Böse Bauten - Naziarchitektur und Tourismus
6. Mai 2016Die Touristen in Berlin stimmen mit den Füßen ab: Im Zehnminutentakt stoppen Stadtführer mit ihren Gruppen in der Wilhelmstraße an dem Ort, an dem sich Adolf Hitler 1945 umgebracht hat. Zu sehen ist von dem unterirdischen Bunker nichts. Stattdessen eine banale, betonierte Fläche neben dem Restaurant "Peking Ente". Es ist vermutlich Berlins meistfotografierter Parkplatz.
Vor allem US-amerikanische Touristen wollten den "Führerbunker" sehen, erzählt Stadtführerin Sabine. Aber auch andere Nationalitäten kommen hierher. Für Interesse hatte der "Führerbunker" schon 1945 gesorgt, als unliebsame Besucherattraktion im sowjetischen Sektor. Durch die DDR wurde er schließlich weitgehend entfernt. Übrig blieben lediglich ein paar Teile der Seitenwände und die Bodenplatte im Untergrund. Nach der Wiederentdeckung bei Ausgrabungen in den 1990er Jahren und einem langen Streit zwischen Historikern, Politikern und Archäologen entschied Berlin, die Reste unsichtbar zu lassen. Zu fragmentarisch, jeder Euro einer zuviel für einen Ort, der möglicherweise rechtsradikales Milieu anziehe, lauteten die Argumente.
Ein Anziehungspunkt für Touristen ist der Ort dennoch geblieben. "Hier wurden von den Touristenführern zum Teil haarsträubende Märchen erzählt", sagt Holger Happel vom Verein "Berliner Unterwelten". Der Verein erforscht die Bauten in Berlins Untergrund und bietet Führungen zu einigen der unterirdischen Anlagen an: in Bunkeranlagen der NS-Zeit und des Kalten Kriegs, U-Bahntunneln und Brauereikellern. Zum "Führerbunker" gibt es keine Touren. Das Anliegen des Vereins sei es vielmehr zu entmystifizieren, fährt Happel fort: "2006 haben wir es endlich geschafft, die Zuständigen davon zu überzeugen, dass eine sachliche Informationstafel wohl das Mindeste ist, was man an einem solchen Ort aufstellen sollte, um den Spukgeschichten ein Ende zu bereiten."
Urlaub im Leid der anderen
Düstere Orte ziehen Touristen weltweit an. Doch nicht überall stehen Aufklärung und Information im Vordergrund. Seit der Jahrtausendwende ist ein Trend zu beobachten: Veranstalter und Städte bauen ihr touristisches Programm mit Gruselerlebnissen aus. Das 2012 an der englischen Universität Lancashire gegründete Institute for Dark TourismResearch (iDTR) definiert diese Art des Reisens als Besichtigung von Orten, die mit Mord, Tod, Gewalt, Schmerz, Leid und dem Makaberen assoziiert werden. Tatsächlich fahren Tourveranstalter heute mit ihren Gästen in die Kernzone von Tschernobyl - inklusive dem Messen von Radioaktivität und Mittagessen. Im Kriechgang geht es durch die ehemaligen Kriegstunnel in Sarajewo. Oder Orte von Massenmördern werden angesteuert wie die Folterkeller Idi Amins in Uganda. Informationstafeln? Fehlanzeige.
Laut dem Historiker Prof. Dr. Rüdiger Hachtmann von der Technischen Universität Berlin fokussiert sich der "Dark Tourism" meist auf Ereignisse, die zeitlich noch nicht so lange zurückliegen. Die Emotion der Besucher reiche von Mitleid über Voyeurismus, von Grusel bis zur Gier, etwas Sensationelles und Dunkles zu beobachten. "Verwandt und gleichzeitig ein Gegenbegriff zum 'Dark Tourism' ist die politische Bildungsreise", ordnet Hachtmann ein. Nach seiner Einschätzung wolle sich dieser andere Touristentyp mit besonders düsteren Epochen der Vergangenheit nicht rein emotional, sondern vor allem intellektuell konfrontieren: "Es kann sein, dass sich 'Dark Tourism' und 'kulturbeflissener Bildungstourismus' zu NS-Gedenkstätten beim einzelnen Touristen manchmal mischen, zum Beispiel bei der Besichtigung von Auschwitz. Der Wunsch nach Aufklärung dürfte bei der übergroßen Mehrheit dieser Touristen jedoch dominieren."
Das monumentalste NS-Bauerbe
In Nürnberg, wo die größte bauliche Hinterlassenschaft der Nazi-Zeit in Deutschland steht, setzt man auf den Bildungstouristen. Rund 200.000 Menschen aus aller Welt besuchen jährlich das Dokumentationszentrum des ehemaligen NS-Reichsparteitagsgeländes, ein elf Quadratkilometer großes Areal, nach den Plänen von Hitlers Architekt Albert Speer gestaltet. Hitler zelebrierte hier bis 1938 die Parteitage der NSDAP als Massenveranstaltungen, mit denen die Menschen geblendet und für das Regime begeistert werden sollten.
Die Kolossalbauten sind zum Teil noch erhalten, etwa der Rohbau der Kongresshalle, in dem das Dokumentationszentrum seit 2001 über die Geschichte des Nationalsozialismus und die Reichsparteitage aufklärt. Geblieben sind auch die Große Straße, auf der die "Volksgemeinschaft" mit Aufmärschen eingeschworen wurde und das Zeppelinfeld. Hier entsteigen Reisebussen regelmäßig ganze Ladungen Touristen. Das einstige Aufmarschgelände für 200.000 Menschen ist heute eine betonierte Fläche mit Park- und Sportplätzen. An deren Kopf steht die Tribüne mit der Kanzel, von der Hitler seine Reden hielt. Heute ist sie frei zugänglich für Touristen.
Verfallen lassen oder erhalten?
Hitlers steinerne Ehrentribüne bröckelt. Um diesen Sanierungsfall tobt seit Monaten ein erbitterter Streit. Bürgerinitiativen wie der Nürnberger Verein "BauLust" warnen vor einer möglichen Disneyfizierung der Tribüne - und damit letzten Endes vor "Dark Tourism". Man arbeite an einem Masterplan für das ganze Gelände, lässt hingegen die Stadt Nürnberg wissen. Sie argumentiert: Was bleibt sonst, wenn die Zeitzeugen sterben? Nur die authentischen Orte. Die Stadt hat sich für die Instandsetzung entschieden. Das heißt den Status quo konservieren, keine Rekonstruktion oder gar Vollendung der Bauten.
Damit folgt Nürnberg der Empfehlung von Historikern, NS-Monumentalbauten offensiv für Ausstellungsprojekte über die Geschichte des Nationalsozialismus zu nutzen. Die exakte Höhe der zweistelligen Millionensumme für die Sanierung will die Nürnberger Verwaltung bis zum Sommer ermitteln. Selbst wenn ein Teil des Geldes durch die Touristenströme wieder zurückfließen wird - der Konflikt ist noch nicht beendet.
Der NS-Klotz von Berlin
Eine Million Euro kostete die Sanierung eines weit weniger bekannten NS-Bauwerks nahe dem Berliner Bahnhof Südkreuz, des Schwerbelastungskörpers. Ein gigantischer Betonzylinder, 18 Meter tief in den Berliner Boden getrieben, 14 Meter in den Himmel ragend, 21 Meter Durchmesser, 12.000 Tonnen schwer. Ein scheinbar funktionsloses Stück rohe NS-Architektur, das mitten im Zweiten Weltkrieg mithilfe französischer Zwangsarbeiter errichtet wurde, als wichtiges Projekt im persönlichen Auftrag Adolf Hitlers. Dessen Architekt Albert Speer sollte mit dem "Bauwerk T" testen, ob der Berliner Boden an dieser Stelle einen über 100 Meter hohen Triumphbogen für die geplante "Reichshauptstadt Germania" tragen würde.
Heute ist der Schwerbelastungskörper ein spröder Ort der Information, nicht spektakulär wie von Touristen oft erwartet, wenn es um Hitler, Speer und den Mythos der "Reichshauptstadt Germania" geht. Anziehungspunkt ist neben dem Betonklotz ein 14 Meter hoher Turm, der 2009 für Besucher errichtet wurde. Oben angekommen, verliert die kilometerweite Aussicht bis zum Potsdamer Platz schnell an Genuss: Man steht hier genau auf Höhe des geplanten Straßenniveaus der Parade-Straße, die Hitler und Speer zwischen dem vier Kilometer entfernten Regierungsviertel und dem einen Kilometer entfernten Südbahnhof durch das Zentrum Berlins ziehen wollten. Alles um einen herum sollte unter einem gewaltigen Hügel verschwinden. Auf einen Blick wird klar, wie viele Häuser hätten zugeschüttet werden müssen. Was alles unter der 120 Meter breiten und insgesamt sieben Kilometer langen Parade-Straße verschwunden wäre. Das zeugt vom Größenwahn der monumentalen NS-Stadtplanung. Michael Richter vom Verein "Berliner Unterwelten" sieht es so: "Ich sage, dieser Ort ist das Reichsparteitagsgelände von Berlin. Hier ist die einzige Möglichkeit in Berlin, die Dimension der Stadtplanung, die für die Stadt entstehen sollte, dreidimensional zu erleben. Alles andere ist mehr oder weniger Papier und Modell geblieben."
Das ungeliebte Erbe zukunftsfest machen
Lange hatte sich die Berliner Stadtverwaltung bemüht, den Schwerbelastungskörper loszuwerden: Überlegungen zur Sprengung, Vermietung und Verkaufsabsichten scheiterten. Die "Berliner Unterwelten" konnten die Verwaltung schließlich überzeugen, mit dem Geschichtswert des Ortes umzugehen, der seit 1995 unter Denkmalschutz steht.
Rund 7000 Menschen sind im vergangenen Jahr hierher gekommen. Nicht viel im Vergleich zum "Führerbunker". Die emotionale Komponente des "Dark Tourism" fehlt an diesem Ort. Dennoch: Informationsorte wie in Berlin und Nürnberg für die intellektuelle Auseinandersetzung zu stärken und den "kulturbeflissenen Bildungstourismus" für die Zukunft sattelfest zu machen, darin liegt eine der Stärken deutscher Dokumentationsstätten über die NS-Zeit. Und ihre Zukunftsfähigkeit für einen Tourismus auch noch in 50 oder 100 Jahren.