Bye Bye Venezuela
29. Oktober 2015Nach einer Erhebung der katholischen Universität Andrés Bello in Caracas leben mittlerweile zwischen 1,2 und 1,5 Millionen Venezolaner im Ausland. 90 Prozent der Emigration habe in den vergangenen 15 Jahren stattgefunden.
"Venezuela hat sich von einem Einwanderungsland in ein Auswanderungsland verwandelt", erklärt Tomás Páez, Soziologe an der Universität von Caracas. "Die Regierung von Präsident Nicolás Maduro hat nichts gegen den Exodus unternommen, im Gegenteil, sie befördert ihn."
Páez ist Autor des Buches "Die Stimme der venezolanischen Diaspora", das im Juli dieses Jahres erschienen ist. Für die Untersuchung befragte er 900 venezolanische Emigranten in 41 Ländern. Besonders das Tempo des Massenexodus beeindruckt ihn.
Rette sich, wer kann
"Die politische, wirtschaftliche und soziale Krise im Land sowie die wachsende Unsicherheit und Gewalt veranlassen immer mehr Venezolaner, ihre Heimat zu verlassen", lautet sein Fazit. Was früher ein Privileg der gebildeten und wohlhabenden Bevölkerung gewesen sei, habe nun alle gesellschaftlichen Schichten erfasst.
Damit nicht genug: Nach Angaben des Meinungsforschungsinstituts Datánalisis aus Caracas bereiten sich rund 30 Prozent der 32 Millionen Einwohner Venezuelas mit entsprechenden Anträgen auf eine Auswanderung vor. Vor zehn Jahren lag dieser Anteil laut Umfrage bei rund vier Prozent.
In Venezuela regiert seit der Wahl des ehemaligen Oberstleutnants Hugo Chavez 1999 zum Präsidenten die sozialistische Partei PSUV. Unter der von Chavez ausgerufenen "Bolivarianischen Revolution" wurden die Schlüsselindustrien, darunter auch der Ölsektor, verstaatlicht.
Die Einnahmen aus dem Export des Rohstoffes wurden in zahlreiche Sozialprogramme investiert. Durch den Verfall des Ölpreises rutschte das Land in eine schwere Wirtschaftskrise. Auf die zunehmende Kritik am sogenannten Sozialismus des 21. Jahrhunderts regiert die Regierung von Präsident Nicolás Maduro mit politischer Unterdrückung der Opposition.
Flucht nach Florida
Die meisten Venezolaner zieht es in die USA. Nach Angaben der venezolanischen Emigrantenorganisation Veppex (Venezolanos perseguidos políticos en el exilio = politisch verfolgte Venezolaner im Exil) leben allein im US-Bundesstaat Florida 250.000 Menschen aus Venezuela. Hinzu kommen viele illegal eingereiste Migranten.
Doch auch in Europa und in den südamerikanischen Nachbarländern Kolumbien, Argentinien, Brasilien und Uruguay versuchen die Auswanderer ihr Glück. Mit rund 200.000 ist Spanien nach den USA das Land mit den meisten Auswanderern aus Venezuela.
In Kolumbien kündigte nach Berichten der Tageszeitung "El País" der Chef des nationalen Planungsstabs (DNP), Simón Gaviria Muñoz, einen Zensus für Migranten noch in diesem Jahr an.
In den ersten acht Monaten des Jahres sind seien 150.000 Venezolaner nach Kolumbien eingewandert. Allein im August waren es 40.000 Menschen gewesen. Zum Vergleich: Im August 2014 kamen 8.000 Emigranten.
Treffpunkt Miami
In den USA drängen venezolanische Verbände auf eine Legalisierung des Aufenthaltsstatus ihrer Landsleute. Sie erreichten, dass Republikaner und Demokraten im Oktober gemeinsam einen entsprechenden Gesetzesentwurf einbrachten. Danach sollen alle vor dem 1. Januar 2013 eingereisten Venezolaner eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen.
Der Stichtag hat einen Grund. Veppex-Vorsitzender José Antonio Colina vermutet, dass sich unter den tausenden Flüchtlingen aus Venezuela auch Anhänger des Regimes befinden könnten. "Es sind Personen, die unter Präsident Chavez und seinem Nachfolger Maduro reich geworden sind", erklärte er gegenüber "El País".
Die überwältigende Mehrheit der venezolanischen Emigranten sieht angesichts von Mangelwirtschaft, Korruption und politischer Verfolgung jedoch schlicht keine Perspektive mehr im eigenen Land. Colina: "Der Gesetzesentwurf versucht, die Probleme der Einwanderer zu lösen, die sich in die nordamerikanische Gesellschaft integriert haben und nicht in ihre Heimat zurückkehren können, weil dort ihre Menschenrechte verletzt würden."