Buen camino – Eine ungewöhnliche Pilgerreise
10. September 2020„Läufst du auch den Camino?“
Schon am Flughafen ist alles anders. Dort wo sonst Zehntausende in den Urlaub fliegen, herrscht eine merkwürdige Ruhe. Es ist die erste Woche der Sommerferien in Corona-Zeiten. Vor Tagen erst ist die Reisebeschränkung für die Staaten Europas aufgehoben worden. Ich bin am Zweifeln: wäre es nicht sicherer, in Deutschland zu bleiben? Vor Augen habe ich noch die Bilder gestrandeter Reisender aus aller Welt.
Im gesamten Flughafen herrscht Maskenpflicht. Um wenigstens einige Minuten frei durchatmen zu können, trinke ich einen Kaffee.
„Läufst Du auch den Camino?“ Erstaunt blicke ich auf. Der Mann mir gegenüber zeigt auf meine Wanderschuhe und mein leichtes Gepäck. Sofort kommen wir ins Gespräch. Auch sein Ziel ist Santiago. Allerdings plant er von Madrid aus auf den Camino Frances einzuschwenken. Der Klassiker unter den Jakobswegen.
Als sein Flug aufgerufen wird, ruft er mir noch ein „Wir sehen uns dann in Santiago!“ zu – und dann höre noch ich zum ersten Mal ein „Buen camino“ zum Abschied. Mir tut die kurze Begegnung gut. Ich weiß, dass ich mit meinem Vorhaben nicht allein bin.
Der Gedanke an Corona fliegt mit
An Bord erlebe ich eine Überraschung. Der Flieger nach Lissabon ist fast voll besetzt. Ich habe noch Glück, denn der Mittelplatz zu meiner Rechten bleibt frei. Doch der Anblick der Mitreisenden mit Mundschutz lässt keine rechte Vorfreude aufkommen. Im Gegenteil. Der Gedanke an Corona verdichtet sich auf diesem engen Raum noch und fliegt mit.
Als ich drei Stunden später den Flughafen in Lissabon verlasse, bin ich erleichtert. Aber die Stadt ist viel leerer, als ich sie von vorherigen Besuchen kenne. Es gibt kaum Touristen. Abstand zu halten, ist da kein Problem.
Ankommen, bevor man startet
Sé, die Kathedrale Lissabons ist mein Startpunkt. Auch hier ist von den sonst üblichen Menschenscharen nichts zu sehen. Viele Stunden verbringe ich in den Kirchen und Klöstern der Altstadt. Ich nehme mir viel Zeit zum Besichtigen und Meditieren. Dann löst sich meine Anspannung. Ich spüre, dass ich bereit bin für meinen Weg. Als ich Lissabon Richtung Fatima und Coimbra verlasse, bin ich im Pilger-Modus. Ich freue mich auf das, was vor mir liegt: Kirchen und Klöster – und vor allem auf die Natur und das Wandern ab Porto.
250 km Fuß-Kilometer sind es von der Kathedrale in Porto bis zum Grab des Apostels Jakob in Santiago. 14 Tage bin ich unterwegs. Eine wunderbare Strecke. Vorbei geht es an den Stränden des Atlantiks. Ich durchquere die herrlichen Flusstäler des Douro und des Minho, streife die Rias Galiciens. Wundervolle Fjorde, die sich tief in die Küstenlinie einschneiden. Nur wenige Pilger sind unterwegs. Dafür ist die Erfahrung des Pilgerns um so intensiver. Ich finde Zeit zu mir selbst finden – weil ich allein bin. Ich raste und bete in Kirchen und an Wegkreuzen. Ich nehme die Natur mit allen Sinnen auf. Am Abend freue ich mich auf ein köstliche Glas Verde und auf das, was mich am nächsten Tag erwartet. Als ich in Santiago ankomme, fühle ich mich behütet. Ich bin am Ziel und alles hat geklappt. Dankbar bin ich und froh. Ich denke daran, warum Menschen früher gepilgert sind. Sie waren in Not, sie brauchten verzweifelt Hilfe. Und gerade jetzt, auf Grund von Corona, geht es wieder Menschen so. Sie machen sich Sorgen um ihre Liebsten oder um die eigene finanzielle Zukunft. Eigentlich ist genau jetzt die ideale Zeit für eine Pilgerreise. In der Kathedrale bete ich und entzünde eine Kerze.
Ein buen camino
Wie wäre es wohl auf dem Caminho Portugues zu Nicht-Corona-Zeiten gewesen? Voller – ganz sicher! Weniger still – wohl auch! Die Menschen angestrengter und viel weniger entspannt – auch das.
Nun bin ich Jakobs-Pilger in bewegten und doch fast Menschen-leeren Zeiten. Ich habe es schwarz auf weiß: Auf der Urkunde des Bischofs von Santiago steht mein Name. Doch mehr noch als dieses Stück Papier bewege ich in meinem Herzen den Gruß der Jakobs-Pilger: buen camino. Jeden Tag haben mich die Menschen, denen ich unterwegs begegnet bin, mit diesen Worten ermutigt und mir neue Kraft gegeben. Für mich hat sich das wie ein immer wieder neu zugesprochener Reise-Segen angefühlt. In der Tat war es ein buen camino!