerne mit, auch die Leistung der Mannschaft. Wir wissen aber, dass noch ein hartes Stück Arbeit ansteht, um am Ende da zu stehen, wo wir hinwollen."
Was genau Flick damit meinte? "Ganz oben zu stehen", so der selbstbewusste Bayern-Trainer. Allerdings vergaß Flick im Augenblick des Erfolgs auch die Kollegen nicht. "Ich freue mich natürlich für Thomas und auch für Julian", sagte Flick. "Ich weiß selbst, wie man sich fühlt, wenn man ins Halbfinale kommt. Das sind die besten Vereinsmannschaften, die besten Klubs in Europa. Da ist man sehr happy."
Nagelsmanns Kür, Tuchel unter Druck
Richtig happy wird der eine der beiden wohl aber erst dann sein, wenn er am Ende den Henkelpott in die Höhe recken darf: Thomas Tuchel steht unter Erfolgsdruck. Neun Jahre nach dem Einstieg der katarischen Besitzer bei PSG soll der ersehnte Titel in der Champions League her. Hätten seine Spieler das Viertelfinale gegen Bergamo nicht noch gedreht, Tuchel wäre wohl entlassen worden.
Diese Sorgen muss sich Julian Nagelsmann nicht machen. Er hat mit RB schon jetzt mehr erreicht, als man sich erträumt hätte. Alles, was jetzt noch kommt, ist die Kür. Was allerdings nicht bedeutet, dass Nagelsmann nicht ehrgeizig wäre und nicht am liebsten auch den Pokal gewinnen will. Mit gerade einmal 33 Jahren hat er allerdings noch jede Menge Zeit dafür. Möglicherweise schafft er es sogar, im Laufe seiner Karriere nicht nur mit RB sondern auch mit den Bayern und PSG erneut ins Halbfinale der Champions League einzuziehen. Völlig unrealistisch wäre es nicht.