Sieger mit versteinerten Mienen
24. September 2017Es ist kurz nach 18.50 Uhr. Angela Merkel tritt im Konrad-Adenauer-Haus vor ihre Anhänger. Der Eingangssaal im Konrad-Adenauer-Haus ist bis auf den letzten Stehplatz gefüllt. Poster werden in die Höhe gestreckt. "Angie, Angie"-Rufe folgen. Soweit, so gewöhnlich. So war das schon bei der letzten Wahl. Doch bei dieser Wahl ist alles anders. Wer genau hinschaut, der blickt in teils versteinerte Mienen. Kaum ein Lächeln huscht über die Gesichter der CDU-Anhänger. Und dass, obwohl die CDU wieder den Regierungsauftrag hat. Zu tief sitzt der Schock über das zweistellige Ergebnis der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland. Zu tief der Schock, derlei große eigene Verluste eingefahren zu haben. Entsprechend, ebbt der Chor der Jubelnden schnell wieder ab. Bevor Merkel zu sprechen beginnt, flüstert ein CDU-Anhänger seinem Nachbarn zu. "Wir haben alle verloren". Er sollte die Tonlage des Abends treffen.
"Wir wollen die AfD-Anhänger wieder zurückgewinnen - mit guter Politik"
Dann beginnt Angela Merkels Rede. Sie lobt, was geschafft wurde. Stärkste Partei sei die CDU wieder. Keiner könne an den Unionsparteien vorbeiregieren. Ein strategisches Ziel sei erreicht. Ihr Dank geht an die Wahlhelfer, dann offenbart sie aber, wie sehr der Wahlkampf an den Nerven gezehrt hat. "Es hat Freude mit euch gemacht, diesen schwierigen Wahlkampf…". Ihre Anhänger fallen ihr mit tosendem Applaus ins Wort, ganz so, als wollten sie die Szenen wütender Buhrufe und aggresiver Trillerpeifen-Konzerte bei Merkels Wahlkampfauftritten selbst wegjubeln.
Merkel kommt ohne Umschweife auf die AfD zu sprechen. "Wir haben eine große neue Aufgabe", ruft sie ihren Anhängern zu. "Wir wollen die AfD-Wähler zurückgewinnen, durch gute Politik." Eine junge Frau, mit Stöckelschuhen und "Voll muttiviert"-T-Shirt, ist für einige Sekunden voller Energie - und macht einen Satz nach oben. Merkel freut sich. Und sie zählt auf, welche Themen jetzt auf die Agenda kommen. Illegale Migration bekämpfen, legale Migration steuern und Innere Sicherheit gewährleisten. Ein Beobachter hinten im Saal murmelt. "Jetzt wird die Agenda von der AfD diktiert." Merkel kündigt an, die Regierungsbildung anzupacken. Bevor sie zu den üblichen TV-Runden entschwindet, kommt ein Bonmot, dass sie nach jeder Wahl in die Runde warf: "Nachher feiern wir noch gemeinsam, und dann geht es morgen wieder an die Arbeit."
Brok: "Es gibt eine klare nicht-nationalistische Mehrheit"
Als Merkel den Saal verlässt, beginnen zwei andere CDU-Anhängerinnen wieder zu plaudern. "Die Situation war noch nie so schwierig", sagt die eine. Die Antwort: "Vielleicht ist es gut, dass es mit der SPD jetzt rum ist." In der Fernsehberichterstattung spricht der Moderator in diesem Moment von einer "tektonischen Verschiebung der Parteienlandschaft".
Elmar Brok, CDU-Urgestein und Europaabgeordneter, will nichts davon wissen, dass die Unionsparteien jetzt in die Ecke gedrängt würden. Er lauscht ein wenig der Rede von CSU-Chef Seehofer, dann setzt er an. Er hält das Ergebnis der rechtspopulistischen AfD nicht für einen Weltuntergang: "Es gibt eine klare Mehrheit für eine nicht-nationalistische Politik im Deutschen Bundestag". Die Große Koalition in Berlin habe viele Krisen bewältigt, habe das Land ausgewogen regiert. So schlecht wie das Ergebnis jetzt, sei die gemeinsame Arbeit nicht gewesen. "Viele Bürger haben aber das Gefühl, ein Stück Sicherheit ist verloren gegangen", sagt Brok. Und jetzt sei es also an der Union, dieses Stück Sicherheit zurückzubringen. Für Europa, und den pro-europäischen Kurs in Deutschland, sieht er keine Auswirkungen.
Schweigsame Sieger und der rechte Rand
Viele CDU-Mitglieder wollen lieber nichts zum Ergebnis sagen. "Danke nein", "Bitte nicht", diese Sätze machen die Runde, als Journalisten die Stimmung der Mitglieder einfangen wollen. Johannes Volkmann, ein 20-jähriges Mitglied der CDU-Nachwuchsorganisation Junge Union, sieht in den vielen Jahren der Großen Koalition den Grund für diese Niederlage. "Das ist jetzt die Quittung gewesen", glaubt er. Eine österreichische Journalistin, die neben ihm steht, wirft ein: "Genau, wenn man zu viele Jahre diese Große Koalition hat, dann werden die Ränder stark". Das habe man in Österreich gesehen, und jetzt eben auch in Deutschland.
Günter Nooke, DDR-Bürgerrechtler, CDU-Urgestein und bis 2010 Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung, hält den AfD-Stimmenzuwachs vor allem für eine reine Protestwahl. Das Mehr an Stimmen basiere nicht auf Fremdenfeindlichkeit, sagt der. "Aber, es gebe insbesondere im Osten eben auch viele Altlinke, die hätten bereits vor der Wende ihre Fremdenfeindlichkeit gepflegt - und hätten jetzt eben eine neue politische Heimat gefunden."
Die Welt schaut auf Angie
20.30 Uhr. In den Fluren wird das Wahlergebnis verdaut, bei Bier, Wein und Brezeln. Auf der Leinwand lauschen die Allermeisten der Elefantenrunde. Ein, zwei Mal setzt Jubel ein, als Merkel trotzig die Stärke der Unionsparteien herausstreicht. Im Publikum, viel internationale Stimmen. Journalisten aus aller Welt sind angereist. Auf Türkisch, Finnisch, Spanisch und Italienisch werden Aufsager vor Kameras produziert. Dass Merkel bleibt, ist wichtig. Dass eine rechtspopulistische Kraft kommt, scheint aber für viele interessanter. Die Botschaft für die Zuseher von Sky Italien lautet an diesem Abend. "Es ist ein Sieg, allerdings ein ziemlich bitterer Wahlsieg für Merkel", so Tiziana Prezzo, die Reporterin des Senders. Sie lächelt, hält eine Sekunde inne und hält sich dann die Hand vor die Augen.