Bulgarien könnte unregierbar werden
17. Mai 2013Die Regierungsbildung wird bei dieser Verteilung der Parlamentssitze eine sehr schwierige Aufgabe sein. Die rechtskonservative Partei GERB des im Februar zurückgetretenen Ministerpräsidenten Bojko Borissow hat zwar die meisten Mandate gewonnen, für eine eigene Mehrheit von 121 Abgeordneten reicht es aber lange nicht. Borissow spricht sich jetzt für die Annullierung der Wahl durch das Verfassungsgericht aus. Seine Forderung begründet er mit schweren Regelverletzungen am Tag vor der Wahl, an dem die Staatsanwaltschaft in Sofia in einer privaten Druckerei 350.000 illegale Wahlzettel beschlagnahmte. Außerdem hatte es noch am Tag vor dem Urnengang Proteste und offizielle Stellungnahmen der Opposition gegeben, obwohl zu diesem Zeitpunkt der Wahlkampf verboten war. Deshalb wirft Borissow der Opposition illegalen Wahlkampf vor - und behauptet, dass seine Partei dadurch bis zu sechs Prozent der Stimmen verloren habe. Die Opposition warf der GERB im Gegenzug vor, damit die Wahl fälschen zu wollen.
Doch auch ohne den Skandal um die Wahlzettel ist die Lage in Bulgarien verfahren: Alle drei anderen im Parlament vertretenen Parteien lehnen es bislang kategorisch ab, mit GERB eine Koalition einzugehen oder eine GERB-Regierung zu unterstützen. Unabhängig davon hat die GERB-Führung verkündet, der von der Partei wieder für den Ministerpräsidenten-Posten aufgestellte Ex-Premier Borissow würde sich um die Bildung einer sogenannten Programmregierung bemühen. Das heißt, Borissow wird das Mandat zur Regierungsbildung annehmen, das ihm Staatspräsident Rossen Plevneliev verfassungsgemäß anbieten muss - und versuchen, eine Unterstützung für dieses Kabinett im Parlament zu finden. Plevneliev hat bereits Gespräche mit den vier im Parlament vertretenen Parteien angefangen. Es wird erwartet, dass sich das neue bulgarische Parlament innerhalb von zwei Wochen konstituiert. Dann bekommt die Fraktion von GERB das Mandat zur Regierungsbildung.
Eine Programmregierung sei dringend notwendig, um einige Probleme - vor allem wirtschaftlicher Natur - schnell lösen zu können. In diesem Punkt sind sich alle Parteien einig. In der ersten Pressekonferenz nach der Wahl hat der Vorsitzende der Sozialisten Sergej Stanischew diese Schwerpunkte aufgezählt: man wolle "gegen die Arbeitslosigkeit vorgehen, den von der Krise angeschlagenen kleinen und mittleren Unternehmern unter die Arme greifen, die Strompreise auf einem vernünftigen Niveau halten."
Alle Parteien befürchten neue Massenproteste
Die Strompreise sind ein zentrales Thema: Denn im Februar sind in Bulgarien Tausende von Menschen auf die Straße gegangen, um gegen die rasant wachsenden Energiekosten zu protestieren. Die Demonstranten forderten unter anderem die Enteignung der ausländischen Stromlieferanten, die angeblich die Preise in die Höhe getrieben haben. Dies erzeugte in breiten Teilen der Gesellschaft eine gefährliche Mischung aus undifferenzierter Kapitalismuskritik und Fremdenfeindlichkeit. Diese Stimmung führte dazu, dass rund sieben Prozent der Wähler für die radikal-populistische Partei Ataka stimmten und ihr damit den Einzug ins Parlament sicherten.
Alle Parteien sehen sich gezwungen, den Wählern Lösungen beim Streit um die Strompreise zu versprechen - auch wenn sie kaum zu realisieren sind. Denn sie befürchten neue Massenproteste und eine Gesellschaft, die in Chaos und Turbulenzen versinken könnte. Manche Beobachter sprechen sogar von "bürgerkriegsähnlichen Zuständen" und einem "Staatsstreich". Nach einem äußerst schmutzigen Wahlkampf, nach Lauschangriff-Affären, Manipulations- und Wahlfälschungsversuchen sind die Bulgaren desillusioniert und verzweifelt. Dafür spricht auch der negative Rekord bei der Wahlbeteiligung: etwa die Hälfte der Stimmberechtigten blieben zu Hause. Die bulgarische Gesellschaft sei heute "eine tickende Zeitbombe, die dringend entschärft werden muss", meinen auch ausländische Diplomaten, die nicht namentlich genannt werden möchten.
Kommt es wieder zu Neuwahlen?
Auch die zweitstärkste Kraft im Parlament, die sozialistische BSP, will eine Programmregierung bilden. Nachdem der Wahlgewinner nicht zu der traditionellen Pressekonferenz in der Wahlnacht erschienen ist, behaupteten die Sozialisten, die GERB sei in eine totale Isolation geraten. Dies scheint auch zu stimmen: Denn die zwei weiteren im Parlament vertretenen Parteien - die DPS, die die Interessen der türkischen Minderheit vertritt, und die rechtspopulistische Ataka - lehnen jede Zusammenarbeit mit dem Wahlgewinner ab. Eine große Koalition zwischen GERB und BSP ist auch unwahrscheinlich, also wird es wohl zu einer Programmregierung unter den Sozialisten kommen. In diese Regierung würde man sowohl Mitglieder der kleineren und im Parlament nicht vertretenen Parteien, als auch Vertreter der bürgerlichen Bewegungen aufnehmen, deutete Sozialistenchef Stanischew an.
Dazu aber braucht seine Partei vor allem die Unterstützung von DPS und Ataka. Und die ist nicht leicht zu bekommen, denn die fremdenfeindliche Ataka ist seit Jahren für ihre scharfen Angriffe gegen die türkische Minderheit, die von der DPS vertreten wird, bekannt. Sollte in Bulgarien keine Regierung zustande kommen, wird das jetzige Interimskabinett an der Macht bleiben und neue Parlamentswahlen im Herbst vorbereiten. Viele Beobachter erwarten so oder so baldige Neuwahlen. Manche weisen auch darauf hin, dass für den Ex-Premier Bojko Borissow die Rolle des Wahlgewinners und gleichzeitig des Oppositionsführers im Parlament sehr bequem sein werde, denn sein Augenmerk sei schon auf die Präsidentschaftswahl in zwei Jahren gerichtet: Borissow wolle nämlich seine politische Karriere auf diesem Posten beenden.