"Legida ist rechter als Pegida"
22. Januar 2015Deutsche Welle: Herr Hollitzer, seit Monaten beobachten Sie die Pegida-Proteste, vor allem in Dresden. Am Mittwoch haben wir die gleichen Proteste in Leipzig gesehen. Was unterscheidet Pegida von Legida?
Tobias Hollitzer: Da gibt es Unterschiede auf verschiedenen Ebenen. Wenn man sich einerseits die veröffentlichten, von den Organisatoren formulierten Forderungen anschaut, dann sind die ursprünglichen Legida-Forderungen hier in Leipzig deutlich verworrener. Ich habe es als eine Art politischen Gemischtwarenladen wahrgenommen. Die sind in Leipzig deutlich rechter in den Ausformulierungen ihres Protests als in Dresden bei Pediga. Beispielsweise die konkrete Forderung nach einem Ende des "Kriegsschuldkultes" und ähnlicher Dinge, die in Leipzig formuliert worden sind. Wenn man sich die Kundgebungen während der Demonstrationen anschaut, dann wird deutlich, dass in Dresden offenkundig der Prozentsatz derer größer ist, die einfach ganz allgemein Probleme haben mit Teilen der aktuellen Politik. Also damit, wie sich unsere Gesellschaft in den vergangenen Jahren verändert hat, wie sie gestaltet wird, das wird in Dresden deutlicher artikuliert als in Leipzig. Um es andersherum zu sagen: In Leipzig ist auch der äußerlich erkennbare Teil an Rechtsradikalen deutlich sichtbarer.
Sie sagen, Leipzig ist rechter. Leipzig war am Mittwoch auch emotionaler - auch auf Seiten der Gegendemonstranten. Es gab Ausschreitungen mit Verletzten. Es gab Brandanschläge auf die Bahnstrecke Dresden-Leipzig. Radikalisiert sich jetzt dieses Protestmilieu?
Die sehr radikalen Gegenaktionen aus dem linken Spektrum sind ja ein Phänomen, das wir in Leipzig auch schon seit vielen, vielen Jahren haben. Es gibt hier eine wahrnehmbar gewaltbereite, sehr radikale linke Szene, die nun auf das reagiert, was nach Leipzig gekommen ist. Da radikalisiert sich im Moment nicht etwas, sondern es kommt etwas zusammen. In der Folge besteht natürlich die ganz große Gefahr, dass sich das nun weiter hochschaukelt und einen Keil in die Gesellschaft treibt. Das macht dann Gespräche und Diskussionen immer schwierger.
Jetzt heißt es immer wieder von verschiedenen Politikern, aber auch aus der Kirche und anderen Organisationen, man müsse mit Pegida reden. Mit wem ist denn da zu reden?
Mit denen, die gesprächsbereit sind, weil das zur Demokratie gehört. Man muss dann natürlich auch bereit sein, gemeinsam mit anderen darüber zu sprechen, wie die wahrgenommenen Missstände oder die Unzufriedenheiten geändert werden können. Das heißt, es geht hier aus meiner Sicht vor allen Dingen darum, die Menschen zu erreichen, die eben nicht mit verfestigtem rechts- oder auch linksextremen Gedankengut auf die Straße gehen.
Wird die Alternative für Deutschland, die AfD, demnächst mit Pegida gemeinsame Sachen machen? Erste Kontaktaufnahmen der Partei mit der Protestbewegung hat es ja bereits gegeben.
Ob und wohin sich das parteipolitisch entwickelt, da will ich jetzt keine Kaffeesatzleserei betreiben. Wenn wir in die Vergangenheit schauen, dann fällt mir "Stuttgart 21" ein. Auch das ist ja unterm Strich eine Protestbewegung gewesen, die binnen kürzester Zeit eine Dynamik und vor allen Dingen eine Intensität geschaffen hatte, mit der keiner gerechnet hat. Alle, die von außen darauf geschaut hatten, waren verwundert. Ich sehe gewisse Parallelen zwischen der Protestdynamik dort und der Ausgangslage bei Legida, bzw. Pegida. Die große Gefahr, die im Moment besteht ist, dass sich hier außerhalb jeglicher bisher üblicher gesellschaftlicher und politischer Debatte und Diskursstrukturen etwas zusammenbraut.
Tobias Hollitzer, Jahrgang 1966, wurde in der DDR aus politischen Gründen nicht zum Abitur zugelassen. Er arbeitete als Tischler und wurde 1990 im Auftrag des Stasi-Unterlagenausschusses Archivbeauftragter für Leipzig. Heute ist er Leiter der Gedenkstätte "Runde Ecke" in Leipzig, dem früheren Sitz des Staatssicherheitsdienstes im Bezirk Leipzig.
Das Gespräch führte Volker Wagener.