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Politik

Pfand sammeln für die Familie in Bangladesch

Esther Felden
14. Dezember 2016

Er sammelt, was andere Menschen wegschmeißen. Und spart das Geld, das er für leere Pfandflaschen und -dosen bekommt, um die Hochzeit seiner Tochter zu bezahlen. Von einem Vater ohne Familie.

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Flüchtling Abdur Zahar Basir aus Bangladesch
Bild: DW/A. Islam

Das Zimmer ist klein und ziemlich vollgestopft. In der Mitte ein Tisch mit zwei Stühlen, an den Wänden zwei Betten, eine zusammengerollte Matratze auf dem Boden. Die gehört Abdur Zahar Basir. In diesem Raum in einer Flüchtlingsunterkunft in Bonn-Tannenbusch wohnt er zusammen mit zwei anderen Asylsuchenden aus Afrika und Südosteuropa. Drei Männer mit unterschiedlichen Kulturen; gemeinsam einsam. Sie sind kaum mehr als Fremde, die im selben Raum schlafen. Miteinander reden ist schwer, erzählt Basir. Allein schon wegen der Sprachbarriere. Auch die winzige Küche benutzt jeder für sich allein. Ein paar triste Quadratmeter und die Ungewissheit, wie lange sich sein Asylverfahren noch hinzieht - darauf ist Basirs Traum von einer besseren Zukunft in Deutschland zusammengeschrumpft.

Was ihm Halt gibt, sind die Bilder seiner Familie. Nach ihr sehnt er sich sehr, jeden Tag. Aber seine Frau und die Kinder sind tausende Kilometer weit entfernt in Bangladesch. Drei Töchter hat er und einen Sohn. Der ist sein ganzer Stolz. Er zeigt Fotos auf seinem Handy: vom Kleinkind bis zum Schuljungen. Selbst in den Arm genommen hat er ihn aber noch nie. Und auch die älteren Schwestern sieht er nur über den Bildschirm aufwachsen. Wenn er mit ihnen chattet. Seit 2008 war Basir nicht mehr in der Heimat. Bei seinem letzten Besuch wurde der Sohn gezeugt. Damit war die Familie komplett. Doch seither lebt sie getrennt. Basir ist gewissermaßen ein virtueller Vater.

Basirs Zimmer in der Flüchtlingsunterkunft in Bonn-Tannenbusch
Zu dritt wohnen die Flüchtlinge in diesem Zimmer - die zusammengerollte Matratze auf dem Boden gehört BasirBild: DW/A. Islam

Wie alt er ist, das weiß Basir nicht so genau. Auf seiner Aufenthaltsgestattung ist 1980 als Geburtsjahr angegeben. Aber das stimmt nicht, sagt er. Er schätzt, dass er  um die 40 ist, vielleicht auch 45. Basir möchte Geld sparen, um seiner ältesten Tochter eine gute Hochzeit ausrichten zu können. Und er will seinen Kindern eine Chance auf Bildung geben - die er selbst nie hatte. Er stammt aus einer armen Familie, wuchs in Noakhali  im Südosten Bangladeschs auf. Dort war er Landwirt, aber das Geld, das er verdiente, reichte nicht zum Leben. "Damit hätte ich keine Familie ernähren können. Deshalb habe ich mich Ende der 1990er Jahre entschlossen, ins Ausland zu gehen und dort einen Job anzunehmen." In Dubai arbeitet er auf dem Bau. Mehrfach fliegt er zu Besuch nach Bangladesch.

Zu Fuß durch Asien und Europa

2010 dann beschließt er, nach Europa zu gehen. Er hofft, dort komplett neu anfangen und eines Tages auch seine Familie nachholen zu können. Doch was folgt, ist eine Odyssee. Fünf Jahre sei er insgesamt unterwegs gewesen, erzählt er. Weite Strecken davon zu Fuß. "Von Dubai über Oman und Iran kam ich die Türkei. Dort wurde ich von Schleppern gefangen genommen und in einem Keller festgehalten. Sie haben mich geschlagen und beschimpft, wollten Lösegeld von mir haben." Wo er das Geld her nahm? Die Familie in Bangladesch habe zusammengelegt und sämtliches Land und Besitz verkauft, um ihn frei zu bekommen, berichtet er. Seine Schwester habe ihm außerdem etwas leihen können. Insgesamt rund 7000 Euro habe die Flucht gekostet. Nachprüfen lassen sich die Angaben nicht. Sieben Monate habe er in Gefangenschaft verbracht, bevor er weiterreisen konnte: durch Bulgarien, Serbien, Ungarn und Österreich. Bis schließlich nach Deutschland. Seit Herbst 2015 ist er hier.

Flüchtling Abdur Zahar Basir aus Bangladesch zeigt auf dem Handy Fotos seiner Kinder
Von seinen vier Kindern hat Basir nur FotosBild: DW/A. Islam

In Deutschland hat Basir politisches Asyl beantragt. Besonders optimistisch ist er allerdings nicht, dass es damit klappt. Denn in Bangladesch werden zwar kritische Blogger oder Homosexuelle verfolgt und teilweise auch mit dem Leben bedroht - aber in dem südasiatischen Land herrscht kein Krieg. Anträge aus Bangladesch werden daher nicht mit Priorität behandelt. Insgesamt 2398 Asylanträge wurden zwischen Januar und Oktober 2016 von Flüchtlingen aus Bangladesch in Deutschland gestellt, gibt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) auf Nachfrage an. Gut 50 davon sind Folgeanträge, so wie der von Basir. Die Gesamtschutzquote für Flüchtlinge aus Bangladesch - also der Anteil an Asylanerkennungen, Abschiebeverboten und Gewährung von Flüchtlingsschutz - lag innerhalb dieses Zeitraums bei 10,5 Prozent.

Das Geld steckt im Müll

Abdur Zahar Basir ist in Deutschland nur geduldet, alle drei Monate muss seine Aufenthaltserlaubnis verlängert werden. Er hat eine deutsche Krankenkassenkarte, eine EC-Karte - und eine Monatskarte für den öffentlichen Nahverkehr in Bonn. Die packt er jeden Tag ein, wenn er seine Runden dreht. Er fährt mit Bus und Bahn in die Bonner Innenstadt, um in Parks, im Bahnhof oder auch einfach im Müll nach leeren Cola-, Fanta-, Wasserflaschen oder auch Getränkedosen zu suchen. Die sammelt er in einem kleinen Trolley, den er immer dabei hat. Und bringt sie dann zu den Rückgabestellen in Supermärkten. "Im Sommer kann man an guten Tagen auf diese Weise bis zu 25 Euro verdienen", erzählt er. Im Winter dagegen ist es deutlich weniger. Wenn er Glück hat, kommt er auf sieben Euro.

Flüchtling Abdur Zahar Basir in seiner kleinen Küche in Bonn-Tannenbusch
Hier kochen Basir und seine beiden MitbewohnerBild: DW/A. Islam

Natürlich ist er nicht der einzige, der auf die Idee gekommen ist, Pfandflaschen zu sammeln. Es gebe einen regelrechten Wettbewerb um das Leergut, erzählt Basir. Im Januar allerdings wird er kaum noch dazu kommen, Flaschen zu sammeln. Er hat eine Arbeitserlaubnis und tritt einen neuen Job an, als Hilfsarbeiter auf einem Bauernhof. Also wieder eine Arbeit in der Landwirtschaft, ein bisschen zurück zu seinen Wurzeln. Darauf freut er sich. Doch die ungewisse Zukunft und das Warten zehren an ihm. Und eben der Wunsch, endlich wieder mit seiner Familie vereint zu sein. Wenn er keinen positiven Bescheid auf seinen Asylantrag bekommt und seine Frau und Kinder nicht nach Deutschland kommen können, dann möchte er so viel Geld wie möglich ansparen und dann in zwei oder drei Jahren zurück nach Bangladesch. Seine älteste Tochter wird dann wohl schon verheiratet sein. Und er wird zum ersten Mal seinem Sohn gegenüberstehen. Einem dann zehnjährigen Jungen.

Arafatul Islam hat zu diesem Artikel beigetragen.