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Politik

Der Staatstrojaner wird Wirklichkeit

22. Juni 2017

Kritiker sprechen schon vom umfassendsten Überwachungsgesetz seit dem großen Lauschangriff: Messenger-Dienste wie WhatsApp sind in den Fokus gerückt. Größere Debatten gab es im Parlament nicht.

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Symbolbild Staatstrojaner Whatsapp
Bild: Imago/R. Peters

Der Bundestag hat den Weg für die Überwachung von Kommunikation über Messenger-Dienste wie WhatsApp freigemacht. Die Daten sollen dabei direkt auf den Geräten vor der Verschlüsselung oder nach der Entschlüsselung abgegriffen werden. Dafür müssten die Behörden sogenannte Staatstrojaner auf der Technik installieren. Die Verschlüsselung soll nach Bekunden der Bundesregierung nicht angegriffen werden. Der Bundestag verabschiedete in zweiter und dritter Lesung das Gesetz "zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens"- mit den Stimmen der großen Koalition gegen den Widerstand der Opposition.

Das Gesetz ist umstritten, unter anderem weil Datenschutz-Probleme und ein Missbrauch von den Behörden bewusst nicht geschlossener Sicherheitslücken befürchtet werden. Zudem wird die Frage aufgeworfen, ob die Reichweite der Maßnahmen mit der Verfassung vereinbar ist. "Die herkömmliche Telekommunikationsüberwachung ist in unserer digitalen Welt an ihre Grenzen gestoßen, seitdem die Täter verschlüsselte Messenger-Dienste nutzen und über Telefon allenfalls noch Pizza bestellen", brachte es zum Beispiel als Befürworterin die rechtspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Fraktion, Elisabeth Winkelmeier-Becker, volkstümlich auf den Punkt.  "Die Sicherheitsbehörden brauchen innerhalb und außerhalb des Internet nicht mehr, aber eben auch nicht weniger Befugnisse", versuchte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) wiederholt versöhnliche Töne anzuschlagen. 

Deutschland Innenministerkonferenz in Dresden
Sieht seit langem Lücken bei der Abwehr von Terrorismus und Kriminalität: Innenminister de Maizière von der CDU Bild: picture-alliance/dpa/S. Kahnert

Der Staat als Hacker 

Es geht im Wesentlichen um zwei neue Instrumente: Die Überwachung der unmittelbaren Telekommunikation, die sogenannte "Quellen-TKÜ", und die Online-Durchsuchung, die den Ermittlern Zugriff auf ganze Computersysteme erlauben soll.     

Die wohl spektakulärste Neuregelung ist die Möglichkeit, Kommunikation über Messenger-Dienste wie WhatsApp überwachen zu können, bevor sie ver- oder nachdem sie entschlüsselt wurde. Dazu muss ein ganz bestimmter Trojaner installiert werden. "Die Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation darf auch in der Weise erfolgen, dass mit technischen Mitteln in von dem Betroffenen genutzte informationstechnische Systeme eingegriffen wird, wenn dies notwendig ist, um die Überwachung und Aufzeichnung insbesondere in unverschlüsselter Form zu ermöglichen", so der Gesetzestext. 

Nicht nur gegen Terror

Die neuen Bestimmungen sehen eine deutliche breitere Palette von Anwendungsmöglichkeiten vor: Mord, Totschlag, Steuerdelikte, Computerbetrug, Hehlerei oder Verleitung zur missbräuchlichen Asylantragsstellung. Ähnlich wie bei klassischen Abhörmaßnahmen soll die Online-Überwachung nur auf richterlichen Beschluss möglich sein.

Ausdrücklich ist in dem Gesetz geregelt, dass sich die Anbieter von Telekommunikationsdiensten nicht gegen eine angeordnete Überwachung sperren dürfen: Dem Gericht, der Staatsanwaltschaft und dem ermittelnden Polizisten müssten die Maßnahmen ermöglicht werden, wird in der Vorlage formuliert.

Kritiker werfen ein, dass man Zugriffsoptionen schlecht einengen könne, sobald der Trojaner erst einmal auf einem Gerät installiert wurde. "Der Richtervorbehalt ist völlig unzureichend, um die Reichweite der Software zu kontrollieren und sicherzustellen, dass diese auch wieder abgeschaltet wird. Einem Richter fehlen dazu die technische Sachkunde und eine unabhängige Expertise", meinte etwa der Grünen-Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele.

Durch die parlamentarische Hintertür 

Findige Oppositionspolitiker und Journalisten bemängelten zudem, dass die Neuregelungen quasi selbst "wie ein Trojaner" in ein schon laufendes Gesetzgebungsverfahren eingeschleust worden seien. Ohne größere öffentliche Debatte hätten die Koalitionsfraktionen die neuen staatlichen Spionagemethoden in ein langes Gesetz "zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens" mithineingepackt. 

SC/stu (afp, dpa)