Cameron warnt vor den Schotten
7. April 2015An Sitze im Britischen Unterhaus in Westminster zu kommen ist schwer. Der einzige Weg dorthin führt über eine schlichte Methode: Man muss in einem der 650 britischen Wahlbezirke mehr Stimmen bekommen als jeder andere Kandidat. Wenn dann eine Partei 326 dieser Mini-Wahlen gewinnt - und normalerweise schaffen das entweder der Konservativen oder die Labour- Kandidaten - dann ist der Schlüssel zum Königreich ihrer. Im ganzen Land Zweiter zu werden, ist wertlos.
"Das Wahlsystem in Großbritannien ist nicht proportional und kann tatsächlich völlig unverhältnismäßig sein. Es gibt ein Mehrheitswahlrecht, das für kleinere Parteien sehr ungünstig und für Parteien mit einer breiten regionalen Streuung extrem ungünstig ist", erklärt Alan Convery, Politikdozent an der Universität Edinburgh.
Die Summe aller Stimmen, Barometer für demokratische Wahlen auf der ganzen Welt, ist somit für Großbritannien unbedeutend. Das spiegelt sich bei einem Blick auf die Wahlergebnisse der drei stimmstärksten Parteien bei der Unterhauswahl im Jahr 2010 wider.
Die Konservative Partei erhielt damals 36,1 Prozent und 306 Sitze. Die Labour-Partei kam auf 29 Prozent und 258 Sitze. Die Liberaldemokraten erreichten zwar 23 Prozent, aber nur 57 Sitze. Es sind keine größeren mathematischen Kenntnisse erforderlich, um das enorme Gefälle zu erkennen.
Auf der Suche nach Mehrheiten
"Das Mehrheitrecht wird traditionell mit dem Argument verteidigt, dass dadurch starke Mehrheitsregierungen zustande kommen", meint Politikwissenschaftler Convery. Aber bei den bevorstehenden Unterhauswahlen droht sich das Ergebnis von 2010 wiederholen: Sowohl die von Premierminister David Cameron geführten Konservativen als auch Ed Milibands Labour-Partei könnten die absolute Mehrheit verfehlen.
Bei einem Parlament ohne absolute Mehrheit einer Partei gibt es mehrere Lösungen, um die politische Handlungsfähigkeit zu sichern. Eine davon wäre eine formale Koalition - wie das derzeit angespannte Bündnis aus Konservativen und Liberaldemokraten - oder eine Minderheitsregierung.
Schottenkaro in Westminster
Meinungsforscher sagten voraus, dass die Schottische Nationalpartei (SNP) die drittgrößte Kraft im Unterhaus nach den Tories und der Labour-Partei wird. Trotz der nur 59 Wahlbezirke in Schottland, also weniger als zehn Prozent der gesamten Wahlbezirke. Die SNP könnte zwischen 30 und 55 Sitze gewinnen, heißt es.
Das hat David Cameron angespornt, seine Aufmerksamkeit zu Beginn der Wahlkampagne auf den Norden Großbritanniens zu richten. Er warnt davor, dass die Labour-Partei eine Allianz mit der SNP plane. Bei der letzten Fragerunde mit dem Premierminister vor den Wahlen im Unterhaus bezeichnete Cameron den Labour-Vorsitzenden Miliband sogar als "Pudel" des SNP-Vorsitzenden Alex Salmond.
"Sie haben ein gemeinsames Bankkonto eröffnet - mit einem offensichtlich unbeschränkten Überziehungskredit", scherzte Cameron. Er will seine Wähler davon überzeugen, dass Großbritanniens ökonomischer Aufschwung nur in konservativen Händen sicher ist.
Miliband hingegen hat eine formale Koalition mit der SNP ausgeschlossen. Er betonte, dass es in seinem Kabinett keinen Minister der Schottischen Nationalpartei geben werde. Der schottische Politikwissenschaftler Convery ist skeptisch: Ein informelles Abkommen sei letztendlich möglich.
"Die rote Revolution"
Noch haben Cameron und Miliband die Hoffnung auf eine parlamentarische Mehrheit nicht aufgegeben. Aktuelle Meinungsumfragen sehen jedoch sowohl die Konservativen als auch die Labour-Partei bei 33 Prozent der Stimmen. Damit könnten sie sich jeweils 280 Sitze im Parlament sichern. Die Liberaldemokraten können auf rund zehn Prozent hoffen.
Auch die euroskeptische Unabhängigkeitspartei UKIP liegt laut Umfragen bei rund zehn Prozent. Dies könnte reichen, um fünf oder sechs Sitze zu gewinnen.
Politikwissenschaftler Convery glaubt allerdings nicht, dass sich der Erfolg der UKIP bei den Wahlen zum Europaparlament im vergangenen Jahr bei den Unterhauswahlen im Mai wiederholt. "Das Mehrheitswahlrecht wird den Aufschwung der UKIP bremsen", meint er. "Die Partei werde sich auf die Mandate konzentrieren, wo die Gewinnchancen am größten sind. Das sind die zwei Sitze, die sie momentan innehaben und die Mandate in Regionen, wo die politische und demografische Lage günstig ist."
UKIP-Vorsitzender Nigel Farage setzte sich unterdessen in seinem Buch "Die rote Revolution" selbst die Pistole auf die Brust. Farage schrieb, er werde als Vorsitzender der UKIP zurücktreten, sollte er in seinem Wahlbezirk, South Thanet in Kent im Südosten Englands, verlieren.