Union schließt Kompromiss zur Flüchtlingspolitik
8. Oktober 2017Von einer Paketlösung war vor dem Konrad-Adenauer-Haus die Rede. Aber was ist in dem Paket nun drin? Dazu wollte offiziell an diesem Sonntagabend nach stundenlangen Beratungen in der CDU-Parteizentrale niemand etwas sagen. Die wartenden Korrespondenten bekamen dennoch zu lesen, was sich die Spitzen von CDU und CSU nun ausgedacht hatten in ihrem Streit. Geeinigt wurde sich auf eine Formulierung, nach der die "Netto-Zuwanderung" aus humanitären Gründen pro Jahr nicht mehr als 200.000 Menschen betragen soll. "Netto-Zuwanderung"? Die Gesamtsumme solle aus ankommenden und ausreisenden Personen berechnet werden, so der am Abend verabschiedete Text. Das Wort Obergrenze taucht nicht auf.
Formulierung für Experten
Genau heißt es in dem Papier: "Wir wollen erreichen, dass die Gesamtzahl der Aufnahmen aus humanitären Gründen (Flüchtlinge und Asylbewerber, subsidiär Geschützte, Familiennachzug, Relocation und Resettlement, abzüglich Rückführungen und freiwillige Ausreisen künftiger Flüchtlinge) die Zahl von 200.000 Menschen im Jahr nicht übersteigt." Eine Formulierung für Experten, die man zum Beispiel dem niedersächsischen oder bayerischen Wähler erst einmal erklären muss: Subsidiär Geschützte sind Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutzstatus, "Relocation und Resettlement" meint die gesteuerte Umsiedlung von Flüchtlingen. Die Zuwanderung von Arbeitskräften oder EU-Ausländern ist nicht betroffen.
Zwölf Stunden Sonntagsprogramm
Seit dem Nachmittag hatten Bundeskanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel, der bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende Horst Seehofer und weitere Parteigrößen um diesen Kompromiss gerungen, noch unter dem Eindruck der massiven Stimmenverluste beider Parteien bei der Bundestagswahl. Fast zwölf Stunden dauerte der Termin, gelegentlich unterbrochen von getrennten Parteiberatungen oder Vier-Augen-Gesprächen, wie die Nachrichtenagenturen berichteten. Was dieser Kompromiss nun genau bedeutet, wollen Merkel und Seehofer am Montag um 12 Uhr auf einer gemeinsamen Pressekonferenz in Berlin beschreiben.
Neu: Entscheidungs- und Rückführungszentren
Veränderungen soll es auch bei der Behandlung der Migranten geben. So sollen neu ankommende Asylbewerber nach den Plänen der Unionsschwestern in sogenannten "Entscheidungs- und Rückführungszentren" untergebracht werden. Vorbild seien entsprechende Einrichtungen in den bayerischen Städten Manching und Bamberg sowie im baden-württembergischen Heidelberg. Die Asylbewerber sollen demnach bis zur Entscheidung über ihren Antrag dort bleiben.
Spätestens an dieser Stelle stellt sich die Frage, was die möglichen Partner einer Jamaika-Koalition, FDP und Grüne, zu diesem Vorschlag sagen werden. Die Verhandlungen darüber haben ja noch nicht begonnen, nicht einmal ernsthafte Sondierungen. Vordergründig wurde stets gesagt, man wolle zunächst die Landtagswahl am kommenden Sonntag in Niedersachsen abwarten. Doch die Abstimmung in der CDU-Zentrale war auch ein Zeichen dafür, dass die Union Zeit brauchte, um sich selbst zu "sortieren". Das zeigte auch die namhafte Liste der Teilnehmer der Sonntagsrunde: Auf CDU-Seite verhandelten Parteichefin Merkel, Kanzleramtschef Peter Altmaier, Finanzminister Wolfgang Schäuble, Generalsekretär Peter Tauber und Fraktionschef Volker Kauder. Für die CSU waren es Parteichef Horst Seehofer, Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, Generalsekretär Andreas Scheuer, Bayerns Innenminister Joachim Herrmann und der Vorsitzende der CSU-Landtagsfraktion in München, Thomas Kreutzer. Am Abend kam noch Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) in der Parteizentrale vorbei.
Die sicheren Herkunftsstaaten
Eine Situation wie 2015 mit der Aufnahme einer sehr hohen Zahl an Flüchtlingen und Migranten solle sich nicht wiederholen, hielten beide Parteien fest. Dazu soll übrigens auch die Liste der sogenannten sicheren Herkunftsländer auf die drei Maghrebstaaten Marokko, Algerien und Tunesien ausgeweitet werden. Die Grünen als potentielle Koalitionspartner werden auch das nicht für eine gute Idee halten. Grünen-Chefin Simone Peter erklärte: "Das ist eine Einigung zwischen CDU und CSU und noch lange nicht das Ergebnis der Jamaika-Sondierung."
ml/myk (dpa, rtr, afp, ARD)