Budapest will Gesetz über Auslandsungarn nochmals überdenken
21. Juni 2002Budapest, 21.6.2002, PESTER LLOYD, deutsch
Die neue Regierung will die ungarischen Minderheiten in den Nachbarländern weiterhin großzügig unterstützen, hält jedoch die konsolidierten Beziehungen zu den betreffenden Regierungen für ebenso wichtig. Diese Linie wurde deutlich bei der Anhörung des neuen politischen Staatssekretärs für die Angelegenheiten der Auslandsungarn, Vilmos Szabó. Die von ihm skizzierte Politik steht der durch die Fidesz (Bund Junger Demokraten - MD)-Regierung praktizierten nicht diametral entgegen; wie sich herausstellte, hatte auch die frühere Regierungspartei bereits eine Modifizierung des Gesetzes über die Auslandsungarn geplant, um dessen Verwirklichung zu ermöglichen.
Der Germanist Szabó (Jahrgang 1952) war Abgeordneter und Leiter des außenpolitischen Sekretariats der MSZP (Ungarische Sozialistische Partei - MD). Gleich zu Beginn der Sitzung vergangener Woche wurde er durch oppositionelle Fidesz-Politiker wegen eines Interviews kritisiert, das er im April der Wiener Zeitung "Die Presse" gegeben hatte. Szabó hatte sich gegen die von der Orbán-Regierung geschmiedete "Achse München-Wien-Budapest" sowie gegen die Ambitionen der früheren Regierung ausgesprochen, die Rolle einer regionalen Führungsmacht zu spielen. In der Anhörung erläuterte Szabó, dass er voll und ganz für gute bilaterale Beziehungen auch zu Wien eintrete, man sollte jedoch mit ausgrenzenden Initiativen nicht zum Beispiel die Visegráder Kooperation gefährden, was durch Fehler Orbáns auch geschehen sei.
Der neue Staatssekretär, der das Amt für Auslandungarn überwachen soll, bezeichnete es als bedauerlich, dass die frühere Regierung zwar eine Modifizierung des Gesetzes über die Auslandsungarn geplant und darüber die betroffenen Minderheitenführer informiert habe - jedoch nicht die damalige Opposition. Das in den Nachbarländern umstrittene Gesetz sichert den dort lebenden 3,5 Millionen Ungarn gewisse Rechte und Unterstützungen zu. Nachdem das Gesetz wegen seiner vermuteten extraterritorialen Gültigkeit kritisiert und teilweise abgelehnt worden war, kam es auch zu Spannungen und Kritik seitens des Europarats. Während mit Rumänien und Jugoslawien vorläufige Kompromisse in der Frage erreicht worden waren, betonen die slowakische und neuerdings auch die ukrainische Regierung ihre Vorbehalte. Szabó meinte nun, man sollte die Fragen in Ruhe überdenken und auf mögliche Änderungen im Herbst zurückkommen - also nach den Wahlen in der Slowakei.
Der Staatssekretär versicherte, dass die Unterstützungen für die Angehörigen der Minderheiten in den Nachbarländern nicht verringert würden. Sie betragen gegenwärtig zehn Milliarden Forint (ca. 41 Millionen Euro- MD) im Jahr, womit u.a. eine ungarischsprachige Privatuniversität in Siebenbürgen finanziert wird. Die sozialistisch-liberale Regierung wolle die Praxis der Vorgänger beenden, die der Regierung politisch nahestehenden Minderheitenorganisationen zu favorisieren. Auch der Weg der finanziellen Zuwendungen sollte transparent sein, wobei man auch die Rolle des ungarischen Privatkapitals in der Nachbarschaft fördern werde.
Die selektive Politik der früheren Regierung kritisierte in der Sitzung ebenfalls der Vorsitzende des Bundes der Ungarn in der Vojvodina, László Kasza, in sehr scharfer Form. Kasza ist auch stellv. Ministerpräsident Serbiens und regte in dieser Eigenschaft eine Normalisierung der Beziehungen zu Belgrad an. Dies wäre um so nötiger, weil sich durch eine zusätzliche Ansiedlung von Serben in der Vojvodina die demographische Lage der Ungarn weiter verschlechtere. Über ein analoges Problem beklagte sich auch der Vertreter der Ungarischen Koalition der Slowakei. Ein Sprecher des Ungarnbundes Rumäniens plädierte für die Beibehaltung der gegenwärtigen Form des Auslandsungarngesetzes.
Die Medgyessy-Regierung werde die Meinung der Ungarnorganisationen respektieren, betonte Staatssekretär Szabó. Die Ständige Konferenz der Ungarn, ein Konsultationsforum der parlamentarischen Parteien mit den Minderheitenführern, soll in absehbarer Zeit einberufen werden. Die Abgeordneten der Opposition werfen den Regierungsparteien vor, dem Fragenkomplex weniger Aufmerksamkeit schenken zu wollen. Ob die Absicht der MSZP, in dieser nationalen Frage einen Konsens herzustellen, erfüllt werden kann, blieb angesichts des Verlaufes der Sitzung des Parlamentsausschusses offen.
Zur gleichen Zeit erregte in Budapest der Bericht des Berichterstatters des Europarats Aufsehen, der empfahl, das Gesetz über die Auslandsungarn außer Kraft zu setzen und im Einvernehmen mit den Nachbarländern ein neues zu formulieren. Der niederländische Abgeordnete Eric Jürgens bezeichnete in seinem Bericht für den Europarat das Gesetz als einseitigen Schritt und bemängelte u.a., dass dadurch auch die nicht-ungarischen Angehörige der ethnischen Ungarn den umstrittenen, zu Begünstigungen berechtigenden Ungarnausweis erhalten können.
Csaba Tabajdi (MSZP), der neue Leiter der ungarischen Delegation im Straßburger Europaparlament, bezeichnete den Bericht als einseitig und für Ungarn inakzeptabel. Der Auftrag von Jürgens sei gewesen, die Praxis der Minderheitenpolitik im europäischen Zusammenhang zu untersuchen, statt dessen habe er sich auf Ungarn beschränkt und den Standpunkt des Landes überhaupt nicht berücksichtigt. Laut Tabajdi sollte man nun die Empfehlungen des früheren Europaratsberichts von Venedig in das Gesetz einbauen, um gegen den Jürgens-Bericht auftreten zu können. (fp)