Bundesregierung erleichtert Änderung von Geschlecht im Pass
23. August 2023Viele Jahre haben Betroffene und ihre Unterstützer dafür gekämpft, nun hat die Bundesregierung das neue Selbstbestimmungsgesetz auf den Weg gebracht. Der Entwurf dazu wurde vom Justiz- und Familienministerium vorgelegt. Damit kann künftig jede volljährige Person die Geschlechtsidentität im Pass frei wählen und selbst zwischen den Einträgen "männlich", "weiblich", "divers" oder "ohne Angabe" entscheiden.
Dabei spielt es keine Rolle, ob diese Entscheidung auf einer empfundenen Zugehörigkeit zum anderen Geschlecht (Transsexualität), auf biologisch uneindeutigen Geschlechtsmerkmalen (Intersexualität) oder auf einem fehlenden Zugehörigkeitsgefühl zu beiden Geschlechtern (nichtbinäre Sexualität) beruht.
Die unbürokratische Änderung des Geschlechtseintrags und damit häufig auch des Vornamens beim Standesamt wird drei Monate nach der Erklärung wirksam. In dieser Zeit hat die betroffene Person die Möglichkeit, die Änderung zu widerrufen. Die Entscheidung kann dann frühestens nach einem Jahr geändert werden. Allerdings sieht der Gesetzentwurf laut Justizministerium keine Neuregelung für geschlechtsändernde medizinische Maßnahmen selbst vor. Hier bleibt es bei den einschlägigen medizinischen Regelungen und Leitlinien.
40 Jahre alte Regelungen abgeschafft
Bislang müssen Menschen, die ihr Geschlecht im Pass ändern wollen, zwei psychiatrische Gutachten einholen und dabei sehr intime Fragen beantworten. Diese Gutachten kosten mehr als 1.000 Euro und das Verfahren dauert Monate. Entscheiden muss dann noch ein Gericht. Das Bundesverfassungsgericht stufte Teile des seit 1981 geltenden Transsexuellengesetzes mehrfach als verfassungswidrig ein.
Junge Menschen, die noch nicht volljährig sind, aber das 14. Lebensjahr vollendet haben, können die Erklärung laut Entwurf selbst abgeben, brauchen aber die Zustimmung ihrer Eltern. Bei jungen Menschen unter 14 Jahren können nur die Eltern oder andere gesetzliche Vertreter die Erklärung zur Änderung des Geschlechtseintrags und des Vornamens einreichen.
Männer können ihren Geschlechtseintrag nicht ändern, wenn dies offenkundig in Zusammenhang mit einer drohenden Einberufung für einen Verteidigungsfall steht.
Sicherheitspolitische Bedenken ausgeräumt
Das Innenministerium hatte befürchtet, dass Kriminelle sich durch einen Wechsel von amtlichem Geschlechtseintrag und Vornamen der Strafverfolgung entziehen könnten. Nun soll gewährleistet werden, dass Bundeskriminalamt, die Bundespolizei, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sowie das Bundesamt für Verfassungsschutz über Änderungen informiert werden.
Sicherheitsbedenken gegen dieses Gesetz sieht Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) damit vollständig ausgeräumt. "Das Bundesinnenministerium hatte noch Konkretisierungsbedarf bei der Nachverfolgbarkeit der Identität für die Sicherheitsbehörden, die berücksichtigt wurden", sagte Paus dem Nachrichtenportal "The Pioneer".
Die Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, Ferda Ataman, hält den Gesetzentwurf dagegen in Teilen für ungenügend. Es gebe sogar "Verschlechterungen gegenüber dem Transsexuellengesetz und dem Personenstandsgesetz", kritisiert Ataman laut "Zeit online". Dies gelte etwa für die Anmeldefrist oder Datenübermittlungspflichten an eine Vielzahl von Sicherheitsbehörden.
Buschmann: Es geht um Würde von transgeschlechtlichen Menschen
Ataman kritisierte außerdem die auf Drängen des Innenministeriums neu hinzugekommene Regelung, dass Ausländer nur dann eine Änderung des Geschlechtseintrag beantragen können, wenn ihr Aufenthaltsstatus nicht innerhalb der darauffolgenden zwei Monate abläuft. "Das grundrechtlich geschützte Recht auf selbstbestimmte Änderung des Vornamens und des Geschlechtseintrags kann nicht vom Aufenthaltsstatus einer Person abhängig gemacht werden", so Ataman.
Heftige Kritik kamen von der Union und AfD. So warf CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt der Bundesregierung vor, Warnungen vor Missbrauch zu ignorieren.
Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) verteidigte dagegen den Gesetzentwurf. Der Berliner Zeitung "Tagesspiegel" sagte er, bei der Reform gehe es um die Freiheit und die Würde von transgeschlechtlichen Menschen. Der Staat dürfe sie nicht länger wie "Kranke" behandeln.
Das Regelwerk wird jetzt noch von Bundestag und Bundesrat beraten. Nach dem Willen der Regierung könnte es dann im November 2024 in Kraft treten.
bri/se (kna, rtr, afp, dpa)