Akolo: "Hunger gehörte für mich zum Leben"
15. November 2017DW: Eine Stuttgarter Zeitung hat sie kürzlich bei Ihrem Tor gegen Köln mit Lionel Messi verglichen. Macht Sie das stolz?
Chadrac Akolo: Es war ein besonderes Tor, weil es in der Nachspielzeit fiel. Vielleicht ist mit den Leuten hier die Euphorie etwas durchgegangen. Wenn es ein Tor war, das geholfen hat, bin ich sehr zufrieden. Aber es war sicher nicht vergleichbar mit dem, was Messi kann.
Sie haben als Neuzugang beim VfB Stuttgart bereits in der Bundesliga sowie im DFB-Pokal getroffen und die Fans singen ihren Namen. Haben Sie schon realisiert, was Sie geschafft haben?
Ich habe realisiert, dass ich in einer guten Phase bin. Ich weiß auch, dass auch noch schwere Phasen auf mich zukommen. Damit muss ich klarkommen. Ich habe beides schon erlebt, gute wie schlechte Momente. Ja, ich weiß, dass ich gerade eine gute Zeit erlebe, aber ich bin mir bewusst, wie schnell so etwas vorbei sein kann. Ich lebe von Tag zu Tag und werde weiter hart arbeiten.
Stuttgart ist vorerst die letzte Etappe einer langen Reise: vom Kongo über die Schweiz bis nach Deutschland. Haben Sie als Kind in Kinshasa jemals geglaubt, dass Sie einmal in der Bundesliga spielen werden?
Nein. Ich habe nie geglaubt, dass ich mal mit dem Fußball mein Geld verdienen kann. Es ging irgendwann alles sehr schnell. Ich habe beim (Schweizer Erstligisten, Anm. d. Red.) FC Sion angefangen und wurde Stammspieler. Das allein war schon völlig unglaublich für mich. Und jetzt hier zu sein, in Stuttgart… mir fehlen einfach die Worte dafür. Ich versuche aber etwas Abstand von diesem Gedanken zu nehmen. Ich möchte erst am Ende Bilanz ziehen.
Stimmt es, dass Sie in Ihrer Kindheit hungern mussten?
Ja, das stimmt. Der Kongo ist ein Land mit vielen Problemen. Ich glaube, 60 Prozent meiner Landsleute leiden Hunger, vielleicht sind es sogar noch mehr. Für viele gehört das zum Leben dazu, auch für mich damals.
Wie war die Situation für Sie und Ihre Familie, bevor Sie sich zur Flucht nach Europa entschlossen haben?
Alles ging sehr schnell. Ich wollte meiner Mutter folgen und es blieb nur mein Vater dort. Ich habe damals etwas Geld bekommen, damit ich die Schule bezahlen kann. Aber ich bin nicht hingegangen, weil ich mir von dem Geld etwas zu essen kaufen wollte.
War damals Ihr Wunsch, zur Schule zu gehen, der Grund für Ihre Flucht aus dem Kongo?
Ich bin nicht nach Europa gereist, um Fußballer zu werden. Als ich ankam, wollte ich nur eins: in die Schule gehen. Als ich dort war, haben mich meine neuen Freunde wieder zum Fußball gebracht. Dann dachte ich mir, warum nicht, eine Fußball-Karriere könnte cool werden. Da fing alles an.
Welche Erinnerungen haben Sie an Ihre Flucht?
Ich habe als Kind Kriege erlebt und viele schlimme Dinge. Aber ich bin jemand, der versucht, solche Dinge zu verdrängen, um nicht ständig an all das Schreckliche denken zu müssen, um nicht versuchen zu müssen, es zu verstehen, was geschehen ist. Manchmal hilft es die Vergangenheit zu verdrängen. Aber wenn ich darüber spreche, erinnere ich mich an alles. Auch an die Angst als Jugendlicher in der Schweiz, wieder zurück in den Kongo geschickt zu werden.
Aus einem der ärmsten in eines der reichsten Länder der Welt: Ihre Ankunft in der Schweiz muss wie ein Sprung in eine andere Welt gewesen sein. Wie war ihr erster Eindruck?
Wunderbar, alles dort war so schön. Als ich gesehen habe, dass es dort immer etwas zu essen und zu trinken gibt, war das zunächst unglaublich. Es war irgendwie irreal verglichen mit dem Kongo. Ich wurde hier sehr warm empfangen, sowohl in der Schweiz, als auch in Deutschland.
Was bedeutet Ihr Erfolg in der Bundesliga für Ihre Familie?
Sie sind sehr stolz auf mich. Für sie ist das Ganze ebenso unglaublich wie für mich. Es ist eine verrückte Entwicklung. Aber ich darf nicht lange darüber nachdenken, ich muss meine Konzentration auf meine Arbeit bewahren. Meine Familie schaut mir dabei im Fernsehen zu und sie schreiben mir nach jedem Spiel.
Sie leben den Traum von Millionen Jungs in Afrika. Aber wie fühlt sich dieser Traum in der Realität an?
In der Realität bedeutet er viel Arbeit. Es ist ein hartes Stück Arbeit. Man muss jeden Tag an sich arbeiten und man muss viel opfern, das darf man nicht verschweigen. Als Profi hast du nicht das gleiche Leben wie alle anderen. Du musst sehr hartnäckig sein und du hast kaum Freiheiten. Eigentlich hast du nur deinen Job.
Wann sehen wir Chadrac Akolo mit dem Kongo bei der Weltmeisterschaft?
Ich bin erst seit kurzem Nationalspieler. Dieses Mal hat es nicht geklappt (Kongo scheiterte in der WM-Qualifikation knapp an Tunesien, Anm. d. Red.), aber vielleicht beim nächsten Mal. Ich bin noch jung, ich habe noch Zeit. Aber natürlich träume ich davon, einmal zur WM zu fahren. Wenn es nicht klappen sollte, weiß nur Gott warum.
Chadrac Akolo wurde 1995 in Kinshasa geboren. 2009 floh er aus der Demokratischen Republik Kongo in die Schweiz. Dort besuchte er eine Schule und wurde als Fußball-Talent entdeckt. Beim FC Sion schaffte er den Sprung in die erste Liga und von dort den nächsten Schritt in die Bundesliga. Beim VfB Stuttgart erlebte er als Neuzugang mit Toren in Bundesliga und DFB-Pokal den perfekten Einstand und ist inzwischen auch Nationalspieler des Kongo.
Das Interview führte Joscha Weber, Kamera: Thomas Klein.