Brustimplantate verursachen Krebs
29. März 2015Marlies Dingel war 42 Jahre alt, als ihr Arzt ihr zur Brustamputation riet. Zwar war kein Krebs in der Gewebeprobe gefunden worden. Aber verändertes Zellmaterial könne sich bald zu bösartigen Tumoren entwickeln. Dingel entschied sich schnell. Ihre Brust wurde entfernt.
"Die viel schwierigere Frage für mich war: Will ich ein Implantat, eine Brustrekonstruktion? Damals, 1992, wurde über die Gefahr von Silikon diskutiert, das in den Implantaten eingesetzt wurde. Ich war mir sehr unsicher", sagte Dingel der Deutschen Welle. Auf Rat ihres Arztes entschied sie sich schließlich für das Silikonimplantat. "Das machte den Übergang leichter. Wenn ich in den Spiegel schaute, dann hatte ich immer noch zwei Brüste."
Definitive Korrelation von Krebs und Brustimplantaten
Auch heute ist die Entscheidung für oder gegen ein Brustimplantat nicht einfacher. Denn Silikonimplantate könnten Krebs verursachen. Die französische Gesundheitsministerin Marisol Touraine sagt, dass seit 2011 18 Frauen in Frankreich an dem sehr seltenen Lymhdrüsenkrebs ALCL erkrankt seien. Und: Alle 18 hatten Brustimplantate. Die Zeitung "Le Parisien" berichtet weltweit von 173 Fällen.
Das französische Gesundheitsministerium überprüft zurzeit, ob Silikonimplantate generell verboten werden sollen. "Ich halte ein Verbot von Silikonimplantaten für Quatsch", sagte Ernst Magnus Noah, Vorsitzender der Deutschen Vereinigung Plastischer Chirurgen, im Interview. Die Chancen, an ALCL zu erkranken, seien trotz allem sehr gering. Außerdem seien die Ursachen für den Zusammenhang noch zu wenig erforscht.
Auch Lukas Kenner, Professor am Ludwig Boltzmann Institut für Krebsforschung und dem Pathologischen Institut der Universität Wien, warnt vor Panikmache. Er veröffentlichte bereits im vergangenen Jahr eine Studie zum Zusammenhang von ALCL und Brustimplantaten. "Unsere Forschung sagt, dass es eine eindeutige Korrelation zwischen Implantaten und der Krebsart gibt", bestätigt Kenner. "Statistisch gesehen erkrankt aber nur eine von 500.000 bis 3.000.000 Frauen mit Brustimplantaten an ALCL."
Die Symptome von ALCL sind unspezifisch: Die Patientin stellt meist eine ungewöhnliche Schwellung der Brust fest. Dann sollte sie sofort zum Arzt gehen. "Die Heilungschance sind bei dieser Krebsart sehr hoch, wenn sie früh entdeckt wird", so Kenner.
Brustvergrößerung häufigste Schönheitsoperation
Die Bedeutung von Brustimplantaten ist in den vergangenen Jahren immer weiter gestiegen. Weltweit ist die Brustvergrößerung die am häufigsten durchgeführte Schönheitsoperation. Allein in den USA, wo jede fünfte Schönheits-OP weltweit durchgeführt wird, legen sich jährlich 300.000 Frauen unters Messer - für eine größere Bust.
Aber auch die Anzahl der Brustrekonstruktionen nach operativer Entfernung der Brust aufgrund von Krebs nimmt zu. Zwischen 2000 und 2013 ist sie in den USA um 21 Prozent gestiegen, berichtet der "Plastic Surgery Report".
Keine eindeutigen Ursachen
Bisher ist unklar, warum Brustimplantate und die Entstehung von ALCL korrelieren. Anders als beim Skandal um französische Implantate der Firma PIP im Jahr 2011, die mit billigem Industriesilikon gefüllt waren und so ein Gesundheitsrisiko darstellten, gibt es im jetzigen Fall keinen eindeutig Schuldigen. Kenner und sein Team arbeiten zurzeit mit Hochdruck daran, unterschiedliche Testreihen aufzubauen. Bisher gibt es noch keine Studien im Bereich der Ursachenforschung.
Laut Chirurg Noah ist aber auffällig, dass ALCL vor allem bei Patientinnen mit sogenannten rauen Implantaten auftritt. Sie besitzen im Gegensatz zum glatten Kochsalzimplantat eine sandpapierähnliche Oberfläche. "Eine Theorie besagt, dass sich nach der OP ein Film aus Bakterien um das Implantat bilden kann, ein sogenannter Biofilm. Bestimmte Bakterien könnten dafür verantwortlich sein, eine Immunreaktion auszulösen, die dann wiederum zur Bildung von atypischen Zellen, also Krebszellen, führt", erklärt Noah. "Das gleiche Phänomen kennen wir von Helicobacter-Bakterien, die zu Lymphomen im Magen führen." Der Bakterien-Biofilm könne sich eventuell besser auf den rauen Implantaten festsetzen. Falls sich die Theorie bestätigt, könnten einfache Antibiotikagaben vor und nach der Operation das Risiko minimieren, an ALCL zu erkranken.
Noah erwartet, dass die Aufklärung über ALCL schon bald zum Standard im Beratungsgespräch vor einem Implantateinsatz werden wird. Auch - oder gerade - wenn die Ursachen weiterhin unklar sind.
Alternativen zum Implantat
In den letzten Jahren wird verstärkt die Brustrekonstruktion mit Eigengewebe beworben. Es sei die natürlichste Art, sein vorheriges Körperbild nach einer Mastektomie, einer Brustamputation, wiederzuerlangen. Gewebe aus Bauch oder Rücken wird in die Brust verpflanzt, auch Fetteinspritzungen sind möglich. Ein Fremdkörper muss nicht eingebracht werden.
Chirurg Noah hält diese Lösung trotzdem nicht für das Allheilmittel. "Es ist ein sehr großer Eingriff, der da vorgenommen werden muss. Wir operieren bis zu zehn Stunden. Viele Frauen sind nach der Diagnose Krebs und der anschließenden Mastektomie so geschwächt, dass sie sich das nicht zutrauen", so Noah. Ein Silikonimplantat einzusetzen, dauert dagegen nur etwa anderthalb Stunden.
"Eine schöne Narbe"
Auch Marlies Dingel ist nicht von der Behandlung mit Eigengewebe überzeugt. Durch ihre ehrenamtliche Tätigkeit in der Frauenselbsthilfe nach Krebs hat sie Kontakt zu vielen Frauen, die die Behandlung selbst erlebt haben. "Bei einigen klappt es natürlich ganz wunderbar. Aber ich habe zu viele Fälle kennen gelernt, bei denen die Eigengewebstransplantation nicht gut gelaufen ist." 20 Jahre hat Dingel dagegen ihr Silikonimplantat ohne Komplikationen getragen. Hätte ihr Arzt sie damals beim Beratungsgespräch über ALCL aufgeklärt, hätte sie sich vielleicht trotzdem gegen ein Implantat entschieden, sagt sie heute.
Als Dingels Implantat vor zwei Jahren vorsorglich entfernt werden musste, stand wieder die Frage im Raum: Wie geht es weiter? Dingel entschied sich schließlich dafür, ohne Implantat zu leben. Heute ist sie sehr zufrieden mit dieser Entscheidung. "Ich habe mich lange mit der Frage beschäftigt. Am Ende bin ich zu meinem Arzt gegangen und habe gesagt: Ich will einfach nur eine schöne Narbe."