Johnson buhlt um Wählerstimmen
3. November 2019Mit dem Eingeständnis, dass sein Brexit-Plan nicht so aufgegangen ist, wie er sich das vorgestellt hat, versucht der britische Premierminister Boris Johnson unentschlossene Wähler für sich gewinnen. Gut einen Monat vor der Parlamentswahl am 12. Dezember bedauerte der konservative Regierungschef, dass er entgegen seiner wiederholten Versprechen das Land nicht zum 31. Oktober aus der Europäischen Union geführt hat.
Es tue ihm leid, dass er sein Versprechen nicht eingehalten habe, sagte Johnson in einem Interview mit dem Sender Sky. "Ich bin sehr, sehr enttäuscht." Seit seinem Amtsantritt im Juli hatte Johnson wiederholt betont, den Brexit "um jeden Preis" bis zum 31. Oktober durchzusetzen. Er sagte sogar, lieber würde er "tot im Graben liegen", als um eine weitere Verschiebung zu bitten.
Sein mit Brüssel ausgehandeltes Austrittsabkommen fiel jedoch im britischen Parlament durch. Zudem zwangen ihn die Abgeordneten, in Brüssel eine Fristverlängerung zu beantragen. Die EU gewährte daraufhin eine dreimonatige Brexit-Verlängerung bis zum 31. Januar.
Die Diskussion über den Brexit steht somit im Mittelpunkt der vorgezogenen Parlamentswahl. Wie die Zeitung "The Times" berichtet, will sich Johnson darauf konzentrieren, nach der Abstimmung seinen mit Brüssel ausgehandelten Brexit-Deal durchs Parlament zu bekommen. Zudem sei seine Dohung mit einem No-Deal, also einem ungeregelten Ausscheiden Großbritanniens aus der EU, vom Tisch. Zur Zeit ist aber völlig unklar, ob die Wahl tatsächlich - wie von Johnson erhofft - für klare Mehrheiten im Unterhaus sorgt.
Farage will nicht kandidieren
Zudem droht dem Premier Gefahr vom rechten Rand. Ein Angebot der Brexit-Partei von Nigel Farage, die bisher nicht im Unterhaus vertreten ist, bei der Wahl mit den Konservativen zu kooperieren, hatte Johnson abgelehnt. Nun bekräftigte Farage, dass er selbst nicht für das Parlament kandidiert.
Stattdessen wolle er landesweit gegen den von Johnson mit der EU ausgehandelten "Scheidungsvertrag" kämpfen, kündigte der Brexit-Hardliner in der BBC an. Er habe gründlich darüber nachgedacht, wie er der Brexit-Sache am besten dienen könne, ob durch einen Sitz im Parlament oder durch eine Unterstützung der Kandidaten der Partei im ganzen Vereinigten Königreich. "Und ich habe entschieden, dass der letztgenannte Kurs der richtige ist."
Schotten kämpfen für ihre Sache
Auf diese Weise könnte die Brexit-Partei den Konservativen Stimmen abjagen und Experten zufolge damit die größte Oppositionspartei Labour stärken. Eine weitere Rolle im Wahlkampf wird auch die Forderung nach einem zweiten schottischen Unabhängigkeitsreferendum spielen. In Glasgow demonstrierten am Samstag Tausende für eine neue Volksabstimmung. Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon betonte in einer Mitteilung: "Ein unabhängiges Schottland ist so nah wie nie zuvor. Es ist wirklich in Reichweite." Sie will noch vor Weihnachten in London ein neues Referendum beantragen.
Nachfolger für John Bercow
An diesem Montag stimmt das Unterhaus über die Nachfolge des für seine markanten "Order"-Rufe bekannten Parlamentspräsidenten John Bercow ab. Der 56-Jährige hatte Anfang September seinen Rücktritt spätestens zum 31. Oktober angekündigt. Beste Chancen werden den Labour-Abgeordneten Lindsay Hoyle, bisher Vize-Sprecher, und Harriet Harman, der dienstältesten Parlamentarierin, sowie der Konservativen Eleanor Laing eingeräumt.
uh/qu (afp, dpa, rtr)