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Campus-Projekt 2017: "Musik macht die Ukraine stark!"

11. September 2017

Mit dem frisch gegründeten Jugendorchester der Ukraine nimmt die Dirigentin Oksana Lyniv am diesjährigen Campus-Projekt der DW und des Beethovenfestes teil. Was ihr das bedeutet, verrät sie im Interview.

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Die ukrainische Dirigentin Oksana Jaroslawiwna Lyniw (Foto: DW/Oleh Pavliuchenkov)
Bild: DW/Oleh Pavliuchenkov

Mit ihren 39 Jahren blickt Oksana Lyniv bereits auf eine stolze Karriere zurück: Sie leitete das Opernhaus von Odessa und assistierte Kyrill Petrenko an der Bayerischen Staatsoper. Im Herbst 2017 wird sie Chefdirigentin an der Oper in Graz. In ihrer Heimat, der Ukraine, hat sie 2016 ein nationales Jugendorchester mitgegründet. Von hundert Bewerbern wurden 37 Musiker aus dem ganzen Land ins Orchester aufgenommen. Als eine Art Friedensorchester vereinigt das Jugendorchester der Ukraine (YSOU) junge Menschen aus dem Osten und dem Westen des kriegsgebeuteten Landes - auch Kinder, deren Eltern aus den Gebieten um Donezk und Lugansk geflohen sind.

Das Campus-Projekt wird seit 2001 gemeinsam von der DW und dem Beethovenfest Bonn organisiert. Es holt junge Musiker aus der ganzen Welt - etwa aus dem Iran oder der Türkei, Vietnam und Südafrika, Russland und China - nach Bonn, um einen musikalischen Austausch zwischen Deutschland und dem jeweiligen Gastland zu fördern. Dieses Jahr trifft das Jugendorchester der Ukraine auf das Bundesjugendorchester. Die ersten Konzerte des deutsch-ukrainischen Gemeinschaftsorchesters in Lwiw und Kiew wurden zu einem großen Erfolg. Im September folgen Auftritte in Bonn (14.09.2017) und Berlin (15.09.2017).

Lwiw Jugendorchester Campus 2017
Wille und Anmut: Oksana Lyniv bei der Probe zum Campus-ProjektBild: Serhiy Horobets

Deutsche Welle: Sie haben gerade eine Woche lang mit jungen ukrainischen und deutschen Musikern geprobt und zwei Konzerte gespielt. Wie war die Zusammenarbeit?

Oksana Lyniv: Ich würde es als kleines Wunder bezeichnen. Wir haben es tatsächlich geschafft, in der sehr knappen Zeit zu einem Ensemble zu werden. Es war nicht einfach: Die Musiker des Bundesjugendorchesters haben trotz ihres jungen Alters schon enorm viel Erfahrung: Es ist ein gestandenes Orchester. Für viele junge Ukrainer dagegen war es überhaupt das erste Mal, in einem Orchester mitzuspielen. Aber es war ein Austausch und ein Energiefluss ohnegleichen.

Was haben die Musiker voneinander gelernt?

Vor allem viel Praktisches: Ich habe etwa gehört, wie deutsche Bläser den ukrainischen Bläsern erklärt und gezeigt haben, wie man Mozart spielt. Dafür verstehen ukrainische Musiker besser, wie man ukrainische Musik spielt, zum Beispiel Boris Ljatoschinski, den wir im Programm haben. Ich denke auch, für die deutschen Musiker war es wichtig zu sehen, dass Musik für Ukrainer nicht nur Spaß ist, sondern eine existentielle Angelegenheit.

Der allererste Campus der DW und des Beethovenfestes im Jahr 2001 war auch der Ukraine gewidmet. Wenn Sie auf die dazwischen liegenden 16 Jahre blicken: Wie hat sich die Ukraine verändert?

Da hat sich Einiges getan in den Jahren, in der Welt wie in meiner Heimat.  Es gab in der Zwischenzeit zwei Maidan-Revolutionen, die Annexion der Krim, den furchtbaren Krieg im Donbass mit mittlerweile über zehntausend Toten, die Tragödie von Odessa, wo Menschen bei lebendigem Leib verbrannten. Es gab aber auch eine unglaubliche Konsolidierung der ukrainischen Gesellschaft und ein flammendes Bekenntnis zu Europa und zur Demokratie. Vor kurzem wurde auch die Visumpflicht für die Ukrainer abgeschafft - eine tolle Geste! Umso wichtiger sind heute Projekte wie das in Bonn.

Deutsche Musik, französische Musik, russische Musik - dazu fällt jedem sofort etwas ein. Wie aber würden Sie die ukrainische Musik charakterisieren?    

Man muss bedenken, dass unser Land erst seit 1991 unabhängig ist. Davor war die Ukraine ständig dominiert von benachbarten Imperien. Die ukrainische Kultur, Publikationen auf Ukrainisch, ja die Sprache selbst waren verboten. Um Karriere zu machen, musste man entweder nach Wien oder eben nach Moskau.

Opernhaus von Lwiw: ein Haus voller Legenden
Opernhaus von Lwiw: ein Haus voller LegendenBild: picture-alliance/NurPhoto/M. Luczniewski

Salome Kruschelnytska, die berühmte Operndiva aus Lwiw, war einmal um 1900 in Odessa zur Lesung der Gedichte von Taras Schewtschenko eingeladen, dem bedeutendsten ukrainischen Lyriker. Für die Lesung wurden die Fenster verhängt und die Türen abgeriegelt. "Was ist das für ein Land!" schrieb Salome entsetzt. Sie war viel in Europa aufgetreten und war eine Lieblingssängerin von Giacomo Puccini. Sie war seine Madame Butterfly.

Was ich damit sagen will: Wir erleben gerade in den letzten beiden Jahrzehnten die eigentliche Geburt der freien ukrainischen Kultur – auch aus dem Geiste der Musik. Kultur und Musik machen unsere Nation stark! Leider wird das im Land selbst von der Politik nicht immer genug gewürdigt.

Wie geht es mit dem Jugendorchester der Ukraine weiter?

Das internationale Interesse an dem Orchester ist schon jetzt sehr groß: Wir haben Einladungen aus mehreren Ländern. Aber erst muss die Arbeit getan werden. Im Idealfall soll das Jugendorchester der Ukraine genau so funktionieren wie das Bundesjugendorchester: mit systematischen, übers Jahr verteilten Arbeitsphasen, Gastspielen und Workshops für einzelne Instrumente. Dafür muss das ganze Projekt auch auf ein stabiles finanzielles und logistisches Fundament gestellt werden. Mit purem Enthusiasmus und der tollen Unterstützung von meinen ukrainischen und  deutschen Mitstreiter allein ist es, wie bis jetzt, langfristig nicht zu machen.

Das Gespräch führte Anastassia Boutsko.