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Gesellschaft

Carolin Emcke, Kämpferin gegen den Hass

Sabine Peschel mit dpa, kna
22. Oktober 2016

Sie setzt sich leidenschaftlich gegen gesellschaftliche Polarisierung ein. Politisches und Privates sind für Carolin Emcke nicht zu trennen. Jetzt wird sie mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet.

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Carolin Emcke während einer Pressekonferenz auf der Buchmesse in Frankfurt am Main
Bild: picture-alliance/dpa/A. Dedert

Wie kann es sein, dass Menschen grölend um einen Bus stehen und verängstigten Flüchtlingen stundenlang den Weg in eine Unterkunft blockieren? Dass sie laut "Wir sind das Volk" skandieren, während ein Junge weinend wie ein Verbrecher von der Polizei an der Menge vorbei gezerrt wird? Warum erkennt die eine Gruppe die Angst der anderen nicht? Die Publizistin Carolin Emcke hat sich für ihr soeben erschienenes Buch "Gegen den Hass" diese Szene, die sich im Februar 2016 im sächsischen Clausnitz abspielte, im Internet wieder und wieder angesehen. Nicht um anzuklagen, sondern um zu verstehen. Was macht diese Ausblendung möglich? Welche Wahrnehmungsraster wirken da? Wie funktionieren die Mechanismen des Hasses?

Carolin Emcke Gegen den Hass (Foto: S. Fischer)
In ihrem aktuellen Buch geht Emcke den Mechanismen des Hasses nachBild: S. Fischer

Die Berliner Autorin stellt ihre Fragen nicht aggressiv. Klar verständlich analysiert sie die Phänomene und die Ursachen des Hasses, der Flüchtlingen immer wieder entgegen schlägt. Sie kommt freundlich daher, wenn sie so scheinbar harmlose Begriffe wie Liebe, Hoffnung und Sorge hinterfragt. Und dabei umso klarer herausarbeitet: Liebe kann blind sein, Hoffnung irre geleitet und Sorge die Verschleierung von Ablehnung: "Der Begriff vom 'besorgten Bürger' fungiert mittlerweile als diskursiver Schild, der Fragen nach rationalen Gründen für die Sorgen ablenken soll. Als seien Sorgen an sich schon ein triftiges Argument in einem öffentlichen Diskurs (...)"

Mit Leidenschaft für Verständigung

Mit ihren Büchern, Artikeln und Veranstaltungen setzt sich Carolin Emcke seit vielen Jahren gegen dogmatisches Denken und gesellschaftliche Polarisierung ein. Nicht erst in ihrem neuesten Werk engagiert sie sich für die Freiheit des Individuellen und den Schutz des Abweichenden. Sie kämpft gegen die Ausgrenzung von Menschen, die als andersartig und fremd wahrgenommen werden - Juden, Homosexuelle, Frauen, Ausländer - und streitet für Pluralität. Die auszuhalten und zu verhandeln sei, nur so ließe sich Demokratie verwirklichen.

Für diesen wichtigen Beitrag zum gesellschaftlichen Dialog und Frieden, den sie mit ihrer Arbeit leiste, ist sie an diesem Sonntag mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet worden. Einen der bedeutendsten Literaturpreise Deutschlands, der jährlich am letzten Tag der Frankfurter Buchmesse vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels vergeben wird. In der Begründung für ihre Ehrung heißt es: "Carolin Emcke setzt sich schwierigen Lebensbedingungen aus und beschreibt auf sehr persönliche und ungeschützte Weise, wie Gewalt, Hass und Sprachlosigkeit Menschen verändern können. Das Werk von Carolin Emcke wird somit Vorbild für gesellschaftliches Handeln in einer Zeit, in der politische, religiöse und kulturelle Konflikte den Dialog oft nicht mehr zulassen."

Persönlicher Einsatz für Empathie

Politisches und Privates gehören für die 1967 geborene Publizistin untrennbar zusammen. Ihr Leben ist für sie gleichbedeutend mit sozialem Engagement. 2012 veröffentlichte Emcke ein Buch über die Entdeckung ihrer eigenen Homosexualität, "Wie wir begehren". Begonnen hat sie ihre journalistische Karriere 1998 als festangestellte Redakteurin beim "Spiegel", der sie in Krisenregionen wie Kosovo, Afghanistan, Pakistan, Irak und den Gaza-Streifen schickte. 2004 erschien ihr erstes Buch "Von den Kriegen - Briefe an Freunde", in dem sie diese Erfahrungen aufarbeitet und ihre eigene Rolle als Beobachterin reflektiert.

Buchcover: Emcke - Von den Kriegen (Foto: S.Fischer)
Buchcover " Von den Kriegen", erschienen 2004

Seit 2007 ist die Wahlberlinerin als freie Publizistin tätig, über sieben Jahre hinweg vor allem mit vielfach ausgezeichneten Reportagen und Essays für "Die Zeit". In ihren Kolumnen in der Wochenendausgabe der "Süddeutschen" schrieb sie zwei Jahren lang wöchentlich über Themen wie das russische Staatsdoping oder den Krieg in Syrien. "Die Moral hat nicht Schritt gehalten", beklagte sie in ihrem letzten Beitrag "beim Blick auf die furchtbare Schlacht um Aleppo, die wir, zeitgleich, tatenlos miterleben". Seit August hat sie ihre Kolumne vorübergehend ausgesetzt.

Kriegsreporterin und politische Intellektuelle

Carolin Emcke gehört nicht nur zu den profiliertesten Journalistinnen der Republik. Die promovierte Philosophin ist darüber hinaus eine wichtige Intellektuelle, die sich etwa im Streitraum an der Berliner Schaubühne einmal monatlich mit der Aggressivität und der Polarisierung in unserer Gesellschaft auseinandersetzt - mit Antisemitismus in Europa, dem Recht auf Asyl, Menschenrechten und Toleranz. Die Reihe wird seit der Spielzeit 2004/2005 von ihr kuratiert und moderiert.

Heute lebt Carolin Emcke in Kreuzberg. Geboren in Mülheim an der Ruhr, wuchs sie behütet in bürgerlichem Milieu auf. Sie studierte in Frankfurt, London und an der Harvard Universität Philosophie, Politik und Geschichte. Ihren Magister machte sie bei Jürgen Habermas, der zusammen mit anderen Aushängeschildern der Frankfurter Schule bis heute gern von ihr zitiert wird. Promoviert hat sie über den Begriff der "kollektiven Identität".

Ein Preis gegen den wachsenden Hass in Europa

Emcke war Patenkind des 1989 von der RAF bei Frankfurt ermordeten Deutsche-Bank-Chefs Alfred Herrhausen. In ihrem Buch "Stumme Gewalt" (2008) hat sie sich mit der Roten-Armee-Fraktion auseinandergesetzt. Darin plädiert sie für einen Verzicht auf Gewalt und Rache und die Einsetzung einer Art Wahrheitskommission. Den Mord an ihrem Onkel nennt sie "eine traumatische Erfahrung". Bei der Verarbeitung könne letztlich auch ein solches Buch nicht helfen. "Man muss damit ringen und hadern."

Carolin Emcke (Foto: Sebastian Bolesch)
Carolin Emcke fragte 2014 "Wie kann man von extremen Gewalterfahrungen erzählen?"Bild: Sebastian Bolesch

Carolin Emcke fragt nicht nur nach den Ursachen für Hass und Missachtung - sie benennt auch deutlich die Gründe für die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. "Die Ideologie, die zum Hass führt, wird gefertigt in all jenen Kontexten im Internet, in Diskussionsforen, in Publikationen, in Talkshows, in Musiktexten, in denen Geflüchtete prinzipiell nie als gleichwertige Menschen mit eigener Würde sichtbar werden."

Spätestens seit diesem Herbst werden ihre vielen Bücher und Artikel noch mehr gelesen, wird ihre Stimme gehört. Wenn jetzt den vielen Preisen, die Carolin Emcke bereits erhalten hat, eine weitere wichtige Auszeichnung hinzugefügt wird, dann ist das auch ein Votum gegen den erschreckend wachsenden Hass in Europa.