Wählen im Schatten des Terrors
20. November 2020Über Ouagadougo, Burkina Fasos Haupstadt, bricht die Nacht herein. Sore Ouesseni sitzt mit drei Freunden auf Holzbänken vor seinem Geschäft im Stadtteil Ouidi. Eigentlich verkauft er Ersatzteile für Sanitäranlagen, doch davon ist im Moment kaum etwas zu sehen. Der kleine Laden in knalligem Orange ist überall mit Postern und Bildern von Präsident Roch Marc Christian Kaboré seiner Partei MPP dekoriert.
Die Wahl kommenden Sonntag ist hier das Gesprächsthema. "Wir werden in Massen zum Wählen gehen, um für Präsident Kaboré zu stimmen. Er muss die Wahlen gewinnen", sagt Ouesseni überzeugt. Seine Meinung ist klar: Der 63-jährige Kaboré hat in seinen fünf Jahren Amtszeit viel für das Land getan.
Kaboré Favorit in den Umfragen
So viel Enthusiasmus ist anderswo kaum zu spüren. Weder vor der Parteizentrale noch vor dem Wahlkampfbüro wird laute Musik gespielt. Nirgendwo versammeln sich spontan große Gruppen von Unterstützern. Kaboré und dessen Anhänger sind dabei noch am sichtbarsten. Die anderen zwölf Kandidaten - darunter nur eine Frau - fallen zumindest in den Straßen der Hauptstadt kaum auf.
Am bekanntesten sind Zéphirin Diabré (61), der bei den letzten Wahlen 2015 als Kandidat der Partei UPC zweiter wurde, sowie Eddie Komboïgo, der für die Partei CDP des langjährigen Herrschers Blaise Compaoré antritt.
Laut einer Umfrage des Instituts Apidon könnten beide jeweils zwischen zehn und elf Prozent der Wählerstimmen erhalten, während Kaboré mit mehr als 42 Prozent deutlich vorne liegt. Noch unklarer ist, wie sich das neue Parlament (111 Sitze) zusammensetzen wird. In manchen Wahlkreisen stehen 80 Parteien und Wählerbündnisse auf den Stimmzetteln.
Über 1000 Wahllokale bleiben geschlossen
Für den zählen Wahlkampf gibt es vor allem einen Grund: Er wird von einer Diskussion über die Sicherheitslage überschattet. Seit Anfang 2016 verüben verschiedene Terrorgruppen – darunter JNIM aus dem benachbarten Mali und der Islamische Staat zahlreiche Anschläge. Allein in den letzten 12 Monaten kamen nach Schätzungen der Nichtregierungsorganisation ACLED 2730 Menschen durch Überfälle, Ausschreitungen und Gewalt gegen Zivilisten ums Leben. Vor allem der Norden und der Osten des Landes sind betroffen.
Schon jetzt ist klar, dass "1334 von insgesamt knapp 22.000 Wahllokalen" am Sonntag nicht öffnen werden, sagt Issaga Kampo, Wahl-Experte aus Mali und Berater von Burkinas Wahlkommission CENI. Kampo hält das nicht für ein großes Problem - aus seiner Sicht werden die Auswirkungen auf das Ergebnis nicht sonderlich groß seien.
Auch ist nicht klar, wie viele Binnenflüchtlinge überhaupt wählen können. Das UN-Flüchtlingshilfswerk zählt derzeit etwas mehr als eine Million Vertriebene. Wer ohne Ausweispapiere geflohen ist, hat keine Chance, am Sonntag seine Stimme abzugeben. "Auch das ist eine besondere Situation, und die politische Klasse ist sich dessen bewusst", so Kampo. Trotz aller Schwierigkeiten gilt die Wahlkommission allerdings als glaubwürdig.
Die größte Herausforderung für die Behörden ist es, am Wahltag für Sicherheit zu sorgen. Erst in der vergangenen Woche starben bei einem Angriff auf einen Militär-Konvoi nach offiziellen Angaben 14 Menschen. Neben Polizei, Gendarmerie und Armee – Soldaten sollen sich allerdings nicht in den Wahllokalen aufhalten - wird auch immer wieder über den Einsatz von Bürgerwehren während der Abstimmung diskutiert.
Wegen der schlechten Sicherheitslage haben sich in den vergangenen Jahren verschiedene Gruppen gegründet, die anfangs vor allem Dörfer vor Diebstählen schützen sollten. Mittlerweile haben die Freiwilligen Vaterlandsverteidiger einen offiziellen Status.
Dialog mit den Terroristen?
"Sie bieten an, sich dort, wo sie ohnehin schon mit den Sicherheitskräften zusammenarbeiten, an der Sicherung der Wahllokale zu beteiligen. Man wird sehen, ob das Angebot auch angenommen wird", sagt Sandrine Nama, Programmkoordinatorin der Nichtregierungsorganisation Dialog für Gerechtigkeit und Sicherheit in Burkina Faso. Ein möglicher Einsatz wird jedoch auch kritisch gesehen, da Nichtregierungsorganisationen Armee und Bürgerwehren in den letzten Jahren immer wieder Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen haben.
Die entscheidende Frage im Wahlkampf lautet, wie die Gewalt beendet werden kann. In den vergangenen Tagen haben sich immer mehr Oppositionspolitiker für einen Dialog mit den Terroristen ausgesprochen. Offiziell hat Kaboré Deals, wie es sie unter seinem Vorgänger Compaoré gab, bisher abgelehnt. Militäreinsätze haben das Problem aber auch nicht lösen können. "Viele Familien sind von der Gewalt betroffen", sagt Sandrine Nama. Der Wunsch, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, sei verständlich. Allerdings ist unklar, worüber konkret verhandelt werden könnte und wer eventuelle Verhandlungen führen könnte.
Auch Sore Ouesseni, der Händler aus Ouidi, wäre Gesprächen mit den Extremisten nicht abgeneigt. "Entscheiden muss das unser Präsident. Wenn es ihm gelingen sollte, mit Terroristen einen Frieden auszuhandeln, warum denn nicht?", sagt er und betont: "Wir wollen unbedingt Frieden haben."