Bundesweite Proteste gegen Corona-Regeln
9. Mai 2020In Deutschland sind in einigen Großstädten mehrere tausend Menschen auf die Straße gegangen, um gegen die aus ihrer Sicht zu strikten Infektionsschutzmaßnahmen zu demonstrieren. Auf dem Münchner Marienplatz versammelten sich 3000 Menschen, teils unter Missachtung aller Corona-Abstandsregeln. Die Demonstration sei für nur 80 Teilnehmer angemeldet gewesen, sagte ein Sprecher des Polizeipräsidiums München.
Einer der Schwerpunkte war Stuttgart. Dort waren auf dem Cannstatter Wasen mehrere tausend Menschen unterwegs. Die Polizei haben auf dem Demonstrationsgelände einen regen Zustrom verzeichnet, sagte ein Polizeisprecher, der keine genaue Teilnehmerzahl nannte. Es sei aber ziemlich voll geworden.
Demonstrationen verliefen friedlich
Ein ähnliches Bild bot sich in Frankfurt. Dort protestierten trotz erster bundesweiter Lockerungen mehr als 500 Demonstranten gegen die Corona-Beschränkungen. Sie zogen mit Transparenten durch die Innenstadt und riefen "Legt den Maulkorb ab", "Schließt euch an" und "Widerstand". Zeitweise hätten sich mehr als 500 Menschen beteiligt, der Mindestabstand von 1,5 Meter sei zum Teil auch hier unterschritten worden, so die Polizei, die nach eigenen Angaben mehrfach darauf hinwies, die Demonstration aber nicht auflöste.
Wegen der Nichteinhaltung von Regeln zur Corona-Eindämmung nahm die Polizei bei einer Demonstration vor dem Berliner Reichstagsgebäude etwa 30 Menschen fest. Dabei ging es vor allem um die Feststellung der Personalien, weil zu viele Menschen auf dem Platz vor dem Reichstag waren oder der Mindestabstand nicht eingehalten wurde. Unter die Menge mischten sich auch Verschwörungstheoretiker.
Verschwörungstheoretiker und Impfgegner
Nach Berichten von Augenzeugen warfen die Demonstranten in Zusammenhang mit der Corona-Pandemie der Politik und auch Medizinern vor, Panikmache zu betreiben und die Grundrechte der Bevölkerung zu beschneiden. Auch Verschwörungstheoretiker und Impfgegner waren unter den Demonstranten.
Mehrere Innenpolitiker warnen vor einer Zunahme von Verschwörungstheorien in Corona-Zeiten. "Die Vorstellung, dass die Pandemie bewusst herbeigeführt wurde, um das Volk zu kontrollieren, und dahinter Bill Gates oder andere vermeintlich finstere Mächte stecken, reicht bis weit in die Mitte der Gesellschaft", sagte der Thüringer Innenminister Georg Maier (SPD) dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel". "Hier kippt der Protest schnell ins Antisemitische."
Instrumentalisierung durch Extremisten?
Auch Demonstrationen auf den Straßen bereiten dem derzeitigen Vorsitzenden der Innenministerkonferenz teilweise Sorgen. "Wenn Menschen Kritik üben, ist das selbstverständlich in Ordnung", sagte Maier. "Was uns alarmiert, ist der Versuch von Extremisten, die Proteste zu kapern."
Der Berliner Innensenator Andreas Geisel (SPD) sagte zu sogenannten Hygiene-Demos: "Das Gefährliche daran ist, dass diese Leute mit ihren kruden Thesen auch Menschen erreichen, die eigentlich fest auf dem Boden des Grundgesetzes stehen." Diese ließen sich dann für die Verbreitung von Verschwörungstheorien instrumentalisieren.
Markus Kerber, Staatssekretär im Bundesinnenministerium, spricht sogar von einem "weltweiten Informationskampf". Das Ministerium habe einen Anstieg von Desinformation und Propaganda aus dem Ausland festgestellt. Mittlerweile verbreiteten sich Verschwörungstheorien auch im Inland. "Hier müssen wir dagegenhalten, mit Fakten, Transparenz und einer Verteidigung der Wissenschaft", erklärte Kerber.
Der CDU-Innenexperte Armin Schuster rief zur inhaltlichen Auseinandersetzung mit Corona-Protestgruppen wie "Nicht ohne uns" oder "Widerstand 2020" auf. "Diese Gruppen als Spinner abzutun, greift mir zu kurz", sagte er der "Rheinischen Post". Schuster, der auch Vorsitzender des Parlamentarischen Gremiums zur Kontrolle der Nachrichtendienste ist, forderte von den Sicherheitsbehörden Aufklärung darüber, inwieweit rechte und linke Gruppierungen die Bewegungen unterwandern und für ihre verfassungsfeindlichen Ziele instrumentalisieren.
Kritik von der Kanzel?
Auch wächst Kritik an einer Initiative innerhalb der katholischen Kirche. Der Generalvikar des Bistums Essen, Klaus Pfeffer, kritisiert eine Gruppe um den deutschen Kardinal Gerhard Ludwig Müller, den früheren Päpstlichen Botschafter in den USA, Erzbischof Carlo Maria Vigano, und Hongkongs Kardinal Joseph Zen Ze-kiun. Diese haben eine Warnung veröffentlicht, nach der die Corona-Pandemie genutzt werden soll, um eine "Weltregierung" zu schaffen, "die sich jeder Kontrolle entzieht".
Unterschrieben wurde der Aufruf von anderen Geistlichen, Medizinern, Journalisten und Anwälten. Jeder, der diesen Aufruf unterzeichnet habe, entblöße sich selbst, schreibt Pfeffer auf Facebook. Er sei "einfach nur fassungslos, was da im Namen von Kirche und Christentum verbreitet wird: Krude Verschwörungstheorien ohne Fakten und Belege, verbunden mit einer rechtspopulistischen Kampf-Rhetorik, die beängstigend klingt."
sam/gri (dpa, kna)