Ich bin überrascht. Überrascht davon, was der Fußball und die Bundesliga am ersten Spieltag der Saison 2021/22 mit mir gemacht haben. Ein fast vergessenes Gefühl, von dem ich nicht sicher war, ob es jemals zurückkehren würde, ist wieder da: die Freude am Fußball, die Freude an der Bundesliga. Und das liegt vor allem - oder eigentlich ausschließlich - an den Akteuren, die so lange gefehlt haben: Den Fans! An einem sonnigen Sommerwochenende rollt der Fußball in der Bundesliga, die Fans singen auf den Rängen - viele von ihnen mit Bier und Bratwurst in der Hand. In einigen Stadien fallen viele Tore, der Jubel brandet auf und katapultiert einen zurück in die "guten, alten Zeiten". Ein herrliches Wochenende, trotz des Todes von Gerd Müller.
Eine seit anderthalb Jahren grassierende Pandemie, die auch den Fußball geprägt hat wie kein Ereignis zuvor, und die vielen damit verbundenen Entbehrungen: All das kann für 90 Minuten endlich mal vergessen werden - zumindest mir geht es mir so. Dabei fällt kaum auf, dass in den Stadien nicht 30.000, 40.000 oder 50.000 Zuschauer für den stimmungsvollen Rahmen sorgen, sondern 10.000, 12.000 oder 15.000. Doch wenn man vom "Ground Zero" kommt, fühlt sich das an, wie ein ausverkauftes "La Bombonera" wenn die Boca Juniors River Plate empfangen.
Danke Bielefeld, danke Dortmund
Selbstverständlich gehört auch zur Wahrheit: Es handelt sich hier um nicht mehr als eine Momentaufnahme, eine Möglichkeit der Verdrängung, um eine Insel, auf die man sich für einen schönen Tagtraum zurückzieht. Denn die enormen gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Pandemie und die weiter gigantische Herausforderung, die sie auch für den Fußball mit sich bringt, sind nur in Gedanken fort, nicht aber wahrhaftig. Das Faszinierende daran ist, dass es ausgerechnet der während der vergangenen Saison zum reinen TV-Event verkommene Profifußball ist, der sich selbst und vielen Menschen dieses Lebensgefühl einhaucht.
Ich hätte in den vergangenen Monaten nicht gedacht, dass mich der "Arminia" und "Bielefeld" Wechselgesang einiger Tausend im Stadion von Arminia Bielefeld, ein Klub, der mit mir emotional rein gar nichts macht, berühren könnte. Ich hätte nicht gedacht, dass mir das von den Fans in Dortmund inbrünstig gesungene "You'll never walk alone" - für mich seit jeher eine schlechte Doublette des Liverpooler Originals - und der Torjubel nach der famosen Vorstellung des BVB, den ich persönlich nicht besonders schätze, ein Glücksgefühl beschert. Ein Hoch auf den Fußball und seine Fans. Das bedeutet nicht, dass man den Profifußball bezüglich kommerzieller Entwicklungen und auch unter pandemischen Aspekten nicht weiter kritisch beäugen sollte - vor allem als Journalist ist dies stets geboten. Aber es ist aus meiner Sicht die Botschaft, die von diesem außergewöhnlichen Bundesliga-Spieltag ausgeht.
Die Strahlkraft der Bundesliga
Der Fußball heilt keine Krankheiten, senkt kein Infektionsrisiko - könnte im Gegenteil sogar Infektionen bedingen - und hilft Menschen nicht in persönlichen oder wirtschaftlichen Krisen - zumindest nicht direkt. Aber so, wie er an diesem Wochenende zu erleben war, kann er für die Lösung all dieser Probleme vielleicht eine kleine Hilfestellung sein. Indem er Ablenkung, Freude und andere Emotionen schafft, die man mit Tausenden im Stadion oder am Fernsehbildschirm in Kneipe, Garten oder Wohnzimmer teilt.
Ich möchte aber auch ganz klar betonen: Man kann das alles vollkommen anders sehen. Corona hat mich auch gelehrt, sich bei der eigene Position immer der Relativität bewusst zu sein. Es geht hier aber auch nicht um Argumente pro oder contra Fans in den Stadien, um die Diskussionen über 2G, 3G und andere Themen, die auch im Fußball-Kontext in den kommenden Monaten wichtig werden und Zündstoff bieten, sondern um ein Gefühl. Eines, das die Fußball-Bundesliga und ihre Fans mir und zigtausenden anderen Menschen an diesem Wochenende mit ihrer Strahlkraft zurückgegeben haben. Und ich erlaube mir, das alles für den Moment vollkommen unbeschwert zu genießen.