Bundespräsidenten und ihre (Ohn-) Macht
17. Juni 2005Bundespräsidenten absolvieren Staatsbesuche, eröffnen Ausstellungen, übernehmen Schirmherrschaften und empfangen das Diplomatische Corps. In der Geschichte der Bundesrepublik mussten sie aber auch immer wieder staatsrechtlich Verantwortung übernehmen. So geht es jetzt auch Horst Köhler. Seit Bundeskanzler Schröder mitgeteilt hat, dass er die Vertrauensfrage nach Artikel 68 des Grundgesetzes stellen wird, ist der Bundespräsident weniger als Repräsentant denn als Staatsrechtler gefragt. Er muss entscheiden, ob er für den Fall, dass der Bundestag dem Kanzler nicht das Vertrauen ausspricht, auf dessen Wunsch das Parlament auflösen und Neuwahlen ansetzen wird.
Außerdem lehnte es der Bundespräsident am Mittwoch (15.6.2005) ab, das Gesetz zur Europäischen Verfassung zu unterschreiben. Auch das ist kein Einzelfall, wenngleich es selten vorkommt.
Theodor Heuss (1949-1959)
Der erste Bundespräsident, Theodor Heuss, wurde nach einer erfolgreichen ersten Amtszeit 1954 ohne Gegenkandidaten wiedergewählt. Vorübergehend hatte Kanzler Adenauer selbst überlegt, nach Heuss' zweiter Amtszeit in das höchste Staatsamt zu wechseln, änderte dann aber seine Meinung, als er merkte, dass der Bundespräsident nur wenige Möglichkeiten hat, auf die Gestaltung der Tagespolitik Einfluss zu nehmen. Die Idee der "lex Heuss" wurde geboren. Durch eine Grundgesetzänderung sollte eine dritte Amtszeit für den bisherigen Amtsinhaber ermöglicht werden, auf den sich alle Parteien verständigen konnten und der für Kontinuität im Amt des Präsidenten hätte sorgen sollen. Heuss selbst lehnte eine dritte Amtszeit entschieden ab, da er keine Änderung der noch jungen Verfassung wollte.
Heinrich Lübke (1959-1969)
Sein Nachfolger im Amt wurde der ehemalige Ernährungsminister Heinrich Lübke, CDU (1959-1969). Auch Lübke wurde für eine weitere Amtszeit gewählt. 1956 hatte Lübke als erster Bundespräsident die Unterzeichnung eines vom Bundestag beschlossenen Gesetzes verweigert. Nach Einholung eines wissenschaftlichen Gutachtens beim Bundesverfassungsgericht teilte Lübke dem Bundestagspräsidenten mit, dass er das "Gesetz gegen den Betriebs- und Belegschaftshandel" nicht unterzeichnen werde, da es seiner Ansicht nach gegen die im Grundgesetz garantierte Freiheit der Berufswahl und der Berufsausbildung verstoßen würde.
Gustav Heinemann (1969-1974)
1969 wählte die Bundesversammlung Gustav Heinemann (1969-1974) zum Bundespräsidenten. Als einziger Bundespräsident lehnte er den Großen Zapfenstreich zur Verabschiedung aus dem Amt ab. Auch sonst sprach er sich gegen jeden protokollarischen Aufwand aus. Heinemann war ein überzeugter Pazifist. 1972 löste Gustav Heinemann den Bundestag nach der gescheiterten Vertrauensfrage Willy Brandts auf - ein Fall, wie er dieses Jahr ähnlich wieder eintreten könnte.
Walter Scheel (1974-1979)
Der vormalige Außenminister Walter Scheel wurde 1974 zum vierten Bundespräsidenten gewählt. 1976 verweigerte er dem "Gesetz zur Abschaffung der Gewissensprüfung bei Wehrdienstverweigerern" die Unterschrift. Nachdem sich die Mehrheitsverhältnisse in der Bundesversammlung verändert hatten, verzichtete Scheel auf die Kandidatur für eine zweite Amtszeit.
Karl Carstens (1979-1984)
Der fünfte Bundespräsident, Karl Carstens, trat sein Amt 1979 an. 1983 stellte Bundeskanzler Helmut Kohl im Bundestag die Vertrauensfrage und verlor sie trotz eigener Mehrheit. Carstens löste daraufhin den Bundestag auf, und es kam zu den von Kohl gewünschten Neuwahlen. Gegen die Auflösung des Bundestages reichten vier Mitglieder des Bundestages Organklage ein. Das Bundesverfassungsgericht bestätigte die Haltung des Bundespräsidenten, stellte aber auch Richtlinien auf, nach denen eine Vertrauensfrage des Bundeskanzlers zukünftig ablaufen muss.
Richard von Weizsäcker (1984-1994)
Richard von Weizsäcker war ein "politischer Präsident", der sich immer wieder auch zu innenpolitischen Themen in die aktuelle Diskussion einmischte. Sein beharrliches Eintreten für Berlin als Hauptstadt rief bei den Bonn-Befürwortern zum Teil deutliche Kritik hervor. Ebenfalls sehr deutlich reagierten Politiker aller Fraktionen, als Weizäcker Kritik am Zustand der Parteien übte und diesen gemeinsam eine "Machtversessenheit in Bezug auf Wahlerfolge" vorwarf.
Roman Herzog (1994-1999)
Auch Roman Herzog galt als "politischer Präsident", der sich einschaltete und den Dialog suchte. Er forderte immer wieder die Besinnung auf kulturelle Werte und die Förderung der Bildung. Zumindest als Bundespräsident hatte Herzog aber keine Fragen verfassungsrechtlicher Art zu beurteilen.
Johannes Rau (1999-2004)
2004 stand der seit 1999 amtierende Bundespräsident Johannes Rau monatelang im Blickpunkt der Öffentlichkeit. Nachdem im Bundesrat das "Zuwanderungsgesetz" in verfassungsmäßig zweifelhafter Form beschlossen worden war, stellte sich die Frage, ob der Bundespräsident das Gesetz unterschreiben würde. Während er öffentlich erklärte, dass er das Gesetz gegenzeichnen werde, rief er gleichzeitig dazu auf, das Verfahren durch das Bundesverfassungsgericht prüfen zu lassen. Karlsruhe erklärte das Gesetz für formell nicht verfassungsgemäß.
Kritik am Präsidenten
Im Lauf der Jahre sind die Bundespräsidenten immer wieder in die Kritik geraten. "Fehlende parteipolitische Neutralität" und "Einmischung in Angelegenheiten der Regierung" lauteten dann die Vorwürfe gegen den Präsidenten. Bisher wurde die Kritik jedoch stets zurückhaltend formuliert oder die Äußerungen des Staatsoberhaupts wurden diplomatisch als "missverständlich" bezeichnet.
Rat für Köhler
Bundespräsident Köhler hat immer wieder betont, dass er die Sachlage derzeit prüft und dann "zu gegebener Zeit" eine Entscheidung treffen wird. Für diese Entscheidung hat er sich in der letzten Woche prominenten Rat geholt. Er fragte einen seiner Vorgänger, Roman Herzog, der, bevor er 1994 Bundespräsident wurde, jahrelang Präsident des Bundesverfassungsgerichts war.