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Burka-Debatte blockiert Integration

Gero Schließ, Berlin17. August 2016

Die Debatte über ein Verbot der Vollverschleierung von Frauen geht weiter. Aber sie lenkt vom Kern der Integrationsproblematik ab, sagt der Soziologe Ludger Pries im Interview mit der DW.

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Deutschland Burkas in Bad Godesberg
Bild: picture-alliance/U. Baumgarten

Deutsche Welle: Herr Prof. Pries, über das Thema Integration ist in letzter Zeit viel geschrieben worden. Welchen Ansatz verfolgen Sie in Ihrem jetzt veröffentlichten Buch "Migration und Ankommen"?

Ludger Pries: In der Flüchtlings- und Migrationsdebatte der letzten Jahrzehnte haben wir einen wichtigen Aspekt zu wenig berücksichtigt: dass hier Menschen mit ihren biografischen Erfahrungen und ihrem kulturellen Hintergrund bei uns ankommen. Wir haben erwartet, dass sich alle hier so schnell wie möglich assimilieren. Aber für ihre bisherige Lebenserfahrung haben wir uns kaum interessiert. Das zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der Einwanderung - von den Vertriebenen und Flüchtlingen nach dem Zweiten Weltkrieg bis hin zu den Gastarbeitern und Spätaussiedlern.

Was bedeutet das für den Umgang mit den mehr als eine Millionen Geflüchteten, die jetzt zu uns gekommen sind?

Wir sollten ihnen im Dialog nicht nur körperliches, sondern auch persönliches, sozial-kulturelles Ankommen ermöglichen. Dabei können sehr viele hier bereits lange oder seit Generationen Lebende auch die eigenen Lebenserfahrungen von Ankommen mit einbringen. So können auch sie besser teilhaben. Etwa die Türkeistämmigen und Menschen islamischen Glaubens, aber auch die zweite Generation der Spätaussiedler. Da gibt es noch viel Gesprächsbedarf.

Wie kann das ganz konkret aussehen?

Viele der Flüchtlinge sind traumatisiert und man kommt mit ihnen schwer ins Gespräch. Wenn man Gesprächskreise auf der Stadtteil- oder Gemeindeebene organisiert, kann man die Flüchtlinge einfacher zum Sprechen bringen. Dazu gehört auch, sie mit Menschen zusammenzubringen, die ähnliche Flucht- oder Ankommens-Erfahrungen gemacht haben.

Was passiert, wenn das scheitert? Sie sprechen in Ihrem Buch ja auch von der Gefahr von Gewaltexzessen und Terroranschlägen.

Das Ankommen zu organisieren ist der nachhaltigste Weg, diese Wahrscheinlichkeit klein zu halten. Willkommenskultur muss das Ankommen ermöglichen. Und danach muss die Integration kommen mit Teilhabechancen im Arbeitsmarkt und beim Deutschlernen.

Deutschland Ludger Pries
Prof. Ludger PriesBild: privat

Die Deutschen sorgen sich, dass sich die Anschläge mit islamistischem Hintergrund wiederholen. Für wie wahrscheinlich halten Sie das?

Die meisten der im letzten Jahr hier angekommenen Flüchtlinge haben traumatische Erfahrungen. Das kann bei Einzelnen die Wahrscheinlichkeit erhöhen, sich zu Gewalt- oder Terrorakten hinreißen zu lassen. Aber diese Wahrscheinlichkeit wird auch erhöht bei Nicht-Flüchtlingen, die spezifische psychische Probleme haben, wie wir von vielen Terroranschlägen und Amokläufen aus verschiedenen Ländern wissen. Nochmal: Integration geht nur über das Ankommen und Anerkennen. Wenn wir alle Fälle von Terroranschlägen aus den letzten vier Wochen in Deutschland durchgehen, dann sehen wir ganz deutlich, dass genau das zentral war für das persönliche Scheitern dieser Menschen.

Wie beurteilen Sie vor diesem Hintergrund die gegenwärtige Diskussion in Deutschland über ein mögliches Burka-Verbot und die Forderung, die doppelte Staatsbürgerschaft abzuschaffen?

Politiker stehen unter enormem Druck, irgendetwas zu tun. Dabei kommen oft nicht zielführende Beschlüsse heraus. Das sehe ich bei der Diskussion um das Burka-Verbot und bei der Frage der doppelten Staatsbürgerschaft. Die doppelte Staatsbürgerschaft ist wesentlich, weil sich viele Menschen verschiedenen Kulturkreisen zugehörig fühlen. Die Attentäter von Paris oder Brüssel hatten keine doppelte Staatsbürgerschaft, waren aber nicht integriert und anerkannt. Deshalb wird die Abschaffung der doppelten Staatsangehörigkeit die anstehenden Probleme nicht lösen. Vielleicht wurde ein Teil der Willkommensdebatte im letzten Herbst etwas naiv geführt. Wir sollten aber jetzt nicht in das gegenteilige Extrem verfallen und Forderungen aufgreifen, die unsere Probleme definitiv nicht lösen können.

Wie muss diese Diskussion jetzt auf die Geflüchteten wirken, die hier ankommen wollen?

Das genau ist der Punkt. 30 Jahre haben wir den Gastarbeitern erzählt, ihr seid eigentlich nur Gäste und wir brauchen keine Integrationsmaßnahmen. Die gleichen verfehlten Signale würden wir jetzt in anderer Form aussenden, nun in der Verweigerung der doppelten Staatsbürgerschaft. Bezüglich des Burka-Verbots gilt: Freiheit der Religionsausübung hat bei uns einen hohen Stellenwert. Grenzen für das Tragen religiöser Symbole in der Öffentlichkeit, bei Amtshandlungen vor Gericht oder in Schulen müssen sehr differenziert diskutiert werden. Im generellen Burka-Verbot irgendeine Lösung zu sehen, ist völlig irreführend.

Diese Diskussionen blockieren die Integration. Sie lenken am Ende ab von den eigentlichen Problemen, nämlich den Ankommens- und Integrationsaufgaben, die die gesamte Gesellschaft leisten muss.

Befürchten Sie nicht ein Zurückfallen in die Diskussion früherer Jahrzehnte, die wir schon überwunden glaubten?

Wir müssen uns damit abfinden, dass jede Generation immer wieder neu das Verständnis über das Eigene und das Fremde führen und für sich entscheiden muss. Deutschland hat im Hinblick auf Erfahrungen von Vertreibung und Flucht ein eigenes Erfahrungs- und Akzeptanzpotential, das durch das Teilen von Ankommenserfahrungen mobilisiert werden kann. Wir sollten uns nicht nur als wirtschaftliche Globalisierungsweltmeister verstehen, sondern auch als Land, welches sich gerade vor dem Hintergrund der eigenen Geschichte der globalen Verantwortung stellt. Wir können nicht nur die Rosinen der Globalisierung für uns herauspicken und den Rest für die Länder Afrikas übrig lassen.

Ludger Pries ist Professor an der Ruhr-Universität Bochum und stellvertretender Vorsitzender des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migartion. In dieser Woche ist sein Buch „Migration und Ankommen“ erschienen.

Das Gespräch führte Gero Schließ.