Carpe Diem - Nutze den Tag!
22. Juni 2024Da klettert das Thermometer höher und höher und man selber sitzt im Büro und schiebt eine gepflegte Schreibtischschicht. „Mist! Wie blöd, dass der Jahresurlaub noch nicht begonnen hat.“ meldet sich da gerne mal das Stimmchen im Hinterkopf – das Stimmungsbarometer sinkt schonmal deutlich. Und ist die Laune erstmal im Keller, ist es gar nicht so leicht, da wieder rauszufinden. Kennt ihr bestimmt auch, oder?
Ich lebe an der ostfriesischen Nordseeküste. Wir kennen uns hier aus mit dem Lebensmotto „Wir arbeiten da, wo andere Urlaub machen.“ Während im Sommer die Gästezahlen steigen, beobachten die Einheimischen das bunte Treiben in den Fußgängerzonen, am Strand und in den Lokalen aus der zweiten Reihe, nämlich von ihren Arbeitsplätzen, aus. Eigentlich auch logisch: Gerade, weil hier so viele Menschen Urlaub machen, gibt es andere, die mitten im Hochsommer arbeiten müssen. Auch für mich ist die Sommerzeit Hauptarbeitszeit. Ich bin nämlich Seelsorgerin in der Tourismuspastoral.
Viele Urlauberinnen und Urlauber leben nach dem Motto „Carpe Diem! – Nutze den Tag!“: Sich einfach mal eine Auszeit gönnen, rauskommen und sich durchpusten lassen – das ist natürlich gerade im Urlaub total angesagt. Und seien wir ehrlich: Die Küste und ihre Inseln bieten dafür auch das perfekte Setting. Nicht ohne Grund findet man schließlich dieses bekannte geflügelte Wort auf so einigen Andenken, die man in den hiesigen Souvenirläden erstehen kann.
Viele wissen gar nicht, dass der nette Spruch, der die neue Kaffeetasse ziert und vom römischen Dichter Horaz stammt, einen biblischen Ursprung hat. Er bezieht sich auf das Buch Kohelet aus dem ersten Testament. Kohelet erinnert an die Vergänglichkeit des Lebens. „Alles ist Windhauch“ sagt er. Die Zeit verrinnt und wir können gar nichts dagegen unternehmen. Gerade deswegen sollen wir Menschen nicht töricht sein, und uns von den Umständen des Lebens treiben lassen, sondern vielmehr ganz aktiv und bewusst Prioritäten setzen und uns Zeit für das nehmen, was wirklich wichtig ist. Wer weiß, wie lange wir das noch können?!
Das besonders Coole am biblischen Buch Kohelet ist, dass es eben nicht nur ein Urlaubsratgeber ist, sondern vielmehr ein Lebensratgeber. Und gerade deshalb lohnt es sich, diesem Ratschlag nicht nur ein, zwei Mal im Jahr zu befolgen. Wir müssen ja nicht bis zum Urlaub warten, um uns etwas Gutes zu tun. Häufig brauchen wir gerade im stressigen Alltag mal Zeit zum Aufatmen. Und dann fällt es uns besonders schwer, einfach mal einen Gang runterzuschalten. Aber genau das empfiehlt uns Kohelet. Denn ob etwa das gute Wetter den Sommer über halten wird, das werden wir nicht wissen. Daher: Nutze den Tag! Also, so würde Kohelet uns sicher empfehlen: Wenn die Sonne scheint, dann schnappt euch das Rad, die Kinder oder die Partnerperson und lasst euch an der frischen Luft treiben. Das tut gut und gibt Energie für den Alltag!
Ich habe das große Glück, auf einem wunderschönen Flecken Erde zu Leben: das weite Land, die Küste mit dem Wattenmeer und die Inseln laden geradezu ein, dem Ratschlag Kohelets zu folgen. Und trotzdem nutzen gerade wir Einheimischen diesen Schatz vor unserer Haustür oft zu selten. Jedenfalls geht mir das so: dann habe ich so viel zu erledigen, dass ich selber kaum nach draußen komme, um wirklich abzuschalten. Eigentlich komisch, wenn man überlegt, wie viele von uns hauptberuflich anderen Menschen das Auftanken ermöglichen. Ich bin dann immer froh, wenn ich Besuch bekomme. Der animiert mich nämlich dazu, auch mal bewusste Pausen einzulegen.
Für diesen Sommer nehme ich mir vor, dem Ratschlag Kohelets zu folgen. Einfach mal die Stunde nutzen, in der die Sonne meine Nase kitzelt und gerade trotz – oder wegen – des gefüllten Kalenders eine kurze Pause einlegen. Das tut sicher nicht nur mir gut, sondern auch meinen Mitmenschen, die mich dann hoffentlich auch entspannter wahrnehmen.
Kurzvita:
Natalia Löster, geboren 1988, studierte katholische Theologie und arabisch-islamische Kultur in Münster und Beirut. Sie ist Pastoralreferentin im Bistum Osnabrück und ist beruflich gerne mal barfuß am Strand unterwegs. Sie arbeitet nämlich in der Tourismuspastoral, der „Seelsorge am Meer“ (www.seelsorge-am-meer.de).
Dieser Beitrag wird redaktionell von den christlichen Kirchen verantwortet.