Eilanträge gegen Pflege-Impfpflicht abgelehnt
11. Februar 2022Die Nachteile, die den überwiegend im Gesundheitswesen tätigen Antragstellern durch die Impfpflicht drohten, seien weniger schwer als die Nachteile, die vulnerable Menschen bei einem Aussetzen der Regelung befürchten müssten, begründete das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe seinen Beschluss.
Hauptverfahren steht noch aus
Das bedeutet allerdings noch nicht, dass die einrichtungsbezogene Impfpflicht grundsätzlich verfassungsmäßig ist. Denn: Die Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit im eigentlichen Verfahren steht noch aus. Der für den Komplex zuständige Erste Senat unter Gerichtspräsident Stephan Harbarth hat die Impfpflicht, die ab Mitte März im medizinischen Bereich gelten soll, noch nicht umfassend geprüft. Das passiert erst im Hauptverfahren, das aber auch mit hoher Priorität behandelt werden dürfte.
Fakt ist: Ab dem 15. März müssen Beschäftigte in Gesundheitswesen und Pflege nachweisen, dass sie gegen COVID-19 geimpft oder von der Krankheit genesen sind. Dagegen hatten sich 46 Beschwerdeführende mit einer Verfassungsbeschwerde gewandt. Die meisten von ihnen sind selbst in Gesundheitsberufen tätig, einige leiten Einrichtungen oder sind in Behandlung bei ungeimpften Medizinern. Sie verbanden ihre Verfassungsbeschwerde mit einem Eilantrag, um die Regelung vorläufig außer Vollzug setzen zu lassen.
Zweifel an der Regelungstechnik
Über diesen Eilantrag entschied das Gericht nun. Es gebe aktuell keine "durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken" gegen die Regelung, erklärte es. Allerdings habe es Zweifel an der Regelungstechnik: Im Gesetz selbst ist nämlich kein Impf- oder Genesenenstatus definiert, es verweist dazu auf die Corona-Ausnahmeverordnung, die wiederum auf das Paul-Ehrlich-Institut und das Robert-Koch-Institut verweist. Über diesen Aspekt entschieden die Richterinnen und Richter in Karlsruhe aber noch nicht.
Zunächst ging es nur darum, ob die einrichtungsbezogene Impfpflicht bis zur grundsätzlichen Entscheidung ausgesetzt werden sollte. Dabei musste das Gericht die möglichen Folgen gegeneinander abwägen und beschloss: Die Regelung vorläufig außer Kraft zu setzen, könnte schlimmere Folgen haben, als sie erst einmal in Kraft zu lassen.
Nicht zur Impfung gezwungen
Und: Das Bundesverfassungsgericht stellte fest, dass niemand zur Impfung gezwungen werde. Wer sich nicht impfen lassen wolle, müsse womöglich den Arbeitsplatz oder den Beruf wechseln. Mögliche berufliche Nachteile für Ungeimpfte seien aber voraussichtlich nicht unumkehrbar.
Die Bundesregierung will die sogenannte einrichtungsbezogene Impfpflicht einführen, um alte und geschwächte Menschen vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus zu schützen, die ein besonders hohes Risiko haben, sehr schwer zu erkranken oder daran zu sterben. Sie gilt für Beschäftigte in Pflegeheimen und Kliniken, aber zum Beispiel auch in Arztpraxen und bei ambulanten Diensten, für Hebammen, Physiotherapeuten und Masseure. Sie alle müssen - nach jetzigem Stand - bis zum 15. März 2022 nachweisen, dass sie voll geimpft oder kürzlich genesen sind.
Neue Beschäftigte brauchen den Nachweis ab dem 16. März von vornherein. Für Menschen, die sich aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen können, gilt eine Ausnahme. Fehlt der Nachweis, muss das Gesundheitsamt informiert werden, um den Fall zu untersuchen. Es kann dem Betroffenen dann verbieten, die Einrichtung zu betreten oder seine Tätigkeit weiter auszuüben.
Die Bundesregierung hält den gesetzlichen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit für gerechtfertigt. Die besonders Gefährdeten könnten sich zum Teil nicht selbst vor einer Infektion schützen. Die Menschen in ihrem Umfeld hätten daher eine besondere Verantwortung.
Bayern schert aus
Die Karlsruher Entscheidung fällt in eine Woche, in der es wegen der Impfpflicht ohnehin hoch herging. Am Montag hatte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) angekündigt, den Vollzug zunächst auszusetzen, weil viele Fragen ungeklärt seien.
Auch von anderer Seite hatte es zuletzt Bedenken gegeben, dass die Prüfung der einzelnen Fälle kaum zu leisten sei. Außerdem wird befürchtet, dass die Durchsetzung zu große Lücken beim Pflegepersonal reißt. "Genau genommen gibt es doch keine andere Wahl, als im Zweifelsfall ungeimpfte Pflegekräfte weiter arbeiten zu lassen", sagte die Präsidentin des Deutschen Pflegerates, Christine Vogler, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. "Darüber müssen wir offen reden, ohne, dass gleich der Vorwurf laut wird, wir würden ungeimpftes Personal schützen."
haz/se (BVerfG, dpa, afp, rtr)