Bundestag beschließt Atomausstieg
30. Juni 2011Der Bundestag hat mit breiter Mehrheit den vollständigen Atomausstieg bis spätestens Ende 2022 beschlossen. Dafür stimmten am Donnerstag (30.06.2011) 513 Abgeordnete von CDU/CSU, FDP, SPD und Grünen, dagegen votierten 79 Abgeordnete vor allem der Linken - es gab acht Enthaltungen. Damit wird als Folge der Katastrophe von Fukushima die erst im Herbst 2010 beschlossene Laufzeitverlängerung zurückgenommen. Auch machte der Bundestag den Weg frei für ein umfangreiches Gesetzespaket zur Energiewende - auch wenn es hierbei keinen so großen parteiübergreifenden Konsens gab.
Röttgen: Sehr guter Tag für Deutschland
Der von den Unionsparteien und der FDP vorgelegte Gesetzentwurf sieht vor, stufenweise bis 2022 alle Atomkraftwerke abzuschalten. Mit den begleitenden Gesetzen sollen der Ausbau von erneuerbaren Energien und Stromnetzen sowie das Energiesparen gefördert werden. Anders als das Atom-Ausstiegsgesetz werden diese Gesetze von SPD und Grünen jedoch nicht mitgetragen. Am 8. Juli soll die Energiewende im Bundesrat endgültig besiegelt werden.
Bundesumweltminister Norbert Röttgen sprach angesichts der Energiewende von einem "sehr guten Tag für Deutschland". Die jahrzehntelange Debatte münde nun in eine gemeinsame Entscheidung, sagte der CDU-Politiker im Bundestag vor der Abstimmung zur Energiewende. Dies bedürfe aber der Mitarbeit aller. "Es ist ein Bürgerprojekt zuallererst, das heute in Gang gesetzt wird."
Gabriel: Der Ausstieg bleibt unser Ausstieg
SPD und Grüne verbuchten den Atomausstieg als ihren ureigenen Erfolg. Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel sprach von einem "energiepolitischen Waterloo" der Regierung. "Der Ausstieg ist unser Ausstieg - und so wird es bleiben", betonte Gabriel. Damit Planbarkeit und Berechenbarkeit zurückkämen, stimme die SPD dem Atomausstieg bis 2022 zu. Er warf CDU, CSU und FDP jedoch vor, den Ausstieg nicht aus Überzeugung, sondern nur aus Gründen des Machterhalts zu vollziehen.
Noch im Herbst 2010 hatte die schwarz-gelbe Regierungskoalition die Laufzeiten für die AKWs um durchschnittlich zwölf Jahre verlängert. Damit hätte es bis mindestens zum Jahr 2035 Energie aus deutschen Atomkraftwerken gegeben. Nach der Atomkatastrophe im japanischen Fukushima entschloss sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) aber zu einer Kehrtwende in der Atompolitik.
Grüne kritisieren zu geringen Ökostrom-Anteil
Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Renate Künast, sagte, die Abstimmung zur Energiewende sei ein "Wegweiser für die weitere Entwicklung Deutschlands". Dies sei allerdings erst der Anfang einer notwendigen Entwicklung. Es gehe jetzt um eine zukunftsfähige, dezentrale und nachhaltige Energieversorgung. Das "Ja" der Grünen zur Energiewende sei ein "Ja, aber", betonte Künast. Sie kritisierte die von der Regierung geplante Steigerung des Ökostrom-Anteils auf 35 Prozent als nicht ausreichend. Stattdessen fordern die Grünen eine Steigerung auf 40 Prozent Ökostrom bis 2020. Derzeit beträgt der Anteil rund 19 Prozent.
Kritik kam auch von der Linken, die im Bundestag gegen den Atomkonsens stimmte. Fraktionschef Gregor Gysi bezeichnete den geplanten Ausstieg als halbherzig. Er forderte, der Atomausstieg müsse im Grundgesetz verankert werden. Nur dann wäre die Abkehr von der Kernenergie unumkehrbar. Sonst "bleibt es ein Atomausstieg mit Rückfahrkarte", sagte Gysi.
Wirtschaftsminister Philipp Rösler wies die Kritik der Opposition am Atomkurs der Koalition als unglaubwürdig zurück. Die Entscheidungen von Schwarz-Gelb gingen deutlich über den Ausstiegsbeschluss der früheren rot-grünen Regierung hinaus, sagte der FDP-Vorsitzende. Erst die jetzige Regierung habe die Voraussetzungen für den Einstieg in erneuerbare Energien und den Netzausbau geschaffen. Das hätten SPD und Grüne damals versäumt. Rösler zufolge wird die Wirtschaft durch den Atomausstieg nicht übermäßig belastet. Es böten sich sogar neue Chancen für deutsche Firmen im In- und Ausland, sagte er.
Wirtschaft warnt weiter vor Risiken
Die deutsche Wirtschaft bekräftigte anlässlich der Abstimmung im Bundestag ihre Warnungen vor den Risiken der Energiewende. Viele Unternehmen sorgten sich, ob die Versorgung mit Energie hierzulande wirklich gesichert sei, sagte der Präsident des Deutschen Energie- und Handelskammertags, Hans Heinrich Driftmann, der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Tausende Kilometer neue Netze, neue Gaskraftwerke, neue Speicher müssten erst einmal gebaut werden. "Ob das klappt, wird sich zeigen", betonte Driftmann.
Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Hans-Peter Keitel, warf der Bundesregierung einmal mehr vor, den Ausstieg aus der Atomenergie überstürzt zu betreiben. Die wesentlichen Entscheidungen seien bereits wenige Tage nach Ausrufung des dreimonatigen Atom-Moratoriums festgelegt gewesen - "einschließlich des sofortigen Abschaltens von acht Kraftwerken", kritisierte er. "Es gab am Ende keine offene Entscheidungssituation mehr."
Oettinger: Ausstieg mit EU abstimmen
EU-Energiekommissar Günther Oettinger forderte die Bundesregierung auf, den Atomausstieg EU-kompatibel zu gestalten. Das Abschalten der verbliebenen neun Atomkraftwerke und der Aufbau neuer Energiekapazitäten müssten mit der Europäischen Union abgestimmt werden, sagte er dem Deutschlandfunk. Nur dann werde es in der EU eine stabile Stromversorgung und Schutz vor außerordentlichen Preiserhöhungen geben.
Oettinger betonte, die EU akzeptiere die deutsche Energiepolitik "voll und ganz". Die Kompetenz für den Energiemix liege ausschließlich bei den Mitgliedsstaaten.
Autoren: Ursula Kissel / Herbert Peckmann (rtr, dpa, afp, dapd)
Redaktion: Thomas Grimmer / Eleonore Uhlich