Schicksalstage einer Parteiengemeinschaft
28. Juni 2018"Grüß Gott!". Michael Grosse-Brömer (CDU), überzeugter Niedersachse ohne bayerische Wurzeln, begrüßt zum üblichen Journalistengespräch des Parlamentarischen Geschäftsführers der Unionsfraktion ausgesprochen ungewöhnlich. Erheiterung der Medienvertreter. "Ich wollte nur ihre Aufmerksamkeit", sagt er grinsend.
Eine Stunde später: Die CSU-Landesgruppe begrüßt, wie üblich, zu ihrem eigenen Journalistenfrühstück, mit Weißwürsten. Der Pressesprecher lädt zum Gespräch "mit dem Vorsitzenden der CSU im Bundestag, Alexander Dobrindt" ein. Das ist nicht falsch. Aber sonst heißt es oft "CSU-Landesgruppe".
Hier "Grüß Gott", da "die CSU im Bundestag". Die beiden Szenen passen zur Spannung dieser Tage. CDU und CSU sind auf dem Papier eine Union. Immer schon bilden sie als Union eine gemeinsame Fraktion im Bundestag. Dass es dennoch zwei Parteien sind, entschied sich schon in den Nachkriegswochen. Im August 1945 gab es bereits die Gründung einer "Christlich Sozialen Union in Bayern", im Dezember des gleichen Jahres begann der Zusammenschluss verschiedener Unions-Gruppen im übrigen Teil Deutschlands, aus dem 1950 die "Christlich Demokratische Union" wurde - deutschlandweit ohne Bayern. Schon vorher hatte sich die CSU gegen eine Vereinigung entschieden. Stattdessen also Schwesterparteien und eine Fraktionsgemeinschaft.
Masterplan und Merkel
In diesen Tagen, im Streit um den auch nach Wochen noch unveröffentlichten Masterplan von Innenminister Horst Seehofer und die zahlreichen Attacken aus der CSU gegen Kanzlerin Angela Merkel und deren Suche nach einer raschen europäischen Suche beim Thema Migration, wachsen die Zweifel. Bekannte CSU-Größen früherer Jahre - Hans Maier, Alois Glück - warnen ihre Partei seit Wochen vor einem Bruch der Gemeinschaft mit der CDU.
Aber auch innerhalb der CDU scheint eine Abspaltung der CSU durchaus Befürworter zu haben - insbesondere bei Merkel-Kritikern. So berichtete der baden-württembergische CDU-Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter von Drohungen. Man habe ihm bedeutet, dass ein prominentes Mitglied der CSU bei der nächsten Bundestagswahl gegen ihn kandidieren würde, sollte er in Asyl- und Migrationsfragen weiterhin eine europafreundliche und liberale Haltung wie Merkel vertreten, berichtet er auf Twitter. Sein Fraktionskollege Andreas Nick twitterte zum Stichwort "Mobbing gegen Merkel-Anhänger": Aus "einem kleinen Kreis von Merkel-Kritikern gibt es immer wieder Anfeindungen".
Angespannte Stimmung
Seit dieser Woche wirkt es so, als würden die harten Töne aus der CSU leiser. Da gab es für die CSU neue Umfragewerte. Es sind, gelinde gesagt, ernüchternde Ergebnisse. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt spricht gerne von einer "Schicksalsgemeinschaft" von CDU und CSU. "Wir haben das Ziel, dass das in der Sache auch so bleibt", sagt er jetzt. In diesen Tagen, die wie Schicksalstage dieser Kanzlerin wirken, sagt er auch: "Ich bilde persönlich maximal mit Horst Seehofer eine Schicksalsgemeinschaft." Viel Schicksal in diesen Tagen. Platzt die Union, falls Kanzlerin Merkel - was möglich sein könnte - ihren Innenminister Seehofer entlässt?
Erinnerung an Kreuth
Immer wieder kommt der Begriff "Kreuth" in diesen Tagen in Gesprächen auf. Wie ein Menetekel. Es ist ein Synonym für die Trennung. In der Idylle von Wildbad Kreuth in der Nähe des Tegernsees, über Jahrzehnte ein Ort der CSU-Selbstvergewisserung, wagte die damals von Franz-Josef Strauß geführte CSU im November 1976 zum bislang einzigen Mal den Bruch und beschloss die Trennung der Fraktionsgemeinschaft.
Wochen zuvor hatte die Union bei der Bundestagswahl 48,6 Prozent erreicht und doch verloren - SPD und FDP bildeten die Regierung. Und Strauß hielt nicht viel vom CDU-Vorsitzenden Helmut Kohl, dem Fraktionschef der Union im Bundestag. Eine Männer-Feindschaft, wie man sie nicht selten unter Politikern findet. Die CSU fasste den Trennungsbeschluss, die CDU reagierte. Kohl kündigte den "Einmarsch" seiner Partei in Bayern an. Einige Wochen später ruderte die kleine bayerische Schwester zurück und verhandelte für sich einige Sonderrechte in der Unionsfraktion.
Für den Politikwissenschaftler Edgar Grande ist die Situation des Juni 2018 mit der im November 1976 "nicht zu vergleichen". Damals habe es bundesweit drei Parteien gegeben: SPD, FDP, CDU/CSU. Die CSU hätte bei einer bundesweiten Ausdehnung das komplette rechtere politische Spektrum abdecken können. Heute, so Grande im Gespräch mit der DW, gebe es ein breiteres Spektrum und rechtsaußen die AfD. Heute wäre eine Aufkündigung der Fraktionsgemeinschaft also "weitaus riskanter". Die CSU müsste es erstmal schaffen, sich bundesweit aufzustellen - und würde doch AfD-Anhänger in aller Regel nicht erreichen.
Zeitzeuge Schäuble
Viele Parlamentarier waren nicht einmal geboren, als die Union zum ersten Mal zu zerbrechen drohte. Ein einziger "Zeitzeuge" der wilden Unions-Tage um den Vorgang in Kreuth ist heute noch Bundestagsabgeordneter: Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble. Dem Berliner "Tagesspiegel" erklärte er vor einigen Tagen, warum die damalige Situation völlig anders war als heute: "Weil Helmut Kohl nicht Bundeskanzler war, sondern Oppositionsführer." Heute würde sich die Union als Regierungspartei zerlegen, damals war sie, kurz nach einer knapp verlorenen Bundestagswahl, nicht in führender politischer Verantwortung. "Helmut Kohl hat richtig reagiert", blickt Schäuble zurück. Dessen "ruhige Entschlossenheit half, eine falsche Entscheidung zu korrigieren".
Auf dem Sommerfest der Unionsfraktion zitiert Fraktionschef Volker Kauder in seiner Rede einen deutschen Ohrwurm: "Marmor, Stein und Eisen bricht, aber unsere Liebe nicht…" Die Fraktionsgemeinschaft bleibe bestehen, zeigt er sich sicher. Aber die Gesichter vieler Anwesenden sprechen eine andere Sprache.